Schulbeginn in Österreich: Und raus bist du!

23. September 2016

Die meisten Kinder stöhnen, weil sie nicht mehr so lange schlafen können. Eltern stöhnen, weil sie Berge an Materialien besorgen und alles organisieren müssen. Lehrer stöhnen irgendwo zwischen Lehrplan und Unterrichtsrealität, mit der sie täglich zu kämpfen haben. Öffi-Fahrer stöhnen angesichts von Gruppen quasselnder, schreiender, raufender SchülerInnen zu den Stoßzeiten und  als Normalsterblicher möchte man in diesen Tagen Papierfachgeschäfte lieber meiden. Ladies and Gentlemen: Schulbeginn in Österreich.

Jetzt stell dir einen 15-Jährigen vor, der nichts lieber möchte, als in die Schule zu gehen und zu lernen. Jeden Tag Freunde treffen, neue Freundschaften knüpfen, ein Stück Normalität leben. Und dann wird ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr in die Schule gehen DARF. Nicht in Afrika, Syrien oder Sibirien, sondern in Österreich.

So ist es Ayob ergangen, der sich in einem Brief an den zuständigen Landesrat wandte. Und so wie ihm ergeht es auch über hundert anderen Jugendlichen, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen. Hintergrund ist das Schulunterrichtsgesetz, welches es außerordentlichen SchülerInnen verbietet, das freiwillige 10. Schuljahr zu absolvieren. Als „außerordentlich“ gelten beispielsweise SchülerInnen, deren Deutschkenntnisse noch nicht gut genug sind, um regulär beurteilt zu werden.

Den Jugendlichen werden stattdessen Bildungsangebote für Erwachsene nahegelegt, wie etwa Basisbildungs- oder Alphabetisierungskurse. Sie sollen quasi in „eigene Angebote“ abgeschoben werden, die aber für sie oft nicht „geeignet“ sind.  Und das obwohl viele von ihnen schon einen Platz an einer Schule hatten. Wie war das noch von wegen Integration? Und war da nicht was mit der Ausbildungspflicht für alle? Ach so, Moment mal, davon wurden ja auch asylwerbende Jugendliche elegant ausgenommen mit dem Verweis auf mehr Budget für Alphabetisierungs- und Deutschkurse. Was genau meint man eigentlich, dass aus diesen Jugendlichen in 10, 20, 30 Jahren werden soll? Schreiben die dann in ihrem Lebenslauf: Ich bin weder integriert noch habe ich Qualifikationen, aber ich kann besser Deutsch als die meisten, die das österreichische Schulsystem durchlaufen haben“?

Natürlich möchte ich diese Form der außerschulischen Angebote keinesfalls schlechtreden. Ich bin selbst Deutschtrainerin im außerschulischen Bereich und ich arbeite in Projekten eigens  für Jugendliche. Es macht mich aber verdammt sauer, dass viele Jugendliche nun zu mir in den Deutschkurs kommen, weil sie nicht mehr zur Schule gehen DÜRFEN. Das eine kann das andere doch nicht ersetzen und Deutsch- oder Alphabetisierungskurse alleine sind keine Ausbildung sondern in diesem Kontext mehr eine Ausrede. Es ist schlicht und ergreifend zynisch, Menschen, die hier ankommen und zu partizipierenden Mitgliedern der Gesellschaft werden sollen permanent auf ihre mangelnden Deutschkenntnisse zu reduzieren und ihnen dadurch Chancen auf eine gute Integration und Ausbildung zu nehmen. So und zwar genau so züchten wir uns nämlich die Art von Problemen heran, „die wir hier bei uns nicht haben wollen“. Und zwar hausgemacht.

Natürlich. Als Gegenargument könnte man ja jetzt sagen, dass man nicht die ganze Verantwortung auf die Schulen schieben kann, die Herausforderungen sind schlicht zu groß. Ja, ich kann dem nur beipflichten, die Herausforderungen sind riesig und ich ziehe jeden einzelnen Tag tief den Hut vor den PädagogInnen, die diese Herausforderungen so gut sie nur können meistern. Allerdings ist es ja auch so, dass diese Herausforderungen nicht erst seit 2 Jahren bestehen. Das Problem mit mehrsprachigen SchülerInnen oder SchülerInnen, die als QuereinsteigerInnen gar nicht Deutsch können, existiert schon viel länger. Es ist schlicht falsch, dies als eine Neuheit darzustellen. Und ebenso viel länger hätte man auch darauf reagieren und vorausschauend planen können. Es gibt eine Reihe von Konzepten einerseits und auch Fachkräfte im Bereich Deutsch als Zweitsprache andererseits. Längst wird gefordert, sie und ihre Expertise im schulischen Bereich zuzulassen. Auch die Ausbildung von LehrerInnen hätte den Herausforderungen verstärkt angepasst werden können.

Aber so wie die Dinge liegen wirft die momentane Situation nicht nur ein trauriges Bild auf unsere Integrations- sondern vor allem auch auf unsere Bildungspolitik. Man macht so lange die Augen zu vor Problemen, bis sie von selbst verschwinden. Und verschwinden sie nicht von selbst, gibt man sich völlig überrumpelt und stampft panikattackenartig irgendwelche Maßnahmen aus dem Boden. Langfristige Planung, Qualität, Expertise? Nicht in Österreich, Schätzchen.

Durch Ausgrenzung löst man mit Sicherheit keine Probleme. Und Herausforderungen, die man versucht abzuschieben, werden dadurch nicht kleiner.

Aber was reg ich mich eigentlich so auf? Zeitgleich rufen besonders besorgte Bürger dazu auf, massenhaft Schulbücher zu zerstören, weil diese irrtümlich einen Präsidenten ausweisen, der ihnen nicht zu Gesicht steht. Und an diesem Punkt schaue ich noch einmal den Brief von Ayob an, in dem er um Bildung bettelt, und habe zum ersten Mal das Gefühl, dass wir schlicht nicht mehr zu retten sind.

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