Ich spreche meine Muttersprache NICHT!

11. Dezember 2014

Sie könnten Sprachen wie Arabisch oder Russisch perfekt beherrschen. Tun sie aber nicht. Denn ihre Eltern haben auf die Möglichkeit verzichtet sie mehrsprachig zu erziehen und ihnen nur Deutsch beigebracht.

 

Von Justyna Ziarko (Text & Fotos)

 

„Ich bereue es sehr, dass mir meine Muttersprache nicht beigebracht wurde“, bedauert die 22-jährige Sara, die heute zu gerne Arabisch beherrschen würde. Ihr geht es wie vielen jungen Menschen aus der 2. und 3. Generation in Wien: Von den mitgebrachten Sprachen haben die Eltern sie nur auf Deutsch erzogen.

„Unsicherheit spielt eine große Rolle“, sagt Mika Popovic, Geschäftsführer der Wiener Sprachschule „Weltakademie“. Da die Eltern ihre Muttersprache selbst nicht immer perfekt können, befürchten sie ihre sprachlichen Fehler an die Kinder weiterzugeben. Sie haben Angst, dass das Kind am Ende keine Sprache perfekt spricht und wollen sichergehen, dass Deutsch auf jeden Fall perfekt beherrscht wird, damit keine Nachteile entstehen. Biber traf drei junge Betroffene und einen Experten zum Gespräch.

 

Name: Sara Hassan

Nicht-Sprache: Arabisch

Alter: 22

Mutter: Österreicherin

Vater: Iraker

Beruf: Bürgerrechtsaktivistin & Jung-Journalistin

 

„Ich war offensichtlich ein hoffnungsloser Fall. Meine Schwester hat als Kind 2-3 Jahre mit meinem Vater Arabisch gesprochen, aber bei mir haben es unsere Eltern aufgegeben. Ich wurde in Wien geboren und bin auch hier aufgewachsen und wurde gleich nur auf Deutsch erzogen. Heute versuche ich mich zu motivieren Arabisch zu lernen, aber es ist in meinem Alter eine wirkliche Herausforderung und alles andere als einfach. Ein wenig kompensiere ich die Sprache mit der arabischen Küche: Ich kenne und schätze die traditionellen Gerichte sehr. Nichtsdestotrotz bereue ich es, dass meine Eltern mir meine Muttersprache nicht beigebracht haben.

Es ist total komisch, wenn ich mich mit meinen Verwandten auf Englisch unterhalten muss. Manche Menschen sind sicher auch enttäuscht, dass wir uns nicht auf Arabisch unterhalten können. Natürlich habe ich mich nach den Gründen gefragt. Als ich klein war, ging mein Vater für ein Jahr in den Irak, so hatte ich keinen durchgehenden Zugang zur Sprache. Gelernt hätte ich Arabisch sicher trotzdem. Durch den Unterricht in der Schule beherrsche ich Latein und Französisch, aber mit dem Arabischen hätte ich einen zweiten Kultur-Block mitnehmen können. Das wäre eine andere Liga.

Wenn ich mal Kinder habe, sollten sie zweisprachig aufwachsen. Es muss nicht die arabische Sprache sein, aber die Kultur möchte ich ihnen auf alle Fälle weitergeben. Zumindest die soll nicht mit meiner Generation enden.“

 

Name: Sherko-Lew Asinger

Nicht-Sprachen: Russisch, Kurdisch, Ukrainisch

Alter: 22

Mutter: Ukrainerin

Vater: Kurde

Beruf: Junior-Berater

 

„Als Ukrainerin und Kurde unterhalten sich meine Eltern untereinander oft auf Russisch, weil beide die Sprache gut beherrschen. Vom Zuhören kann ich Russisch heute zumindest verstehen, aber aktiv sprechen? Nein! Ich kann keine der drei Sprachen, die meine Eltern mitbringen, weder Kurdisch, noch Ukrainisch oder Russisch. Mir wurde nur Deutsch beigebracht und dank des ORF und der ZIB habe ich als Kind schnell ein hohes Niveau erreicht. Zuhause hat es sich so entwickelt, dass meine Eltern und ich uns nur auf Deutsch unterhalten haben. Der Reiz heute das Erlernen einer Muttersprache nachzuholen, ist vorhanden. Nicht unbedingt um mit meinen Eltern zu reden, aber um mich mit anderen Leuten verständigen zu können. An der Umsetzung scheitert es aber noch.

