„Kinder ertranken, wo wir herumgeplanscht haben.“

18. Juli 2019

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Flüchtlingshilfe Echo100Plus
Foto: Attila Durak

Während die Politik in der Flüchtlingshilfe versagt, zeigt Echo100Plus, wie es richtig geht. Der Verein bietet geflüchteten Menschen Schutz, Verpflegung und Orientierung auf Griechenland. Wir haben mit einer der Gründerinnen, Catharina Kahane, gesprochen.

Die mediale Aufmerksamkeit mag abnehmen, doch das Leben tausender Flüchtlinge in Europa bleibt im Ausnahmezustand. Viele von ihnen kommen nach Griechenland und warten oft Jahre auf einen Asylbescheid. Eine wesentliche Unterstützung in dieser Zeit ist die Organisation Echo100Plus. Die Gründerinnen Catharina Kahane, Gabriella Dixon und Gabriella Herberstein sowie freiwillige HelferInnen geben geflüchteten Menschen neben Schutz und Verpflegung vor allem ein Gemeinschaftsgefühl. 

biber: Wie ist Echo100Plus entstanden?

Catharina Kahane: Es begann als Familien- und Freundesinitiative. Da wir teilweise in Griechenland aufgewachsen sind und dort seit Kindertagen die schönsten Sommer verbrachten, schien es selbstverständlich, auch in Zeiten der Krise aktiv zu werden. Als die Auswirkungen der Finanzkrise spürbarer wurden, unterstützten wir lokale NGOs und gründeten 2012 den Verein. Durch die sogenannte Flüchtlingskrise schien es 2015 nur konsequent, die Hilfe auf Flüchtlinge auszuweiten. Die Vorstellung, dass Menschen, dass Kinder ebendort ertranken, wo wir in unserer Kindheit herumgeplantscht haben, war unerträglich. Und nachdem wir an den Ursachen dieser Migrationsbewegungen nichts ändern können, gehen wir das Problem vom anderen Ende an.

Echo100Plus
Foto: Echo100Plus

Welche Aufgaben trägt der Verein?

Seit 2015 sind wir auf griechischen Inseln und dem Festland in der Flüchtlingshilfe tätig. Finanziert werden wir nur über Privatspenden. Ohne die Hilfe der Freiwilligen, die unter Anleitung von Koordinatoren den Alltag vor Ort schaukeln, wären wir nichts. Die Bereitschaft ist überraschend groß: Je inhumaner die Politik wird, desto mehr Menschen melden sich bei uns. Die Helfer verteilen Kleider und Hygieneartikel, unterrichten Sprachen, Musik- oder Computerklassen und organisieren Sportprogramme. Sie sind mit Bestimmtheit das Rückgrat der Organisation. Wir Gründerinnen konzentrieren uns auf die Arbeit im Hintergrund, zu unseren Aufgaben zählt u.a. das Rekrutieren der Freiwilligen, das Auftreiben von Spenden und das Lancieren von Projekten.

Was kann man sich unter dem Echo-Hub vorstellen?

Der Echo-Hub ist unser Tageszentrum auf Leros, in dem Geflüchtete ihre Wartezeit auf den Asylbescheid mit Kursen aller Art verkürzen können. Hier findet nicht nur der tägliche Unterricht statt, es ist auch ein Treffpunkt für Freiwillige, Geflüchtete und Mitglieder der lokalen Bevölkerung, die regelmäßig zu Konzerten, Ausstellungen und anderen Aktivitäten kommen. Hier besteht die Möglichkeit des gemeinsamen Lernens und gegenseitigen Kennenlernens. Dadurch hat sich mittlerweile ein großes, solidarisches Netzwerk entwickelt, denn wir bleiben nicht nur mit den meisten Freiwilligen in Kontakt, sondern auch mit vielen Flüchtlingen, und versuchen sie aus der Ferne zu unterstützen. 

Echo100Plus
Foto: Echo100Plus

Was hat sich seit der Flüchtlingskrise 2015 verändert?

Die Flüchtlinge von 2015 verblieben im Schnitt 3-4 Tage auf den Inseln. Man versorgte sie mit dem Allernotwendigsten wie Essen und Kleidung, und vor allem mit menschlicher Wärme und Trost. Seit März 2016 und der Unterzeichnung des EU-Türkei Pakts sieht die Situation anders aus. Die Mindestwartezeit für den Asylbescheid beträgt im Schnitt ein Jahr, wenn er denn positiv ausfällt. Währenddessen dürfen die Flüchtlinge weder arbeiten, noch die Inseln verlassen. Wenn sie Asyl bekommen, beginnt die Uhr zu ticken: Sie haben 6 Monate, bis sie aus dem Unterstützungsprogramm rausfallen und ihre Unterkunft und finanzielle Unterstützung verlieren. Danach sollten sie auf eigenen Beinen stehen, was naturgemäß nur wenige Menschen schaffen. Deshalb muss die Wartezeit möglichst effizient genutzt werden.

Ist die Arbeit manchmal frustrierend, angesichts der geringen politischen Unterstützung? 

Im Grunde tun wir nur das, was wir von einer halbwegs zivilisierten Politik erwarten würden: Fliehenden Menschen Aufnahme und Schutz gewähren, und sie soweit zu unterstützen, dass sie möglichst schnell ihre Autonomie zurückgewinnen. Bis zu einem gewissen Grad tragen wir die Konsequenzen unserer Politik, denn diese ist maßgeblich in die Konflikte dieser Regionen verstrickt. Das Mindeste ist, dass wir uns um die ankommenden Menschen kümmern. Dafür gibt es von der Politik und leider auch einer Vielzahl unserer MitbürgerInnen nur Schimpf und Schande. Doch so frustrierend die aktuelle Politik auch sein mag, die Arbeit mit den Freiwilligen und Geflüchteten vor Ort ist unglaublich inspirierend und positiv, und das entschädigt jedenfalls teilweise für die Mühe.

Echo100Plus
Foto: Echo100Plus

Wie finden Sie nach Ihrer anspruchsvollen Arbeit Ablenkung?

Ich muss zugeben, dass es im Moment schwerfällt, uns abzulenken. In Wirklichkeit wollen wir uns auch gar nicht ablenken, denn was gerade passiert, braucht volle Konzentration und Zuwendung. Auch wenn ich Ihnen jetzt sage, ich lese ein Buch oder treffe Freunde – ganz loslassen kann wohl keine von uns. Wir lenken uns also nicht ab, sondern versuchen bestenfalls uns auszuruhen, um für die doch recht anspruchsvolle und vielfältige Arbeit einen klaren Kopf zu bewahren. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.

 

Auf Instagram berichtet Echo100Plus regelmäßig über den Alltag im Echo-Hub und die generelle Situation in Griechenland: www.instagram.com/echo100plus/.

Wer die Arbeit von Echo100Plus unterstützen möchte, kann auf der Website spenden: www.echo100plus.com/en/donate.

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