Das Personal des Grauens

08. Juni 2011

Am Balkan haben sie auch zwanzig Jahre nach Ausbruch des Kriegs glühende Anhänger, für den Rest der Menschheit sind sie einfach nur Kriegsverbrecher. Teil drei der Serie über den Balkankrieg – aus aktuellem Anlass über das Personal des Grauens.

Von Olja Alvir und Bogumil Balkansky

 

Ratko Mladić – der „Schlächter von Srebrenica“
Sein Vorname leitet sich vom Nomen „rat“ ab – und das bedeutet Krieg. Im Ranking der meistgesuchten Männer des Planeten stand er bis vor wenigen Tagen auf einer Stufe mit Osama Bin Laden. Am 25. 5. 2011 wurde er im Dorf Lazarevo in Serbien in einem verwahrlosten Haus eines Verwandten aufgestöbert.

 

Mladić in Kroatien
 Als der Krieg in Ex-YU beginnt, ist Mladić Korpskommandant in der Volksarmee und sorgt 1991 für die Entstehung des selbsternannten „Serbischen Autonomen Gebietes Krajina“ (SAO Krajina) rund um Knin im dalmatinischen Hinterland in Kroatien, das erst 1995 in der „Operation Sturm“ von der Kroatischen Armee (HV – Hrvatska Vojska) zurückerobert werden konnte. Dabei bedient sich Mladić bereits paramilitärischer Verbände wie der „Tiger“ des Željko Ražnatović „Arkan“. Er hasst die Kroaten, weil er die Ustaša für den Tod seines Vaters verantwortlich macht.


Mladić in Bosnien
 Ab 1992 gelingt es Mladić mit einer Mischung aus taktischem Geschick und blankem Terror binnen weniger Monate fast 70 Prozent des bosnischen Territoriums einzunehmen, ethnisch zu säubern und Sarajevo einzukesseln. An seiner Seite sind wieder „Arkans Tiger“ und andere „Helden“ mit ihren Mörderbanden. Nun ist Mladić der militärische Chef der Serbenrepublik in Bosnien (RS – Republika Srpska) und über ihm stehen nur noch Radovan Karadžić und Slobodan Milošević, durch deren politische Übermacht er sich ausgebremst fühlt. Mladić lässt Sarajevo 44 Monate lang bombardieren und von Heckenschützen terrorisieren, die auch Frauen und Kinder nicht verschonen. Als die NATO mit Bombardierungen droht, lässt Mladić Offiziere der Friedenstruppen gefangen nehmen, an strategischen Punkten anketten und zwingt so die NATO zum Nachgeben. Der blutige Höhepunkt seiner Karriere ist im Sommer 1995 erreicht: Mladić lässt in Srebrenica fast 8000 Männer und Buben ab 16 ermorden. Am größten Völkermord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sind ganz gewöhnliche Soldaten der RS genauso wie diverse paramilitärische Einheiten aus Serbien und Bosnien beteiligt.


Mladić in Serbien
16 Jahre lang versteckt sich Mladić mithilfe der Regierenden in Serbien und droht allen, die ihn verraten sollten mit Rache „bis ins fünfte Glied“. Sein letztes Versteck in Lazarevo ist dem Bin Ladens nicht unähnlich: ein unscheinbares Haus in der Provinz, einige verwahrloste Zimmer, alles umgeben von einem rostigen Zaun. Schon am Tag nach der Verhaftung hat jemand am Ortsschild von Lazarevo die Worte „Ratko – Held“ plakatiert. Aber am Ende dieses Tages bleibt Ratko Mladić dennoch einfach nur ein 69-jähriger Verbrecher in Uniform, dem – spät aber doch – der Prozess gemacht wird.

Ante Gotovina – Held aus dem Ausland
Der kroatische General Ante Gotovina (*1955), verantwortlich für die Militäraktion „Oluja“ 1995, einer „ethnischen Säuberung“ des Gebietes rund um die Stadt Knin, wurde im April dieses Jahres vom Den Haager Gerichtshof in acht von neun Anklagepunkten für schuldig befunden, darunter Verfolgung, Deportation, Plünderung und Mord. Auch kriminelle Aktivitäten werden ihm nachgesagt: Juwelenraub und Drogenschmuggel gehören dazu.

