Erdbeben in Hatay: „Meine Familie wurde immer noch nicht gefunden“

07. Februar 2023

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Screenshot: Twitter/Mercan Falter
Screenshot: Twitter/Mercan Falter

"Man hört noch die Hilferufe unter den Trümmern. Die Rettungskräfte sind so lange nicht angekommen, dass die Menschen vor Ort selbst versuchen, die Vergrabenen irgendwie rauszuholen. Die Zivilbevölkerung hat kaum das nötige Werkzeug, wie beispielsweise Eisenscheren, die hier extrem brauchbar wären.“ Die 25-jährige Özben Önal hat Familie in Hatay, einer Provinz in der Türkei an der Grenze zu Syrien, die besonders hart von dem Erdbeben am Montag getroffen wurde. Hatay liegt etwa 170 Kilometer von Kahramanmaraş, dem Epizentrum des Erdbebens, entfernt. Hier leben etwa 1,7 Millionen Menschen. Laut Medienberichten und Social-Media-Postings von Betroffenen waren dort 24 Stunden nach dem Erdbeben noch keine staatlichen Hilfseinheiten vor Ort. Erst nach über 30 Stunden kamen langsam Rettungskräfte in der Region an. Özben und ihre Eltern leben in Deutschland. Seit dem ersten Erdbeben, das gestern um etwa vier Uhr morgens die Provinz erschütterte, versuchen sie immer wieder ihre Verwandten zu erreichen. “Wir haben heute Nacht nicht geschlafen. Wir schauen ununterbrochen die Nachrichten, gleichzeitig warten wir auf einen Anruf. Aber du kommst nicht durch, wir schaffen es, immer wieder 20 Sekunden mit jemandem zu telefonieren, danach bricht die Verbindung ab.“ Die Straßen sind zerstört, das Stromnetz ist in großen Teilen der Provinz zusammengebrochen, das Internet funktioniert nicht richtig. Auch der Flughafen in Antakya ist zerstört. Die schlechten Wetterbedingungen in der Region verschlimmern die Lage zusätzlich. Özbens Tante und Teile der Familie sind unter den Trümmern, mit jeder Stunde sinkt die Hoffnung darauf, dass sie es lebend hinausschaffen. Auch Tankstellen wurden zerstört, was es schwer macht, die Region zu verlassen – aus Hatay heraus bewegt sich eine lange Autokolonne, wie eine Verwandte von Özben berichtet.

 

Ähnliches erzählt auch die Wienerin Mercan Falter. Auch sie hat Familie in Hatay. „Der Mann meiner Cousine ist bei dem Erdbeben ums Leben gekommen. Wir können ihn aber noch nicht wirklich betrauern. Das Hochhaus in Iskenderun, in dem mein Onkel, meine Tante, mein Cousin, seine Frau und ihr Baby lebten, ist in Trümmern. Von ihnen haben wir noch kein Lebenszeichen“, so Mercan. „Wir haben 30 Stunden lang nach Hilfe geschrien, bis endlich Rettungskräfte eingelangt sind.“ Die Zivilbevölkerung versucht, so gut es geht, zu helfen, und die Verschütteten aus den Trümmern zu bergen, aber sie haben einfach nicht die Mittel dazu. „Das ist ein kompletter Alptraum, wir haben so lange auf die Gewissheit, dass überhaupt Rettungskräfte eintreffen, gewartet. Jetzt wird die Hilfe scheinbar wieder abgezogen, ich nehme an, sie triagieren – aber meine Familie wurde immer noch nicht gefunden. Es sind zu wenig Menschen vor Ort, und zu viele, die Hilfe brauchen “, beklagt Mercan. „Mir wird erst jetzt langsam bewusst, dass die Hälfte meiner Familie ihre Häuser verloren hat, viele erreichen wir gar nicht. Ich glaube, wir erkennen alle noch nicht, was für ein kollektives Trauma wir hier gerade erleben“, erzählt die 32-jährige.

Die Opferzahl des Erdbebens an der syrisch-türkischen Grenze seigt immer mehr, die letzten Zahlen sind von Dienstagfrüh, es werden etwa 5.000 Tote bestätigt, mehr als 23.000 sind verletzt. Es werden weiterhin Menschen aus den Trümmern geborgen.

 

Screenshot: Twitter/Mercan Falter
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