Warum jeder Mann sexistisch ist

17. November 2021

Warum Sexismus keine Frage von „Gut und Böse“ ist, und wieso sich jeder einzelne Mann gründlich mit Sexismus auseinandersetzen sollte.

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Markus Spiske/Pexels

Jeder Mann ist ein Sexist, behaupte ich. Mir ist sehr bewusst, dass mich diese Aussage samt Artikel nicht unbedingt in die österreichischen Top Ten der beliebtesten Menschen katapultieren wird. Ich weiß auch, dass der Titel gewagt ist und bei den meisten von euch wohl auf eine Abwehrhaltung stoßen wird. Aber: Ego kurz beiseite. Lest den Text erstmal, ihr könnt ihn ja danach noch immer scheiße finden.

Ja, auch in Österreich gibt’s Sexismus

Beginnen wir bei den Basics. Wir leben in einer patriarchal strukturierten Welt, davon ist auch Österreich nicht ausgenommen. Das ist ein Fakt und steht auch nicht zur Diskussion. Erkennbar werden die patriarchalen Strukturen in allen menschlichen Lebensbereichen. Auch heute ist es zum Beispiel traditionell so, dass die Frau in einer Ehe ihren Namen ablegt und den ihres Ehemanns annimmt. Die Kinder, die aus dieser Ehe entstehen, tragen ebenfalls ganz selbstverständlich den Namen des Vaters. Und so als ob erwachsene Frauen auf die Erlaubnis ihrer Väter angewiesen wären, laufen Männer trotzdem zuerst zum Vater der Frau, um dort um deren Hand anzuhalten. In diesen Ehen und Beziehungen ist die Rollenverteilung bis heute noch sehr klar: Frau macht den Haushalt, Mann verdient das Geld.

Das Patriarchat ist also bis in unsere alltäglichsten Handlungen verwurzelt und sitzt sehr tief. So tief, dass es in der breiten Gesellschaft auf selbstverständliche Akzeptanz stößt und kaum hinterfragt wird.

Gerade weil es so weit verbreitet ist, sind diskriminierende Handlungen häufig unbeabsichtigt und unbewusst. Das bedeutet diskriminierende Aussagen und Handlungen können auch aus einer eigentlich guten Intention heraus getätigt werden. Ich bin überzeugt, dass Menschen tatsächlich nichts Böses im Sinn haben, wenn sie einer migrantisch gelesenen Person sagen, dass sie gut deutsch spricht, obwohl sie vielleicht in Österreich geboren und aufgewachsen ist. Genauso glaube ich, dass sich Männer oft gar nicht bewusst sind, wie unpassend ihre „gut gemeinten“ Kommentare über das Aussehen von Frauen sind. Gut gemeint ist halt nicht immer gut gemacht.

Und wer es gut meint, und ganz unbewusst Schaden anrichtet, der rechnet nicht mit Kritik und ist wahrscheinlich auch nicht gut darauf zu sprechen, wenn er sie doch zu hören bekommt.

Gut und Böse

Nicht zuletzt deshalb müssen wir aufhören Diskriminierung moralisch aufzuladen. Wenn ich sage „alle Männer sind sexistisch“, sage ich nicht „alle Männer sind böse“. Aber genau das kommt bei einem Großteil der Männer an. Wie gesagt, es geht hier nicht um gut oder schlecht, die Intention einer Person spielt hier keinerlei Rolle.

Es braucht also dringend Änderungen in der Art, wie wir gesellschaftlich, medial und politisch mit dem Thema Diskriminierung umgehen. Denn wir lernen früh: rassistisch ist jemand, der böse ist, der böses tut. Rassisten zum Beispiel waren die Nazis, oder der Ku-Klux-Klan. Ein Sexist ist jemand, der seine Frau schlägt, oder aus dunklen Seitengassen hervorspringt, um sie zu ermorden oder zu vergewaltigen. Diese Erzählung vergisst dabei allerdings auf subtilere Ausprägungen, die Diskriminierungsformen annehmen können. Physische Gewalt, Folter und Mord sind oft nur die Spitze eines Eisbergs, der tausende Meter tief ist. Für viele jedoch nicht sichtbar, weil ihn der tiefschwarze Ozean verdeckt. Feminismus ist in dem Fall die Tauchausrüstung, die dabei helfen soll, den Rest des Eisbergs zu erkennen, so verborgen er auch sein mag. Denn nur wer Diskriminierung als solche erkennt, und das System dahinter wahrnimmt, kann sie bekämpfen und dagegen vorgehen.

Wenn ich also einen Text verfasse und die Männer da draußen anspreche, möchte ich euch nicht den Vorwurf machen ihr wärt schlechte Menschen. Ich möchte bloß dazu anregen euch selbst und euer Verhalten zu hinterfragen. So nervig Feminismus für euch auch sein mag, das Leben von Frauen, mein Leben, hängt davon ab, dass ihr euch die Kritik zu Herzen nehmt.

Laut AÖF (Autonome Österreichische Frauenhäuser) werden drei von vier Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer von sexualisierter Gewalt. Rund 75 Prozent aller Frauen können also mehrere Geschichten über Gewalt und Belästigung aus allen Lebensbereichen erzählen. Die Wahrscheinlichkeiten stehen recht gut, liebe Männer, dass ihr selbst als Hauptrolle in einer dieser Geschichten vorkommt.