Militärischer Weltenbummler
Die Militärkarriere des in einem kleinen Ort nahe Zadar aufgewachsenen beginnt früh: Mit 16 heuert er als Matrose an, mit 18 tritt Gotovina der französischen Fremdenlegion bei, mit dieser kämpft er auch im Tschad. Bevor er sie 1979 verlässt, bekommt Gotovina die französische Staatsbürgerschaft. Bis heute ist er im Besitz eines gültigen französischen Passes. Waschechter Kroate ist er dennoch geblieben – bei Ausbruch der Konflikte in seiner Heimat ist Gotovina sofort zurück und greift zur Waffe.

Kroatien steht hinter ihm
Seit der Urteilsverkündung mehren sich die Protestaktionen, Unruhen und Demonstrationen in ganz Kroatien. Rund um Gotovinas Heimat, in Norddalmatien, gibt es zahlreiche Brandstiftungen, in der naheliegenden Stadt Zadar blühen die Anti-EU- und Regierungs-Graffitis sowie Ustaša-Zeichen. In der Hauptstadt Zagreb werden EU-Flaggen von Masten gerissen und zerstört. Auch in Split zeigen sich die Protestierenden kreativ: „Ich liebe Kroatien, Nein zur EU“, „EU=YU“ und „Mesić, du Verräter“ (Anm.: Ex-Präsident Kroatiens) sind auf den Transparenten zu lesen. 95% der Kroaten befinden den Prozessausgang als ungerecht, die Zustimmung zur EU ist seither deutlich gesunken.
 
Das strenge Gesicht des Generals mit den tiefen Falten ziert Häuserfassaden in ganz Kroatien: Ein Kriegsverbrecher, der den Großteil seines Lebens im Ausland verbracht hat, ist Nationalheld vieler Kroaten.

 

 

 

 

 

Željko Ražnatović „Arkan“ – Der serbische Tiger
Arkan (1952–2000) und seine „Tiger“, die Serbische Freiwilligengarde (Srpska dobrovoljacka garda) bestehen hauptsächlich aus Kriminellen und Fußballhooligans des FC Roter Stern Belgrad. Ihr Markenzeichen und Geschäft ist sadistisches Morden und Vergewaltigen, Plünderung und ethnische Säuberung. Oft genügt nur das Gerücht, „Arkans Tiger“ seien im Anmarsch, damit ganze Landstriche zu nichtserbischen Flüchtlingskolonnen werden.


Taschl’ziager
Der Sohn eines hohen Offiziers der Volksarmee beginnt seine kriminelle Karriere auf dem Tašmajdan, einem Belgrader Park, wo er alten Frauen die Taschen aus der Hand reißt. Später entwickelt er sich zum Profigangster mit eigener Gang. Die schützende Hand des Vaters übernimmt bald der Geheimdienst, der eine eigene Abteilung für den „Export“ Krimineller in das kapitalistische Ausland unterhält. Schwerkriminelle bekommen hier bestens gefälschte Reisepässe und werden zum Klassenfeind geschickt, um dort ihrem Handwerk nachzugehen. Von einem so gefälschten türkischen Pass hat Ražnatović seinen späteren Spitz- und Kriegsnamen: Arkan.


Räuber mit der Rose und Warlord
 Sein Unwesen treibt Arkan in Deutschland, Belgien und Schweden, wo er als der Räuber mit der Rose bekannt wird. Er beraubt hauptsächlich Juweliere, seltener Banken und ist auch mit Glücksspiel erfolgreich. Zu Beginn des Krieges bekommt er Ausrüstung und Waffen von der Volksarmee, seine Garde bemannt er mit Fußballhooligans und serbischen Hardcore-Kriminellen, die keine Abscheulichkeit scheuen. Arkans Tiger sind an sämtlichen Kriegsverbrechen in und um das kroatische Vukovar beteiligt, darunter die Erschießung von Insassen des Krankenhauses von Vukovar und ethnischen Säuberungen in Slawonien. Danach setzt Slobodan Milošević den inzwischen berühmten „Helden“ in Bosnien ein. Die Taktik der „Tiger“ ist immer gleich: Nach Bombardierung durch die echte Armee stürmen Arkans Leute Dörfer und Städte und hinterlassen mordend und vergewaltigend eine Spur brutalster Verbrechen. Dabei lassen sie immer einige Zeugen entkommen, um die Botschaft in andere Teile Bosniens zu bringen.


