Gemeindebau extra scharf

14. August 2017

Über die Senfbauten wird viel gemunkelt und geschimpft, aber in Wirklichkeit sind sie eine wahre Perle des kommunalen Wohnbaus. Es folgen Erinnerungen und Tipps einer Insiderin aus der Mega-Hood.

Karl-Wrba-Hof? Senfbauten! Der architektonische Schand- oder Schönheitsfleck mit seiner schwefelfarbenen Fassade erhebt sich wie ein gigantischer Termitenhügel über die Skyline von Favoriten. Dieser Gemeindebau war zwanzig Jahre lang mein Zuhause - bevor ich in die Leopoldstadt zog. Er ist für viele ein unergründbarer Komplex aus Stiegen, Durchgängen und Innenhöfen – man trifft hier auf quirlige Kinder, grantige Nachbaren mit noch grantigeren Hunden und auf überforderte, sich durchfragende Besucher, welche die Orientierung in dieser Ministadt verloren haben.

Die Senfbauten plagt ihr Ruf eine Problemgegend, ja sogar ein Ghetto zu sein. Aber wenn man mich fragt wie es wirklich war dort aufzuwachsen, dann kann ich nur sagen: schön eigentlich. Ich weiß ganz genau an welchen Gebäudeecken der warme Wind eine Mischung aus Bonbonpapier und ausgespuckten Sonnenblumenkernschalen aufwirbelt, wie kleine Tornados aus Müll fegen sie dann durch die Höfe.  Und die schwüle Leberkäseluft in "Nikos Greißler" kann ich auch niemals vergessen, wo wir als Kinder schon für einen Euro ein großes, gemischtes Sackerl Süßigkeiten bekamen. Schade, dass heute ein dubioser Handyshop Nikos Platz eingenommen hat.

Der Winter kann hart sein in den Senfbauten. Besonders an Silvester ist hier die Hölle los. Am besten gibt man dem Hund dann nachmittags nichts mehr zu fressen, damit man nachts nicht mehr mit ihm vor die Tür muss. Einmal im Jahr brechen hier kriegsähnliche Zustände aus – die Flachbaudächer und Balkone der Stiegen in den Arkadenhöfen werden zu Raketenrampen für unsere Möchtegern-Pyrotechniker. Wer auch immer sich gegen Mitternacht noch auf der Straße aufhält, ist a) nicht von hier oder b) lebensmüde. Mancher Neubewohner hält sich für besonders schlau und bestellt sich dann einfach eine Pizza um gemütlich vor dem Fernseher zu feiern – ein klassischer Anfängerfehler. Wenn der Bote nämlich da ist, wird er garantiert anrufen um sich von der Bimstation abholen zu lassen, weil er sich verlaufen hat – und schon findet man sich doch im Feuerwerksinferno wieder.

Tja, die Regeln des Spiels müssen gelernt sein in der Hood. Aber beherrscht man sie, kann man hier zwanzig Jahre lang gut leben – so wie ich.

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