„Würdest du mich abtreiben?“ – Polen verhängt faktisches Abtreibungsverbot

23. Oktober 2020

Polen hatte bislang ohnehin eines der striktesten Abtreibungsgesetze der Welt, gestern wurde es nochmals verschärft.

Ein Schwangerschaftsabbruch war in Polen bis gestern in drei Fällen erlaubt : Wenn die Schwangerschaft Ergebnis einer Straftat war, wenn die Gesundheit der Frau auf dem Spiel steht oder wenn der Fötus irreversible, schwere Fehlbildungen aufwies. Seit gestern ist eine Abtreibung auch in diesem Fall auch nicht mehr legal. Das polnische Verfassungsgericht, das von der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, dt. „Recht und Gerechtigkeit“) kontrolliert wird, hat gestern die Abtreibung unheilbar kranker Föten für illegal erklärt. Rechtskonservative Parlamentsabgeordnete hatten damit argumentiert, dass die bislang geltende Regelung ein Verstoß gegen den in der polnischen Verfassung verankerten „Schutz des Lebens“ sei.

In dem erzkonservativen Land wird viel, gut und gerne „Pro Life“ geworben – Mit Bildern von lächelnden Kindern, die Trisomie 21, also Down Syndrom haben. Diese Bilder sind dann mit emotionalen Slogans wie „Würdest du mich abtreiben?“ versehen. Seitens Kirche und VertreterInnen des nationalkonservativen Regimes. Darüber, dass Fehlbildungen und schwere Behinderungen auch ganz anders aussehen können und das Leben eines solchen Kindes und seiner Familie extremst schwierig gestalten – darüber wird geschwiegen. Das soziale System in Polen ist nicht ausreichend dafür ausgestattet, solche Kinder aufzufangen – Polen ist per Verfassung kein sozialer Rechtstaat. Was das also nun bedeutet? 

Mit der Verschärfung fällt für viele Polinnen die einzig verbliebene Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs weg. Von den 1100 offiziellen Abtreibungen in Polen, die 2019 durchgeführt wurden, wurden 97 Prozent aufgrund des nun für rechtswidrig erklärten Paragrafen gestattet. Bischöfe und Kirchenvertreter applaudieren, sprechen vom „Schutz der Schwächsten.“ Und wer schützt die Frauen? Die Realität: Die Frauen sind gezwungen, eine Schwangerschaft auszutragen, auch wenn der Fötus keine Chance auf Überleben hat. Was weder die katholische Kirche noch die Regierung einsehen wollen: Eine ungewollte Schwangerschaft wird durch ein Gesetz nicht einfach so in ein gewolltes Kind verwandelt. Wie es weitergehen wird? Die Dunkelziffer der illegal durchgeführten Abtreibungen wird steigen. Unter unsicheren Bedingungen, mit großem Risiko und Komplikationen. 

 

Warum Polinnen in Wien abtreiben

 

Organisation im Untergrund

Zur Zeit des Kommunismus war Abtreibung in Polen legal und leicht zugänglich. 1993, nach dem Fall des Ostblocks setzte die in dem Land sehr einflussreiche Katholische Kirche eine einschneidende Verschärfung durchgesetzt, die bis gestern gültig war. Auch gegen die bislang geltende Regelung gab es immer und immer wieder Proteste. Allerdings ohne Erfolg. Aber die Polinnen geben nicht auf: Hunderte Menschen demonstrierten gestern auf Warschauer Straßen gegen die Verschärfung - vor der PiS-Parteizentrale und dann vor dem Wohnhaus von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski.

Online vernetzen sich Polinnen im In- und Ausland, und bieten gegenseitige Hilfe und Unterstützung an: Frauen, die in Länder wie Norwegen, Deutschland oder UK immigriert sind informieren über die Lage in ihren Ländern –  Man findet Postings wie „Ich lebe in der Nähe von Oslo und habe ein großes Haus –  Hier ist ein Abbruch legal und man wird behandelt wie ein Mensch. Wenn eine eine Abtreibung braucht, kann sie bei mir übernachten.“  Oder: „Ich kenne eine gute Klinik in Deutschland, bitte schreibt mich einfach an.“ In Polen ist es übrigens auch nicht einfach, an die Pille Danach zu kommen – die gibt es nur auf Rezept und ein Arzt kann die Verschreibung aufgrund der geltenden „Gewissensklausel“ ganz einfach ablehnen. Dass die Pille Danach per Post aus anderen EU-Ländern nach Polen verschickt wird, ist also auch keine Seltenheit. Die Frauen organisieren sich also quasi im Untergrund. Viel anderes bleibt nicht übrig. Außer die Hoffnung, dass diese Regelung vor europäischen Gerichten angefochten wird.

Zum „Schutz der polnischen, katholischen Familie?“

Die konservative Regierung in Polen sowie die eng mit ihr vernetzte Kirche bezeichnet übrigens auch LGBTI-Personen als eine „Ideologie des Teufels“. So erklärten sich im Sommer 30 von der PiS regierte Stadtgemeinden Polens als „LGBTI-freie Zonen“. Diese Zonen sind juristisch nicht durchsetzbar – haben aber als Ziel, LGBT-Personen auszugrenzen und aus dem öffentlichen Leben auszuschließen. Mit dem Argument, dass diese Personen eine Bedrohung für die polnische Identität und die katholische Familie sind. Das EU-Parlament stimmte im Dezember für eine Verurteilung dieser Zonen. Im Grunde lässt sich sagen, dass die LGBT-Feindlichkeit genau dieselbe populistische Hetze ist, wie der Hass und die Angst gegenüber Flüchtlingen 2015 war – ebenfalls geschürt von Regierung und Kirche. 

Für was ist das alles gut? Zum „Schutz der polnischen, katholischen Familie?“ Wohl kaum. Die linksorientierte Gazeta Wyborcza berichtet, dass das Abtreibungsverbot ein Ablenkungsmanöver ist, da Polens Regierung mit der COVID-19 Pandemie nicht zurechtkommt. Die Regierung kämpft gegen Frauen, gegen LGBTI-Personen, gegen Menschen mit einer anderen Religionszugehörigkeit-nur nicht gegen die Pandemie. 

Ganz Europa zeigt nun mit dem Finger auf Polen und schüttelt den Kopf. Aber was muss noch alles passieren, damit sich etwas ändert? Streichung von EU-Geldern? Neuwahlen?  Nochmals: Das passiert alles mitten in Europa, mitten in der EU. Wie lange soll das noch weitergehen? 

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