Zuckerbäcker, Turbofolkfan, Politiker
 Noch während des Krieges baut sich Arkan, der gelernter Zuckerbäcker ist, ein „geschäftliches“ Imperium auf. Es beruht auf Schmuggel von Embargogütern, Mord, Erpressung, Drogenhandel, Prostitution und der Popularität seiner Frau, der Turbofolksängerin Svetlana Veličković „Ceca“. Die Hochzeit der beiden wird als spektakuläres Ereignis im TV übertragen, bei dem Arkan ein gutes Dutzend Male das Kostüm wechselt. Nach Ende des Krieges versucht sich Arkan mit seiner „Partei der serbischen Einheit“ auch als Politiker. Der Slogan lautet: „Arkan! Mutig im Kriege – Weise im Frieden“. Der Wahlerfolg ist mehr als bescheiden.


Wettschein und blaue Bohnen
Im Jahr 2000, als schon längst das Haager Tribunal gegen Arkan und seinen Mentor Milosević Anklageschriften vorbereitet hat, macht das Gerücht die Runde, Arkan werde gegen Verschonung als Zeuge der Anklage gegen Milosević aussagen. Sein Tod in der Lobby eines Belgrader Hotels ist Profihandwerk und trägt den Fingerabdruck des Geheimdienstes, der ihn einst geschaffen hatte. Während Ražnatović einen Fußball-Wettschein ausfüllt, nähern sich zwei diskrete Herren und platzieren zwei Kugeln in seinem Kopf.

Jusuf „Juka“ Prazina – Der Wolf von Sarajevo
Sein kurzes Leben (1962–1993) war nur der Gewaltkriminalität gewidmet und er starb wie die meisten Mörder und Vergewaltiger es verdient hätten: mit drei Kopfschüssen hingerichtet. Seine Leiche wird in einem belgischen Straßengraben nahe der deutschen Grenze aufgefunden. Wie konnte ein Kleinkrimineller zum besungenen Helden im eingekesselten Sarajevo werden?


Das Problemkind und seine Gang
Prazina war schon in der Schule ein Problem für seine Mitschüler, Lehrer und seine gesamte Umgebung. Kurz vor Kriegsausbruch formiert er seine eigene Gang, deren Geschäft das Eintreiben von Schulden ist. Als Sarajevo knapp vor der Einkesselung steht, verschafft sich Prazina über seine Connection zur kroatischen HOS-Miliz (Hrvatske Obrambene Snage, Privatarmee des Ustašaführers Dobroslav Paraga) Pumpguns und Kalaschnikovs. Zusammen mit anderen Gangstern seines Kalibers gelingt es ihm, die ersten Anläufe der serbischen Angreifer aufzuhalten. Dies ist der Beginn seiner Legende als Held und bald versammelt er etwa 3000 Bewaffnete, die sich fortan „Jukas Wölfe“ nennen.


Helden die plündern, morden und vergewaltigen
Gleich nach den ersten Gefechten teilt Prazina die Stadt mit drei anderen bekannten Gangstern (Topalović, Delalić und Bajramović) in Gebiete auf und erklärt sie zu seinem Eigentum. Die Regierung duldet seine Übergriffe auf die Zivilbevölkerung weil er und die anderen Verbrecherbanden über eine beachtliche Feuerkraft verfügen und ihre Opfer hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) die nichtmuslimischen Bewohner der Stadt sind. Vergewaltigungen von serbischen Frauen und Mädchen sind an der Tagesordnung, ebenso wie Morde, Zwangsarbeit und der Raub von Wohnraum, Lebensmitteln und Geld. Prazina und seine Wölfe sind ganz offiziell Teil der Armee und ihre Ermächtigungen tragen die Unterschrift des Präsidenten Alija Izetbegović. Stets dabei sind seine Frau und seine Schwester, die als Logistikerin fungiert – und Volksliedsänger, die immer neue Lieder über Prazinas angebliche Heldentaten komponieren.

 



Muslimischer Held als Muslimkiller
Bald wird es aber selbst der mangelhaft ausgerüsteten Armee in Sarajevo zu viel. Die Profis der Armee überzeugen Izetbegović davon, dass man Prazina um jeden Preis loswerden muss. Seine Leute werden verhaftet, ermordet und zum großen Teil in die Streitkräfte übernommen. Prazina entkommt mit dem harten Kern seiner Getreuen und schließt sich einem kroatischen Warlord in Mostar an. Fortan mordet Prazina die Muslime von Mostar, die, wie er in einem Interview für die „Slobodna Dalmacija“ sagt, keine echten Muslime sind. Der kroatische Präsident Tuđman erlaubt ihm, nach Kroatien einzureisen und von dort aus nach Belgien zu flüchten.


