Warum so prüde, Wien?

07. September 2016

In Zeiten von YouPorn und Tinder müsste man annehmen, dass vor allem die junge Generation kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, wenn es um Bettgeschichten und körperliche Sehnsüchte geht. Ich bin aber immer wieder schockiert, wie wenig man tatsächlich über Sex spricht.

 

Sex in den Öffis

Ich sitze letztens in der Straßenbahn mit einer Freundin. Wir erzählen uns gegenseitig von unseren letzten Männererfahrungen und wie es im Bett gelaufen ist. Wir reden nicht übermäßig laut. Das geht ja nicht jeden etwas an. Ich verwende nicht mal anstößige Begriffe. Und doch lassen die gesenkten Blicke der Fahrgäste vermuten, dass sie unser Thema für unangebracht halten. Um Gottes Willen, sie hat Sex gesagt! Und das in der Öffentlichkeit! Ruhig, Brauner. Es ist ja nicht so, als hätten wir Geschlechtsverkehr in den Öffis. Wir sprechen nur darüber.

Arme Liebhaber

Drei Tage später sind wir von der Redaktion aus durch Wien unterwegs. Wir möchten von den Passanten wissen,  was einen perfekten Liebhaber ausmacht. Die minderjährigen Jungs haben kein Problem, mit uns zu sprechen. Die erzählen uns von ihren zahlreichen erfundenen Bettgeschichten. Auch die älteren Leute sind überraschend offen. Doch was ist mit den jungen Frauen? Kaum eine traut sich auch nur ein Wort zu sagen. Die meisten laufen rot an. „Tut mir leid, ich hab da keine Meinung dazu.“ Da bekomme ich fast Mitleid mit ihren Liebhabern.

Sex-Szenen im Unterricht

Ich kann mich noch gut erinnern, als wir uns im Deutsch-Unterricht diverse Filme angesehen haben. Der Vorleser war einer davon. So viele Sex-Szenen, die wir uns alle mit der Klasse gemeinsam ansehen mussten. So viel nackte Haut. Als 15-Jährige ist das noch in Ordnung, wenn man solche Dinge peinlich und unangenehm findet. Da hat man noch nicht so viel Erfahrung. Man fängt gerade erst an, diese ganze Welt kennenzulernen. Als erwachsene Frau Anfang 20 sollte man schon einen anderen Zugang dazu entwickelt haben. Man sollte zumindest den Ansatz einer Ahnung haben, was man will und was nicht. Und erzählt mir jetzt nicht, dass all die Befragten bei unserer Straßenumfrage Jungfrauen waren.

Nackte Haut

Mir ist durchaus bewusst, dass nicht jeder so einen Zugang zu seinem eigenen Körper hat wie ich. Wir Tänzer haben einfach kein Schamgefühl. Wir sind es gewohnt, unseren Körper zur Schau zu stellen. Natürlich habe ich etwas an, wenn ich vor Publikum tanze. Versteht mich nicht falsch. Doch dieses ‚etwas‘ lässt zumeist sehr viel unbedeckte Haut übrig. Die Blicke der Zuseher fühlen sich zudem so an, als würden sie dich gleich ausziehen. Mittlerweile genieße ich es. Ich zeige gerne meinen Körper. Ich mag es, meine Weiblichkeit zu exponieren. Ich weiß, dass diese Einstellung von den meisten Menschen nicht als ‚normal‘ eingestuft wird. Trotzdem bin ich immer wieder entsetzt, wie weit sich meine Welt von der Welt anderer Frauen unterscheidet.

Ein bisschen Spaß muss sein

Sex ist immer noch ein Tabu-Thema. Man sollte meinen, dass sich der Zugang dazu drastisch geändert hat. In den Köpfen der Menschen ist das allerdings noch nicht angekommen. Für mich ist es eine willkommene Challenge. Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Dinge anzusprechen, die mein Gegenüber einschüchtern. Je intimer, desto besser. Wenn der andere mit hochrotem Kopf und peinlich berührt seinen Blick senkt, verspüre ich ein Triumphgefühl. Witziger wäre das Ganze natürlich, wenn er kontern könnte. Doch bis unsere Gesellschaft so weit ist, habe ich zumindest meinen Spaß.

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