Beschimpft, beleidigt, bedroht

08. September 2017

Wie fühlt es sich an, Opfer von Hass im Netz zu sein? Wie gehen Betroffene damit um? Biber hat mit drei Personen über ihre Erfahrungen mit Hass im Netz gesprochen. 

 

Annas Facebook signalisiert eine neue Benachrichtigung. Sie klickt darauf. Die Reaktionen auf das neue Profilbild ihrer Facebook-Seite, das die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen symbolisiert, vermehren sich: Fünf Personen gefällt das neue Bild. Ein Facebook-Nutzer äußert sich dagegen: „Die armen psychisch kranken Schlampen. Es ist so klar, dass ihr homo seid.“ Anna* ist keine Lesbe. Aber selbst wenn sie es wäre, darum geht es nicht. Für den Unbekannten aber schon.

Anna* ist eine von tausenden Frauen, die täglich im Netz beleidigt werden. Hass ist Teil der Internet-Kultur und hat viele Gesichter: Beleidigungen, aggressive und provozierende Kommentare, Gewaltäußerungen, Cyber-Mobbing. “Hass richtet sich gegen alle, die nicht in ein bestimmtes Weltbild passen“, erklärt Staatssekretärin Muna Duzdar, die in Wien eine Beratungs- und Meldestelle gegen Hass im Netz gestartet hat. Das können ethnische Minderheiten, Homo- und Transsexuelle, Gläubige, Prominente, oder einfach Andersdenkende sein. Vom Hass im Netz sind alle Geschlechter betroffen - vor allem aber Frauen.  

 

Jemandem den Tod wünschen

Die Feministin Anna* lässt sich von Hasskommentatoren im Netz nicht so leicht einschüchtern. Sie setzt sich für Menschenrechte ein. „Als ich vor einigen Wochen einen Artikel über die Pride Parade in Sofia kommentierte, wurde mir wieder geschrieben, dass ich eine Lesbe sein muss, die keinen Mann hat“, erinnert sie sich. Sie setzt sich für heikle Themen ein, da gehört es zur Tagesordnung, als „Hure“ oder „Schlampe“ beschimpft zu werden, Anna weiß das mittlerweile. Auf Facebook bekommt Anna* oft private Nachrichten von unbekannten Männern, die meist sexistische Witze machen. Mit solchen Äußerungen kann die 30-Jährige recht gut umgehen, andere wiederum setzen ihr mehr zu: „Einmal hat mir jemand den Tod gewünscht.” Diese Drohung passierte unter einem Beitrag zu Gewalt gegen Frauen.

 

„Man sollte in solchen Diskussionen immer auf einer sachlichen Ebene kommunizieren”, rät Ingrid Brodnig, Journalistin und Autorin der beiden Bücher „Hass im Netz“ und „Lügen im Netz“. „Es ist aber vor allem wichtig, Zivilcourage zu zeigen, wenn jemand im Internet attackiert wird”, erklärt sie weiter. Genau deswegen führt Anna* diesen Kampf gegen die Hasskommentatoren: Sie möchte Betroffene unterstützen. 

 

