Generation Praktikum

29. September 2016

Mein erstes Praktikum habe ich mit 19 gemacht. Es ging um organisatorische Arbeit bei einer NGO in Rumänien, wobei ich weder bezahlt wurde, noch viel gelernt habe. Meine Generation hätte man ebenso gut in „Generation Praktikum“ umbenennen können. Man kommt halt irgendwann zu einem guten Job nicht anders.


Praktika sind das neue Studium

Früher widmete man als Student seine Zeit zu 100 Prozent dem Studium. Man ging ein paar Jahre auf die Uni und gleich danach bekam man eine Stelle, die man üblicherweise bis zum Ende seiner Karriere innehatte. Man schloss eine Ausbildung in einem Bereich ab und wurde zu einem Experten auf jenem Gebiet, in dem man auch angestellt war. Jetzt ist das System viel flexibler. Es gibt zahlreiche Quereinsteiger unter den Absolventen. Nur studieren ist heute etwas blöd und kein Arbeitgeber nimmt sich mehr Zeit, sich einen Lebenslauf ohne Praktika, Volontariate und Projekte anzuschauen. Unter diesen Umständen ist es völlig normal, dass das Studium beträchtlich an Bedeutung verliert und Studenten miteinander kämpfen, um Praktikumsplätze zu ergattern.

Kaffee kochen und Dokumente einscannen

Dieser Kampf heißt auch Praktikum um jeden Preis. Das Hauptziel ist meistens, den CV mit möglichst vielen außercurricularen Aktivitäten auszuschmücken. Etwas daraus zu lernen zählt öfters nicht zu den obersten Prioritäten. Solange man einen schwerwiegenden Konzern- / Organisationsnamen in den Lebenslauf hineinschreiben kann, ist die tatsächliche Tätigkeit da irrelevant. Es gibt viel zu viele Praktika, wobei Praktikanten nichts anderes zu tun haben, als Kaffee für alle Mitarbeiter zu kochen, im Büro aufzuräumen, Dokumente einzuscannen und all die langweiligen und aufwendigen Aufgaben zu erledigen, auf die die Fixangestellten keine Lust haben. Dass man wie ein Bediener behandelt wird und nicht wie eine anständige Person, wird dem Praktikanten zum Verhängnis.

 

Das Geld im Hintergrund

„Keine Arbeit ohne Geld“ ist ein Motto, von dem viele Praktikumsanbieter anscheinend nicht gehört haben. Ich habe sowohl bezahlte als auch (viel mehr) unbezahlte Praktika abgeschlossen. Als Übersetzerin habe ich sogar Hunderte von Seiten aus Fachtexten übersetzt, für die ich nicht einmal einen Cent bekommen habe. Und ich bin nicht die einzige: Viele erklären sich am Anfang dafür bereit, viele Stunden fleißig zu arbeiten ohne Geld zu kriegen. Die Erfahrung zählt und alles wird sich bestimmt irgendwann auszahlen. Ich sage nicht, dass man Praktikanten viel Geld geben muss. Sie sind noch grün hinter den Ohren und alle müssen ja from the bottom starten. Jede kleine Summe trägt aber dazu bei, den Praktikanten zu zeigen, dass man ihre Arbeit wertschätzt. So werden sie auch produktiver und nehmen ihre Arbeit ernster als sonst.

Was krieg‘ ich denn sonst?

Das fragen sich viele Praktikanten, die weder Geld verdienen, noch Erfahrung sammeln. Alles, was man bekommt, ist „Erfahrung auf Papier“. Sie zählt auch für künftige unbezahlte Praktikumsplätze. Der Praktikumsmarkt heutzutage verhält sich wie ein Teufelskreis: Ohne Praktikum bekommt man keinen Job, mit Praktikum kommt man zu einem anderen unbezahlten Praktikum. Viele Menschen im Alter von 20 – 30 sind die Generation der ewigen Praktikanten. Das ist auch so, weil sich die Studenten von heute nicht mehr für eine einzige Branche entscheiden können. Solange die Möglichkeit besteht, Luft in verschiedenen Bereichen zu schnuppern, fühlt man sich nicht mehr gezwungen, schon mit 20 zu wissen, was man für den Rest seines Lebens machen will. Und so bleibt man auch mit 30 von den Eltern abhängig, weil man das fünfte unbezahlte Praktikum macht.

 

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