Wer etwas ändern will, muss auf die Straße kacken - 50 Jahre Greenpeace

06. September 2021

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Mit Schlauchbooten blockierten Greenpeace-Aktivisten schon Walfänger und Öltanker (Foto: Alex Carvalho)
Mit Schlauchbooten blockierten Greenpeace-Aktivisten schon Walfänger und Öltanker (Foto: Alex Carvalho)

Trotz Dialog und Protest tut sich nichts? Die Umweltorganisation Greenpeace hat in den vergangenen fünfzig Jahren durch kleine Aktionen Großes bewirkt. Legal ist das nicht immer. Aber berechtigt?

„Greenpeace konnte in den letzten fünfzig Jahren Etliches bewegen.“, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche auf der Jubiläumsfeier der Umweltschutzorganisation: „Und sie leisten einen großen Beitrag bei der Bekämpfung des Klimawandels.“ Dabei wurden Greenpeace-Aktionen in der Vergangenheit nicht immer so aufgenommen. Sie waren oft illegal und gefährlich: Wenige Dutzend Leute, auf einer instabilen Ölförderinsel, ein kleines Schlauchboot vor einer bedrohlichen Walfischharpune, eine Besatzung, die vom französischen Geheimdienst angegriffen wird und ein Fotograf, der dabei stirbt. Was sich anhört wie aus einem Actionfilm, sind alles vergangene Aktionen - und die Erfolge sprechen für sich. Walfang wird kriminalisiert, das Versenken alter Förderinseln im Ozean verboten, die Geheimdienstoffiziere kriegen jahrelange Haft – und der Umweltschutz weltweite Aufmerksamkeit.

Blockaden für mehr Aufmerksamkeit

Wer etwas ändern will, muss auf die Straße kacken – oder so ähnlich lautet ein Sprichwort. Kann davon die heutige Klimabewegung also möglicherweise etwas lernen? Schließlich wächst die Verzweiflung vieler junger Menschen stetig, im Angesicht einer sich verschärfenden, unaufhaltsamen Krise. Hätte statt friedlichem Protest schon lange radikales Handeln die Devise sein müssen? „Ende Gelände“ und „Sand im Getriebe“, zwei Klimabündnisse des deutschsprachigen Raumes, scheinen sich jedenfalls an Greenpeace ein Beispiel genommen zu haben. Sie gehen bei ihren Aktionen bis an die Grenzen der Gesetze, und darüber hinaus, um ihr Zeichen für den Klimakampf zu setzen. Das sieht nicht jeder gerne.

"Für Fridays For Future waren 1,4 Millionen Menschen auf der Straße.“, sagt der 21-jährige „Ende Gelände“-Aktivist Rufus*: „Das Resultat war ein Klimapaket, das das Bundesverfassungsgericht schließlich gekippt hat. Es ist kaum was passiert.“ Jetzt klettert der Maschinenbaustudent in Braunkohlegruben und auf Autobahnen, um seinem Ärger Luft zu machen. Alles, was dem Klima schadet, blockieren die Aktivisten kurzerhand auf eigene Faust. Das ist strafbar und gefährlich: „Aber das muss sein.“, sagt Rufus: „Sonst würde es seine Wirkung verlieren.“ Ein Mitstreiter stimmt ihm zu: „Keine Presse ist schlechte Presse. Je mehr Aufmerksamkeit desto besser.“ Tatsächlich konnten solche Gruppen in Deutschland bereits die Rodung des „Hambacher Forsts“ zu RWE-Zwecken verhindern und wollen nun auch den Autobahnbau in der Wiener Lobau blockieren. Heute, am 6. September, sind erneut 70 vor allem junge Menschen in den Baustellenbereich der geplanten Zubringerstraße eingedrungen und behindern die Arbeiten. Sie kommen aus Bündnissen wie Fridays For Future, "Extinction Rebellion" und "System Change not Climate Change". Kurier, Wiener Zeitung, Standard und Co. berichten. Die Aktivisten arbeiten nicht nur mit ihrer Körperkraft, sondern setzen vor allem auf ein breites, internationales Medienecho. „Das hilft.“, meint Rufus. 

"Ende Gelände"-Aktivisten bei der Besetzung des Hambacher Forsts (Foto: Leonhard Lenz)
"Ende Gelände"-Aktivisten bei der Besetzung des Hambacher Forsts (Foto: Leonhard Lenz)

„Sie bringen sich absichtlich in Gefahr.“

Ganz anders sieht das Thoralf Schirmer, Sprecher der LEAG Lausitz, die unter anderem für Braunkohle verantwortlich ist, und mit Klimaaktivisten in ständiger Diskussion steht: „Ich habe das Gefühl, für manche ist das Eindringen in Gruben und Blockieren von Gleisen eine Art Mutprobe.“, sagt Schirmer über die Proteste: „Bewegungen wie Fridays For Future, also berechtigte Proteste, finde ich gut, aber diese Menschen bringen sich absichtlich in Gefahr und bewegen sich illegal.“ Auf den Verweis, dass Greenpeace vor dreißig Jahren ähnlich vorging, kontert er: „Greenpeace ist eine legale Organisation. „Ende Gelände“ hat alle möglichen Teilnehmer und ihre Aktionen letztlich selbst nicht im Griff.“

Auch bei Greenpeace ist letzten Endes allerdings jeder Aktivist für sich selbst verantwortlich. Wer Recht behalten wird, wird die Geschichte uns in dreißig Jahren sagen können. Auch beim Braunkohletagebau weiß man, „dass der Ausstieg nötig ist“, so Schirmer. Nur wann, ist eine andere Frage. Bei Greenpeace-Österreich sieht man die Anti-Kohle-Aktionen jedenfalls gelassen: „Es ist erfreulich, falls sich andere Bewegungen durch unsere Arbeit inspiriert fühlen.“, sagt Sprecherin Flora Eder: „Wichtig ist jedoch, dass jeglicher Protest stets gewaltfrei erfolgt.“  Am 24, September ist der nächste globale Klimastreik. Wann die notwendigen Konsequenzen der Regierungen folgen und ob bis dahin illegale Aktionen unnötiger oder notwendiger werden, entscheidet sich aber wohl erst in den nächsten Jahren.

*Namen geändert

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