Wie Gott mich streitsüchtig machte

24. August 2015

Gute Menschen kommen in der Himmel, sagte man mir.

Mit fünf Jahren beschloss ich also, alles in meinem Leben richtig machen zu wollen. Und wenn mich niemand beobachtete, dem ich das augenblicklich beweisen konnte, so schuf ich mir meine eigenen „Wächter“. Ich erinnere mich, mir lange vorgestellt zu haben, dass Gott, oder meine damalige Vorstellung von einem Gott, mir bei allem zusieht, was ich mache. Hatte ich „falsch“ gehandelt, so konnte ich es kaum erwarten, mich abends in mein Bett zu legen, mich etliche Male zu entschuldigen und meine Taten vor ihm zu rechtfertigen. Auch hatte ich diese Vorstellung, dass alle Fehler die ich beging, enorme Konsequenzen hatten. Nicht nur gäbe es Ärger mit meinen Eltern, es würde, wenn ich – dieses oder jenes (nicht) mache – jemand Geliebtes krank werden oder womöglich sterben. Meine abendlichen Gebete schlossen alle Menschen mit ein, die mir bekannt waren. Freunde, Verwandte, Bekannte, sogar Tiere. Vergaß ich bei einem meiner Gebete auch nur eine einzige Person, stieg am nächsten Morgen Angst in mir auf– und so erlaubte ich mir manches Mal auch tagsüber, um des Betroffenen Willen, erneut das Gebet zu wiederholen. Woher dieser Gedanke kam, alles Glück meiner Umgebung laste auf meine Schultern – ich weiß es nicht.

Durch den Glauben an Gott entwickelte ich schon sehr früh einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Bemerkte ich bei anderen Kindern, dass sie logen und sich nur in geringster Weise abschätzig über etwas oder jemanden äußerten, so machte mich das maßlos wütend. Ich fragte mich: "Wie kann man in Anwesenheit Gottes so handeln?" So sehr ich versuchte, Kleinigkeiten zu vergessen, schaffte ich es nicht, diesen Menschen in die Augen so zu sehen. So beschloss ich, ihre Existenz zu leugnen, bis sie um Verzeihung baten. Schließlich würde Reue und Einsicht sie auch in den Himmel bringen. Es schien mir die richtige Art und Weise mit dieser Problematik umzugehen und ich pflegte diesen Umgang mit anderen bis ich 13 war.

Eines Tages, wir saßen im Unterricht, vor etlichen Computerbildschirmen - die Lehrerin hatte uns die restlichen dreißig Minuten zur freien Verfügung gestellt - begannen wir Schüler uns - wie jede Woche - gegenseitig Emails zu senden. Am Tisch vor mir saß ein Mädchen namens Victoria. Ich mochte sie gerne, obwohl wir nicht viel miteinander zu tun hatten. Sie hatte die Schrift, in der sie ihre Email verfasste, um das doppelte vergrößert und mein Name, den sie gerade schrieb, lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihren Schirm. Sie schrieb:„Liebe Susi, wie geht es dir? Mit wem streitest du zur Zeit so? Bussi, Vicky.“

Ich beobachtete, wie sie diese Email verfasste und hoffte insgeheim, sie würde sich dagegen entscheiden sie zu senden. Ich hoffte sie würde erkennen, dass sie mich damit verletzen würde und ich danach nicht mehr ihre Freundin sein konnte.

Die Nachricht erreichte mein Postfach, ich öffnete sie nicht. Ihre so dahingesagten Worte verstörten und beschäftigten mich ungewöhnlich lange. Irgendwann fasste ich den Entschluss, Victoria sei von nun an die letzte Person, die ich für Gott ignorieren würde.

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