„Widerständige Musen“ – Feminismus im Spiegel der Zeit

22. Juli 2022

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Delphine Seyrig
Carole Roussopoulos: Delphine Seyrig und Viva bei den Dreharbeiten zu Sois belle et tais-toi! [Sei schön und halt die Klappe!], 1975, Courtesy Seyrig Archive, © Alexandra & Géronimo Roussopoulos

Von der Filmschönheit zur politischen Aktivistin: Delphine Seyrig und den feministischen Videokollektiven im Frankreich der 70er und 80er ist eine große Schau in der Kunsthalle Wien Museumsquartier gewidmet. Sie ist aktueller denn je.

Von Nada El-Azar-Chekh

Die Kunsthalle Wien widmet der französischen Schauspielerin und Aktivistin Delphine Seyrig, die in den 70er Jahren unter anderem das Videokollektiv „Les Insoumuses“ (zu Deutsch: Die widerständigen Musen) mitbegründete, eine umfangreiche Ausstellung. Die Schau bietet ein breites Kaleidoskop an Arbeiten, welche die brennenden Themen im Kampf für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bearbeiten: Das Recht auf Abtreibung, (sexuelle) Selbstbestimmung, das Vorantreiben von Frauen in der Politik und Wirtschaft, der Umgang mit Sexarbeit und der Schutz von Prostituierten, sowie auch Sexismus im Alltag, in der Kunst und am Arbeitsplatz.

40 Jahre vor #MeToo

Ein Blick in die Schlagzeilen reicht, um zu wissen: Viele dieser Themen sind immer noch hoch brisant. Die jüngsten Veränderungen in Sachen Abtreibungsrecht in den USA, das Erstarken von neuem religiösem Konservatismus und patriarchalen Gesellschaftsordnungen, sowie die Bekämpfung von Sexismus in allen seinen Auswüchsen, sind bei Weitem keine Fragen von gestern. Sie behalten traurige Aktualität. So zeigt die Videoarbeit „Soit Belle et Tais-Toi!“ (dt.: Sei hübsch und halt die Klappe!) Statements von 24 Schauspielerinnen, welche die Machtstrukturen in der Filmbranche und die Ungleichbehandlung von Frauen in ihr hinterfragen – und das 40 Jahre vor der MeToo-Debatte, die bekanntlich momentan in der österreichischen Szene wieder Fahrt aufnimmt. 

Delphine Seyrig
Carole Roussopoulos: Delphine Seyrig und Maria Schneider während der Tournee von Sois belle et tais-toi! [Sei schön und halt die Klappe!], 1975 Courtesy Seyrig Archive

Frauen hinter der Kamera

Die Ausstellung lädt dazu ein, die feministische Szene Frankreichs und Delphine Seyrigs Zusammenarbeit mit ihren wichtigsten Köpfen, wie den Filmemacherinnen Carole Roussopoulos und Ioana Wieder, mit denen gemeinsam Seyrig „Les Insoumuses“ gründete, sowie Chantal Akerman und Marguerite Duras durch ihr künstlerisch-aktivitstisches Schaffen kennenzulernen. Auch werden Verbindungen in die internationale Szene gezeigt, etwa durch Seyrigs Austausch mit der deutschen Künstlerin Ulrike Ottinger, Regisseurin Agnès Varda, und Hollywood-Schauspielerinnen wie Jane Fonda, die – ähnlich wie Delphine Seyrig – zunächst durch diverse Kino-Kassenschlager zu Ruhm kam, und dann ihre Bekanntheit für politischen Aktivismus nutzte.

Delphine Seyrig lernte dabei ihr filmisches Handwerk in den späten 60er Jahren von Regisseurin Carole Roussopoulos, als gerade die ersten tragbaren Videokameras auf den Markt kamen – ein wichtiger Schritt für mehr Autonomie der Frauen hinter, und somit auch vor der Kamera. Die Arbeit „Maso et Miso vont en Bateau“ (dt.: Maso und Miso fahren Boot) ist ein dekonstruierter Zusammenschnitt einer sexistischen Debatte in einer französischen Talkshow, in der sich die damalige Frauenministerin, Françoise Giroud, frauenfeindlichen Aussagen anbiederte. Die Aufnahmen wurden so verschnitten, dass Seyrig sich gegen die Argumentationen stellte. Die Abkürzungen Maso und Miso stehen hier für „masochistisch“ und „misogyn“.

Delphine Seyrig
Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, Foto: Markus Wörgötter

Feministische Geschichte als Mediengeschichte

Roussopoulos, Wieder und Seyrig produzierten als Kollektiv „Les Insoumuses“ im selben Jahr die Arbeit „S.C.U.M. Manifesto“ – auf Basis des gleichnamigen Essays der US-amerikanischen Schriftstellerin und radikalen Feministin Valerie Solanas. Ursprünglich wurde der Essay 1968, nach Solanas Mordversuch auf den Künstler Andy Warhol, veröffentlicht. Der Text handelt von der naturbedingten Unfähigkeit von Männern und setzt ein humoristisches Plädoyer für die Auslöschung des männlichen Geschlechts. Einerseits wurde der Text für seinen satirischen Unterton und die im Text illustrierte Rollenumkehr von Männern und Frauen in der Freudschen Psychoanalyse gelobt – mit Männern als von „Pussyneid“ geplagten Wesen, deren Y-Chromosom lediglich ein unvollständig ausgebildetes X-Chromosom sei. Jedoch sorgte die Kontroverse um die Schussattacke der Autorin Solanas auf Andy Warhol dafür, dass die Feministin nunmehr als „Männerhasserin“ in die Geschichte ging. In der Verfilmung des „SCUM Manifesto“ von 1976 sitzen sich zwei Frauen an einem Tisch gegenüber – Delphine Seyrig und Carole Roussopoulos – eine diktiert aus Solanas‘ Essay, während die andere tippt. Zeitgleich werden in einem kleinen Fernsehgerät Schlagzeilen übertragen, über von Männern verursachte Konflikte. 

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Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, Foto: Markus Wörgötter

Eine Reihe von Briefen, welche Valerie Solanas im Zuge der Videoarbeit an Delphine Seyrig richtete, sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. So wie viele Flugblätter, Filmplakate, Aufrufe zu Aktionen, Zeitungsartikel, Postkarten, Interviewclips, sowie wichtige Meilensteine der Frauenbewegung in Frankreich, wie etwa das berühmte „Manifest der 343“ Frauen, die 1971 in einem offenen Brief angaben, eine Abtreibung gehabt zu haben. Delphine Seyrig war eine davon.

„Widerständige Musen“ betrachtet Feminismus durch die Linse der Videokollektive der 70er und 80er Jahre, mit starkem Konnex zu aktuellen Problemstellungen. Kuratiert von Nataša Petrešin-Bachelez und Giovanna Zapperi. Noch bis zum 4. September 2022 in der Kunsthalle Wien Museumsquartier zu sehen.

 

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Alle Informationen zum Ausstellungsprogramm und den Künstler*innen gibt es unter: www.kunsthallewien.at

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