Hinterfragt euch selbst

Bevor ihr euch also angegriffen fühlt, weil ich es wage euch als sexistisch zu bezeichnen, stellt euch mal folgende Frage: was macht euch so sicher, dass ihr NICHT sexistisch seid?

Seid ihr bereit diejenigen zu sein, die als einzige nicht über den sexistischen Witz lachen? Den Witz sogar zu kritisieren und die „Spaßbremse“ zu sein? Weist ihr eure männlichen Freunde zurecht, wenn sie sich unpassend verhalten? Habt ihr rein freundschaftlich mit Frauen zu tun, also ohne etwas von ihnen zu wollen? Wenn eine Frau erzählt, dass sie von jemandem, den ihr sehr mögt belästigt oder vergewaltigt wurde, seid ihr bereit ihr euren Glauben zu schenken? Wenn ihr für euer Verhalten kritisiert werdet, wärt ihr bereit eure Egos beiseitezulegen und die Kritik anzunehmen? Versucht ihr euch eurer Privilegien als Männer bewusst zu werden?

Sexismus ist etwas Erlerntes, etwas, womit wir alle aufgewachsen sind, weil wir alle in eine patriarchale Gesellschaft hineingeboren wurden. Erlerntes kann aber auch verlernt werden. Es ist schwer, aber notwendig. Die Verantwortung sich jede Mühe zu machen sexistische Verhaltensweisen bei sich selbst zu erkennen, reflektieren und verlernen liegt bei jedem einzelnen Mann. Für euch ist es vielleicht „unangenehm“ oder „nervig“, für Personen, die von sexistischer Gewalt betroffen sind, ist es jedoch lebensbedrohlich, wenn diese Auseinandersetzung nicht passiert.

Es muss Männern nämlich allmählich klar werden, dass sie unglaublich viele Vorteile genießen dürfen, die für alle anderen nicht selbstverständlich sind. Urinieren am Straßenrand und bei jedem Event, so als ob die Straße euer privates Klo wäre. Nachts vom Club angstfrei und sicher zuhause anzukommen. Oben ohne posieren, ohne gleich den Account von Instagram, Twitter und Co gesperrt zu bekommen und belästigt zu werden.

All diese Freiheiten, müssen wir uns aber noch erkämpfen. Männer leben sie währenddessen, ohne nachzudenken, einfach Tag für Tag aus.

Dass jemand eure mangelnde Selbstreflexion kritisiert und eure Bemühungen hinterfragt, ist deshalb nicht nur gerechtfertigt, sondern unheimlich wichtig. Eine Abwehrhaltung und ein verletztes Ego bringen uns in der Debatte nicht weiter. Wir haben nämlich keine Zeit zu verlieren. Jeden Tag erlebe ich, wie Frauen unterrepräsentiert werden, wie sie missbraucht werden, für selbstverständlich genommen werden, wie sie für die gleiche Arbeit weniger bekommen, wie sie nicht ernst genommen werden. Es ist untragbar und ich bin nicht bereit mir diese Ungerechtigkeit noch länger anzusehen. Ich möchte nicht sterben, ohne die Gerechtigkeit, die wir alle verdienen selbst miterleben zu dürfen. Ich weigere mich – und doch, habe ich letztendlich keine Wahl. Mein Lebensziel hängt davon ab wie viele Männer bereit sind mir, und anderen Feminist*innen zuzuhören und zu handeln.

 

Autorin Maryam Al-Mufti ist 22 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft im Master. Sie ist in Bagdad geboren und nach dem Krieg mit ihrer Familie nach Wien gekommen. Heute setzt sie sich viel mit Diskriminierungsformen auseinander.

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Kommentare

 

Leider kann ich auch von mir nicht sagen, ich sei nicht sexistisch. Das betrifft übrigens Rassismus ebenso, obwohl ich glaube, dass mir weder sexistische noch rassistische Aussagen oder gar Handlungen "unterlaufen".
Ich würde mir wünschen, alle Menschen wirklich gleich zu erleben, statt nur die Überzeugung zu haben, dass sie gleichwertig sind.

Ja, und da kommen in unserer patriarchalischen Gesellschaft auch die Frauen ins Spiel, die diese Gesellschaft mitprägen. Das fängt beim Kinderwunsch an - wer hat den zumeist und wer steht da durch das Ticken der biologischen Uhr unter Druck und sieht sich im Konflikt der verschiedenen Rollenwünsche (Elternschaft, Beruf)? Wer fordert bestenfalls Partnerschaftlichkeit in Haushalt, Erziehung usw. von wem ein? Wer hat auch im Biber eine Seite "life & style", gibt mehr für Kleidung und Kosmetika aus, um (ja was eigentlich?)? usw!

Was sehen also Kinder in 97 von 100 Fällen?
Klassische Rollenverteilung mit ein bisschen intellektuellem Überbau als Ausrede.
Herauskommen Mädchen in Rosa, die vielleicht auf Bäume klettern dürfen (sie sollen auch ihre "wilde Seite ausleben dürfen!) und Buben mit Autoliebe, die vielleicht weinen dürfen (weil aufgeklärte Eltern versuchen, das auszuhalten). Und der Kreislauf beginnt von vorne, sobald diese Mädchen ihren Kinderwunsch ausleben wollen...

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