„Ich habe mich zurückgezogen.“

„Frauen werden oft auf ihren Körper reduziert, mit dem Ziel, dass sie sich schämen, sich alleine fühlen, sich zurückziehen und aufhören, öffentlich ihre Meinung zu sagen“, so Duzdar über die Konsequenzen, die Beleidigungen im Netz für Frauen haben können. Vanessa* schämt sich zwar nicht für ihren Körper, trotzdem verletzt es sie sehr, als vor einem Jahr ein unvorteilhaftes Foto von ihr über Snapchat verschickt wurde. Es war spät am Abend, als sie eine Nachricht von ihrer besten Freundin erhalten hatte.  „Vielleicht hat sie eine Frage wegen des Tests morgen“, dachte die 15-jährige Schülerin. Statt einer Frage poppte ein Chat-Fenster mit einem Bild auf. Darauf war Vanessa* zu sehen. Unter dem Foto die Worte: „Wow, ist ihr Arsch vorne oder hinten?” Das Foto wurde von einer Mitschülerin aufgenommen. Freunde rieten ihr, die Direktorin aufzusuchen, um eine Beschwerde abzugeben. Aber dafür war die damals 15-Jährige noch zu verunsichert. Als sich das gleiche Szenario einige Tage später wiederholte, fasste Vanessa ihren Mut zusammen und wendete sich an ihre Lehrerin. Später erfuhr die Direktorin von dem Vorfall und beschloss, mit Vanessas Klasse die Situation zu besprechen. „Wir haben das Problem gemeinsam gelöst“, so die 16-jährige Modeschülerin.

 

Nicht alle Veganer sind friedlich

Auch die 25-jährige Studentin Alexandra* hat Erfahrungen mit Hasskommentaren im Netz gemacht. Sie ist Bloggerin und beschäftigt sich in ihren Videobeiträgen mit den Themen Essen und Reisen. Zwar wird ihr Youtube-Kanal von einer kleinen Community verfolgt, aber ihr letzter Beitrag sorgte für große Aufregung. Unter dem Titel „Warum ich kein Veganer bin“ veröffentlichte sie ein Video, in dem sie über ihre Erfahrungen mit einer 28-tägigen Vegan-Diät erzählte. „Es ist Tag zehn und ich bin krank geworden. Manche Menschen verlieren Appetit, wenn sie krank sind, aber bei mir ist umgekehrt. Ich habe den ganzen Tag Hunger“, erklärt die 25-Jährige ihren vorzeitigen Diät-Abbruch, den sie mit einer Pizza Margarita mit viel Käse darauf verabschiedete. Ihre Zuseher reagierten unterschiedlich: Einige äußerten ihre Meinung ruhig, andere – aggressiv: „Du suchst nur Ausreden, um das Schlachten unschuldiger Lebewesen zu rechtfertigen. Gut gemacht, du Miststück“, schreibt ihr einer. „Schau dir ‚Earthlings‘ an, du verdammter käseabhängiger Normalo“, sagte ihr ein anderer und nannte sie „Fotze“.

 Kommentar Kommentar

 

„Merkwürdig, dass die ‚friedlichen‘ Veganer so aggressiv sein können“, so Alex, die diese Kommentare nicht auf sich sitzen lassen hat. Die schlimmsten meldet sie. Auch Expertin Ingrid Brodnig rät den Internet-Nutzern, Hasskommentare nicht einfach stehen zu lassen. Die Betroffenen können sich auch rechtlich vor solchen Attacken schützen. Verhetzung, Wiederbetätigung, gefährliche Drohung und Cyber-Mobbing existieren als offizielle Delikte im Strafgesetzbuch, für üble Nachrede oder Beleidigung, sollten die betroffenen Personen eine Privatanklage stellen.  

Jede von den betroffenen Frauen in dieser Geschichte hat einen Weg gefunden, sich gegen Hass im Netz zu wehren. Ihre Erfahrungen zeigen uns deutlich – Hass im Netz existiert, man muss etwas dagegen machen. Auch wenn man selbst nicht betroffen ist, kann man anderen helfen. Zivilcourage ist vor allem wichtig. Anna* ist ein gutes Beispiel dafür. Sie wurde mehrmals beschimpft, beleidigt oder bedroht, hat aber nicht aufgegeben, andere Menschen zu unterstützen. „Wenn ich mich in Diskussionen anschließe, andere zu verteidigen, zeige ich einmal dem Troll, dass er kein Recht hat, andere zu beschimpfen. Und auch wenn ich das Gegenüber nicht überzeugen kann, sage ich mit meinem Kommentar den Betroffenen ‚Hey, du bist nicht alleine‘“. Das gibt ihnen Mut.

 

 

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