Warum sich einige Musliminnen in Österreich unsicher fühlen

25. April 2017

Bespuckt, beschimpft und bedroht: Drei junge Musliminnen erzählen von islamophoben Übergriffen auf offener Straße.

Muslima
©Ermira Mena

Es ist acht Uhr abends, Sarah und ihre ältere Schwester spazieren vertieft in ein Gespräch die Mariahilfer Straße entlang. Sie genießen das schöne Wetter, unterhalten sich über Alltägliches. Den etwa 40-jährigen Mann auf der anderen Straßenseite bemerken sie nicht. Auch nicht, als er seinen Hund von der Leine lässt und ihnen immer schneller und wütender entgegen kommt. Erst, als er anfängt, sie zu beschimpfen, reißt er sie aus ihrer Unterhaltung. „Zuerst hat er uns angespuckt, dann laut ‚fuck arab terrorist‘ und ‚put Mohammed in your ass‘ geschrien“, erinnert sich die 16-Jährige.

Angst macht sich in den beiden jungen Musliminnen breit. Schlagfertig kontern oder gar das Gespräch mit ihm suchen? Unmöglich. Sarahs Stimme ist zittrig, während sie erzählt, sie ist sichtlich angespannt. „Meine Schwester hat versucht, sich selbst und mich zu beruhigen“, erzählt die Schülerin weiter. „Sie hat gesagt, dass der Mann nicht bemerken darf, dass wir Angst haben.“

Ein Einzelfall? Wohl kaum. Denn auch wenn die vorläufigen Zahlen vom Bericht des Verfassungsschutzes für vergangenes Jahr keinen Anstieg von Angriffen auf Muslime bestätigen, erlebt mein Umfeld etwas anderes. Ja, eine subjektive Wahrnehmung, deswegen aber nicht weniger beängstigend für Betroffene. Das Profil fragt Ende Februar, wie gefährlich das Leben von Muslimen in Österreich wirklich ist. Aus dem Artikel geht hervor, dass man zwischen tatsächlicher und gefühlter Islamophobie unterscheiden muss. Jene jungen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, bilden sich aber nichts ein. Die Übergriffe sind eindeutig islamophob gelenkt. Auch wenn die Anzahl der Attacken nicht gestiegen ist, so muss man doch darüber sprechen, denn sie passieren ja.

Sarah und ihre Schwester schaffen es, Schlimmeres zu verhindern, indem sie in eine Seitengasse flüchten und den Mann hinter sich lassen. Auf meine Frage, ob andere Menschen in der Nähe waren, antwortet sie mit einem bitteren Lachen: „Ja, es waren auch noch andere da, aber unternommen hat wie immer niemand etwas.“

Auch Noura hätte sich Hilfe gewünscht, als sie eine etwa 50-jährige Frau durch einen Supermarkt verfolgt und beschimpft hat. „Ihr Scheiß-Muslime geht mit unserem Geld einkaufen“, habe ihr die Frau hinterhergerufen. „Ihr folgt einer unterentwickelten Religion aus der Steinzeit und nehmt einen Kinderschänder namens Mohammad als Vorbild.“ Noura kann sich noch sehr genau an die Situation von vor ein paar Wochen erinnern. Zunächst versucht die 20-Jährige, mit der Dame zu sprechen, als diese ein Pfefferspray zückt, „weil sie sich vor Muslimen schützen muss“, sucht Noura das Weite. „Sie hat mich quer durch den Laden verfolgt, ich wollte nur noch raus“, erzählt Noura.

Als ich mich auf diese Suche nach Musliminnen mache, die beschimpft oder attackiert wurden, melden sich innerhalb kürzester Zeit sieben. Die Motive waren eindeutig islamophob und nicht falsch interpretiert. Da wäre zum Beispiel noch Amina, die geschubst wurde, nachdem eine Frau einen Sticker mit Beleidigungen gegen Muslime auf eine Straßenlaterne geklebt hat. „Verschwindet endlich aus Österreich“, hat sie ihr noch nachgeschrien. Die Facebook-Gruppe „Dokustelle für Muslime“ zählt etwa 1500 Mitglieder und beschäftigt sich mit Angriffen auf Muslime. Dort erzählen Frauen, wie sie beschimpft und bespuckt wurden, auch wenn sie mit ihren Kindern unterwegs sind. Wie viele es gibt, die weinend nach Hause laufen und schweigen, kann ich nicht sagen. Von den drei Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hat keine einzige Anzeige erstattet. Alle haben dafür die gleiche Begründung: Es habe in der muslimischen Community die Runde gemacht, dass anonyme Anzeigen ohnehin keinen Sinn machen, weil man den Namen der TäterInnen nicht kennt.

Unabhängig davon, ob die Zahl der Angriffe gestiegen ist oder nicht, wünsche ich mir aus tiefstem Herzen eine Sache: Mehr Zivilcourage. In einem Land, in dem kürzlich beschlossen wurde, dass das Kopftuch am Arbeitsplatz verboten werden darf, ist es meiner Ansicht nach noch viel wichtiger, bei Ungerechtigkeiten einzuschreiten. Muss ich als sichtbare Muslima wirklich darauf achten, wohin ich um welche Uhrzeit gehe, um gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen? Dass das nicht funktioniert, zeigt sich an den alltäglichen Momenten, in denen Frauen attackiert wurden. Wer nimmt uns Musliminnen die Freiheit denn wirklich weg? Wer unterdrückt uns,  außer der Gesellschaft, die uns nicht akzeptiert, weil wir ein Stück Stoff auf dem Kopf tragen? Ungerechtigkeiten betreffen uns alle und spiegeln das Bild unserer Gesellschaft wieder. Das Motiv dieser Angriffe ist islamophob, aber die Reaktion darauf muss eine menschliche sein.

 

Warum erstatten Musliminnen selten eine Anzeige gegen rassistische Fälle?

Dazu habe ich Philosophin Amani Abuzahra um Stellung gebeten: "Ich finde es sehr wichtig, darüber zuschreiben. Ich glaube, dass es bisher tatsächlich zu wenig dazu gibt. Wie der Artikel von Clemens Neuhold gezeigt hat, ist es auch wichtig, dass mehr MuslimInnen ihre Rassismus-Erfahrungen melden oder weiterleiten. Die Gründe sind vielfache, und man kann es wahrscheinlich nicht eindimensional betrachten. Zum einen wäre da der Schock bzw. die Diskriminierung als traumatisches Ereignis, und man sich nicht nochmal damit konfrontieren möchte. Indem man es meldet, es zur Anzeige bringt, wird das alles wieder durch erlebt. Manchmal fällt es Frauen leichter, dies einfach zu verdrängen. Hier hilft natürlich sich Unterstützung zu holen: Menschen, die einen dabei begleiten. Andere Gründe können sein, dass man sich davon nicht viel erhofft. Man glaubt leider, es bringt nichts. Man hat vielleicht von Geschichten gehört, wo Anzeigen keinen Effekt gehabt haben oder die Polizei einen nicht ernst nahm. Da kann man aktuelle Storys gut verweisen. Wieder ein anderer Grund, dass manche gar nicht wissen: was kann/soll ich tun, wenn mir Rassismus widerfährt? An wen kann ich mich wenden. Gibt es Unterstützung? Kann man die Polizei rufen, oder kann man Anzeige erstatten, wenn TäterIn weg ist, ich aber nicht weiß wer es war."

 

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