EU, wo bist DU? – wenn man dich braucht?

27. Oktober 2020

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Polen Frauen Abtreibung
Foto: lto.de/trac1- stock.adobe.com

Bilder aus Polen mit protestierenden Frauen gehen seit Tagen um die Welt. Warum? Vergangenen Donnerstag wurde ein Gesetz verabschiedet, welches im Jahr 2020 eigentlich gar nichts mehr verloren hat. Die Leidtragenden dieses Gesetzes? Richtig, Frauen. Und die ganze Welt schaut mal wieder nur zu...

Lange habe ich überlegt, ob ich mich zu diesem Thema überhaupt äußern sollte. Dann aber habe ich mir gedacht: „Aber ich bin auch eine Frau. Ich bin eine Frau, lebhaft in Österreich, einem EU-Mitgliedsland. Ich bin eine EU-Bürgerin. Eine EU-Bürgerin, so wie auch jede einzelne polnische Frau eine EU-Bürgerin ist. Und doch unterscheiden sich meine Freiheiten von denen einer Polin gewaltig. Allein diese Tatsache hat mich dazu bewegt, meinen Mund nicht länger zu halten und diese Zeilen zu schreiben.

Polen zählte bislang sowieso schon weltweit zu jenen Ländern mit den strengsten Abtreibungsgesetzen. Einer Frau war es nur in drei Fällen verfassungsrechtlich erlaubt, ihr Kind abzutreiben: 1) Wenn die Schwangerschaft die Gesundheit der Frau gefährdete. 2) Wenn das Kind als Resultat einer Vergewaltigung entstand und 3) wenn der Fötus schwerwiegende „Schäden“ aufwies. Seit Donnerstag ist eine Frau nun rechtlich gezwungen ihr Kind zu behalten, auch wenn sie weiß, dass ihr Kind eine schwere Behinderung und/oder massive Einschränkungen haben wird und niemals ein „normales“ Leben führen kann.

Das Thema Abtreibung ist an sich schon mehr als heikel. Ich denke, jede Frau würde mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass es für keine Frau eine leichte Entscheidung ist, sich gegen das eigene Kind zu entscheiden. Im Gegenteil. Das ist eine Entscheidung, die eine Frau ihr Leben lang begleiten wird. Deshalb ist es auch falsch, eine Frau für eine Abtreibung zu verurteilen. Eine Frau, die abtreibt, entscheidet sich eigentlich nicht gegen ihr Kind, sondern sie entscheidet sich dazu, dass sie ihrem Kind nicht das bieten kann, was es braucht. Ein Kind bedeutet eine große Verantwortung und eine große Herausforderung. Ein schwerbehindertes Kind bedeutet eine noch viel größere Verantwortung und Herausforderung. Sowohl emotional als auch finanziell. Polen ist im Gegensatz zu Österreich kein sozialer Rechtsstaat und hat somit kein soziales System, um betroffene Familien ausreichend zu unterstützen. Das heißt, ein Leben für eine Familie mit einem pflegebedürftigen Kind ist so gut wie unmöglich.

Und wer sind die, die dieses Verbot begrüßen? Genau! Es sind vorwiegend Männer, Bischöfe und Mitglieder religiös konservativer Kreise. Sie und die amtierende erzkonservative Regierungspartei (PiS) begründen das Abtreibungsverbot mit „dem Recht auf Leben“. Eben dieses scheinheilige Getue, von wegen „Schutz des Lebens“ ist nichts anderes als ein gravierender Einschnitt in die Menschenrechte und ein großer Rückschritt. Dass wir im Jahr 2020 überhaupt noch über solche Gesetze diskutieren, ist einfach traurig und absurd. Was für ein Leben hat denn das Kind, wenn sich niemand darum kümmern kann?

Dass gerade ich so rede, mag für einige vielleicht widersprüchlich sein. Ja, ich habe - auch wenn ich mich persönlich nicht so definiere - eine körperliche „Einschränkung“. Meine Mutter hat sich damals für mich und für ein Leben mit einem Kind ohne Unterarme entschieden. Auch mein Vater hat nicht eine Sekunde an dieser Entscheidung gezweifelt, wofür ich beiden zutiefst dankbar bin! Danke Mama, danke Baba! Alle Mütter, alle Familien, die sich trotz einer (schweren) Behinderung für ihr Kind und gegen eine Abtreibung entscheiden, haben meinen vollsten Respekt! 

Aber was ist mit jenen Frauen, die einfach nicht in der Lage sind, sich um ein Kind mit Behinderung oder einer unheilbaren Krankheit zu sorgen? Und genau darum geht es: Jede schwangere Frau sollte das Recht haben, selbst über ihren Körper und ihre Zukunft entscheiden zu können. Kein Mensch und kein Staat sollte einer Frau diese Entscheidung verweigern!

Wenn man diese Entwicklungen in Polen beobachtet, vergisst man fast, dass sich die Ereignisse mitten in Europa, innerhalb der EU, abspielen. Auf ihrer Homepage beschreibt die EU ihr oberstes Ziel folgendermaßen: „Förderung des Friedens, der europäischen Werte und des Wohlergehens ihrer Bürgerinnen und Bürger“. Auf die Frage, wie die EU denn auf die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes reagieren werde, kam nur die Antwort, dass die Gesetzgebung hier in der Hand des jeweiligen Landes sei. Nun stellt sich mir die Frage: Wie war das nochmal mit der Förderung europäischer Werte? Entspricht das Recht von Frauen etwa nicht diesen Werten? 

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