Digital-Diät, here i come!

29. Juni 2015

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Ira überschüttet ihr Handy mit Liebkosungen.

Tausende von Menschen aus der ganzen Welt verzichten ganz oder teilweise auf technische Helfer. Also habe ich einen digitalen Detox-Tag gestartet.

Vor dem Schlafengehen entschied ich mit voller Überzeugung, dass der nächste Tag der Anfang meines digitalen Entzugs wird. Wenn es nach den Geschichten geht, die man von Leuten hört, die das schon gemacht haben, wird das der schönste Tag in meinem Leben sein. Ich werde endlich die glücklichen Gesichter meiner Mitbürger sehen,  die Vögel singen hören und alle damit verbundenen Freuden des Lebens erleben. Ehrlich gesagt ist das jetzt schon mein zweiter Versuch. Das letzte Mal hielt ich nur ein paar Stunden durch.

Die erste Frage war: Wie werde ich ohne Handy aufwachen? Ich habe keinen einzigen Wecker mehr zu Hause, deswegen ich mich entschied mich, auf meine biologische Uhr zu setzen, komme was wolle. Vielleicht wird mein Körper entscheiden, dass ich länger schlafen soll und meine Kollegen sehen mich erst zum Abendessen.

08.15 Ich habe wirklich verschlafen, eigentlich war ja klar, dass das passiert. Zum Glück zwitscherte einen Vogel unter dem Fenster und weckte mich.

08.30 Während des Frühstücks verwende ich gewöhnlich mein iPhone, um die Neuigkeiten auf Facebook zu überprüfen. Nur im letzten Moment konnte ich mich an meine Entscheidung vom Abend erinnern.  So, heute also muss ich auf mein digitales Frühstück verzichten. Jeden Morgen beginne ich wie 92 Prozent der New Yorker: Ich lese Mails, scrolle durch Seiten von elektronischen Medien und sozialen Netzwerken. Aber nicht heute. Heute habe ich einmal Digital-Diät.

09. 13 Ich bin katastrophal spät dran. Mein Arm sucht wie gewohnt das Handy, um auf die Uhr zu sehen und jedes Mal muss ich ihn stoppen. Es scheint besser, mein Handy zu Hause zu lassen, sodass ich nicht der Versuchung widerstehen muss. Am Abend fahren mein Freund, ein paar Freunde und ich mit dem Auto für ein paar Tage in Richtung Kroatien.

09.15 Ich sitze mit der U-Bahn und bin sehr gelangweilt ohne Handy. Ich zähle die Menschen mit Gadgets und beobachte was sie machen. Schrecklich unbequem, ich fühle mich ein bisschen voyeuristisch. Die Hälfte liest Bücher, die andere Hälfte spielt etwas völlig Sinnloses, sie jagen Münzen am Bildschirm, andere schreiben auf Facebook. Asketen wie mich, ohne Handy, gibt es nur wenige: Ein paar alte Frauen und ein Alkoholiker, von dem die Passagiere wegen des höllischen Geruchs weg gehen.

10.00 Im Büro fühle ich mich sehr wohl ohne Handy. Glücklicherweise habe ich beschlossen, meine digitalen Detox nur auf das Telefon und Tablet zu begrenzen. Aber es gibt Leute, die wochenlang ohne Computer auskommen. Ich wunder, wie sie so arbeiten können?

13.40 In der Mittagspause gehe in der Cafeteria, dort bin ich noch deprimierter. Im Raum sind nur Menschen, die  mit irgendwelchen Gadgets interagieren- Handys, Tabletts, Laptops. Es fühlt sich so an, an als ginge ich zu einem Treffen der technokratischen Sekte und alle diese Gesichter diskutieren im Chat über eine Idiotin in ihrer Umgebung – mich.

18.00 Gestern habe ich mit meinem Freund ausgemacht, dass wir uns nach der Arbeit am Eingang zum Museumsquartier genau um 18 Uhr treffen, um dann unverzüglich ans Meer zu fahren. Zu spät komme ich auf einen Haken: An welchem Eingang treffen wir uns, es gibt ja vier? Das ist etwas, das ich vergessen habe, ihm zu sagen. Sehr dumm. Ich laufe von einem Eingang zu anderen, aber ich kann ihn nicht finden. Wie haben sich Menschen früher getroffen, vor der Erfindung des Handys? Der Horror! Nun, bin ich glücklich, dass dieser Detox nur einen Tag dauert, ansonsten könnte ich mich mit niemandem treffen.

20.30 Etwas in unserem Auto beginnt ein verdächtiges Geräusch zu machen. Und dann passiert es. Wir alle sehen wie in Zeitlupe, wie etwas aus dem Motorraum über die Autobahn hinwegsaust. Danach wird der Motor unseres Autos ruhig und wir rollen traurig zu Bordstein.

21.00 Wir stehen auf der Autobahn irgendwo zwischen Wien und Graz. Vorbeifahrende Autos mit einer Geschwindigkeit von 160 km pro Stunde. Erschreckend! Die Jungs suchen mit Ihrem Smartphone die Nummer vom Autoclub und rufen ihn dann auch gleich an. Ich fühle mich sehr hilflos ohne Handy. Ja, kein Telefon in solchen Situation zu haben, ist wirklich schrecklich. Zum Glück bin ich nicht allein unterwegs.

01.00 Der Abschleppwagen hat uns abgeholt, aber wir haben keine Alternative gefunden, um nach Kroatien zu kommen. Also fahren wir nach Hause. Mein Freund gibt mir feierlich mein Handy zurück. Wie schön es sich anfühlt, wieder mit ihm vereint zu sein. Der Bildschirm ist voller Benachrichtigungen. Mann, habe ich dieses Gefühl vermisst.

03.00 Ich bin noch immer auf Facebook. Ich bin die Sklavin meines Handys.

 

Ira Dyagileva ist derzeit Stipendiatin der biber-Akademie. Sie ist russiche Journalistin, die seit 7 Monaten in Österreich lebt. Deswegen einfach ein Auge zu drücken, falls ihr den ein oder anderen Fehler in ihren Blogs entdeckt. Aller Anfang ist schwer und ihr seid bestimmt auch keine Profis in RussischUkrainisch und ein bisschen Polnisch oder?

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