Wolf totgeschossen
In Belgien widmet sich Prazina seinem alten Geschäft, der Schutzgelderpressung. Er fährt regelmäßig nach Deutschland um „Spenden“ für den Krieg von seinen bosnischen Landsleuten einzutreiben. Bei einem solchen Trip über die Grenze wird er – vermutlich von seinen Leibwächtern – erschossen. Prazina ist in Belgien begraben und auf seinem Mezar (muslimischer Grabstein) steht „General Jusuf Prazina“.

Die Chefs
Nicht zu vergessen sind die Präsidenten Bosniens, Kroatiens und Serbiens. Milošević, Tuđman, Izetbegović wurden nie für ihre Rolle und Machenschaften im Balkankrieg zur Rechenschaft gezogen – sie verstarben alle drei, ehe ihnen der Prozess gemacht werden konnte. Der Tod hat sie vor ihrer Strafe bewahrt.

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Kommentare

 

Toller Artikel! Mir ist klar - es werden sich wahrscheinlich Leute melden, die das gar nicht so gerne sehen wenn über deren "Helden" etwas negatives geschrieben wird. Aber es die Wahrheit und irgendwann muss sich jeder damit auseinandersetzen.
Meinen Respekt habt ihr!

 

also ich sehe hier keine Helden sonder nur Mörder und Verbrecher!!

 

Das sind dann wahrscheinlich so Leute, die sowas in der Bim hinkritzeln^^

 

nur traurig. Und bestimmt von jemandem gekritzelt, der eigentlich keine Ahnung von dem Ganzen hat... :(

 

müsste man sich mit so einer schmierattacke nicht einwenig sorgen um die zukünftige generation machen?

 

das sind meist die Leute, die den Krieg nicht miterlebt haben... oder die, die ihn immer noch führen...

 

netter bericht.. ist auch gut, dass mal augezählt wird wer was gemacht hat.
ich finds nur etwas schade, dass stets von den serbischen bzw kroatischen kriegsverbrechern geredet wird. wann lesen wir was von naser oric? (auch wenn er aus mangel an beweisen aus dem haag entlassen wurde).. oder den mujahadeen unter der leitung von izetbegovic?

... am liebsten würd ich im biber aber was von den echten helden, wie beispielsweise srdjan aleksic lesen...

lg

 

Jaaaaa "Srđan Aleksić" ...... das ist ein echter Held!!!! LEIDER GAB ES DAVON VIEL ZU WENIGE!!! (darum müssen wir auch von Tschetniks, Milosevics, Mladics, Raznatovics, Seseljs, Plavsic usw. (da gabs leider so viele) soviel lesen)

 

Es

gab genug Leute, die „echte Helden“ waren, aber dann meistens im Stillen. Erstens, weil es einfacher ist, hunderte Leute zu töten als zu retten, und zweitens, weil gute Taten leider viel weniger Publicity erzeugen als Katastrophen. Wir werden die Anregung auf jeden Fall annehmen und auch genauer über die stillen Helden nachdenken...

 

es ist leider keine große kunst die gräueltaten von kriegen zu zeigen...
http://www.wsws.org/de/1999/jun1999/span-j30.shtml ... die wahrheit über die ammis wär auch nicht schlecht, ich mein, falls ihr keine angst davor habt schlussendlich von der cia verfolgt zu werden ;)

 

@zoka... toller Vorschlag! Und es gab definitiv viele Menschen die Srdjan ähnlich waren... die gibt es immer...
leider wird so gut wie nie darüber gesprochen - weil es sich schlecht verkaufen lässt! Aber DIESE Helden zu erwähnen - wäre wirklich großartig!

http://en.wikipedia.org/wiki/Sr%C4%91an_Aleksi%C4%87

http://www.e-novine.com/region/region-bosna/37922-Mesto-operisano-rata.html

 

wirklich guter artikel

 

"auf der jagd nach mladic" .. arte dokumentation. man könnte meinen eine doku mit so vielen fehlern und einer so subjektiven meinung würde nicht die unschuldigen opfer des krieges zeigen, sondern nur das bestehen des kriegsverbrechertribunals in den haag rechtfertigen wollen.

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