Schwer zu sagen, warum meine Eltern mir keine andere Muttersprache beigebracht haben. Kurdisch, Ukrainisch und Russisch wären nur Zuhause relevant gewesen. Auf den Straßen Wiens hätten diese Sprachen wohl keine Wichtigkeit gehabt. Und ich hatte nie Kontakt zu den Heimatländern meiner Eltern. Ich gebe ihnen keine Schuld, ich bin liberal aufgewachsen. Und auch wenn meine Mutter mich nicht in ihrer Muttersprache erzogen hat, tat sie es sehr wohl in ihrem Glauben. Der Ritus ist orthodox. Mein Vater respektiert zwar die Religion, ist aber nicht wirklich gläubig.“

 

Name: Andreas Deogarevic

Nicht-Sprache: Serbisch

Alter: 23

Eltern: Serben

Beruf:Qualitätsmanager

 

„Meine serbischen Freunde aus Wien und ich fahren immer gleichzeitig runter nach Serbien, unterhalten uns dort aber auf Deutsch. Das mögen die Landsleute zuhause gar nicht. Aber ich habe Serbisch nie richtig gelernt. Wir haben zu Hause immer Vlaski gesprochen. Das ist eine Minderheitensprache in Serbien, nicht zu verwechseln mit Rumänisch. Das Gebiet der Walachen, das sich im Osten des Landes erstreckt, hat mit Rumänen nichts zu tun. Wenn mich Serben als Rumäne bezeichnen, dann ist das eine Beleidigung! Heute kann ich so zwar eine Minderheitensprache in Serbien, aber nicht die Landessprache selbst.

Meine Grammatik ist so schlecht, dass es mir als Serbe unangenehm ist Serbisch zu sprechen. Das klingt seltsam, oder? Ich glaube meine Eltern waren der Meinung, dass ich irgendwann schon Serbisch lernen würde. Nur haben sie nicht so weit gedacht, von wem ich das lernen sollte. Sie taten es wahrscheinlich aus Bequemlichkeit nicht.

Ob ich meine Kinder zweisprachig erziehen würde? Das wird stark von der Nation meiner Zukünftigen abhängen. Aber es kann nie schaden multikulturell aufzuwachsen!“

 

 

NACHGEFRAGT

Mag. Mika Popovic ist Geschäftsführer der Sprachschule „Weltakademie“ im vierten Wiener Bezirk. Der studierte Dolmetscher verwendet eine Lernmethode, mit der Kleinkinder Sprachen erlernen.      

 

Biber: Was sind die Vorteile zweisprachig aufzuwachsen?

POPOVIC: Da spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich hatte nicht das Glück zweisprachig aufzuwachsen, aber meine Kinder sehr wohl. Das ist ein Riesenvorteil. Man lernt nicht nur zwei Sprachen, sondern auch zwei verschiedene Kulturen und zwei Mentalitäten. Mehrsprachig aufzuwachsen macht Kinder meiner Meinung nach aufgeschlossener und verständnisvoller für andere Kulturen.

 

Woran liegt es, dass Kinder nicht zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, obwohl sie die Möglichkeit haben?

POPOVIC: Viele Eltern trauen sich wohl nicht ihren Kindern die Muttersprache beizubringen, weil sie zum Beispiel die Sprache selbst nicht beherrschen. Sie haben Angst sprachliche Fehler weiterzugeben oder den Kindern beide Sprachen nur halb beizubringen. Sie sind sich unsicher.

 

Ist das der einzige Grund?

POPOVIC: Früher steckte oft Absicht dahinter. Eltern dachten, dass es den Kindern schaden könnte. Sie wollten nicht, dass die Kleinen aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit ausgegrenzt und in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Viele haben in Wien besonders darauf geachtet, dass Kinder auf den Straßen oder in der U-Bahn ausschließlich Deutsch reden, damit man nicht merkt, dass sie Ausländer sind. Aber diese Zeiten sind vorbei, denke ich. Heute schämt sich niemand eine andere Muttersprache zu sprechen. Solange sie sie beigebracht bekommen.

 

Ist die Unsicherheit Kinder zweisprachig zu erziehen denn berechtigt?p;

POPOVIC: Nein. Sprachenvielfalt erweitert immer den Horizont, fördert die geistige Entwicklung und bietet mehr Flexibilität beim Denken. Ein Kind wird von der zweisprachigen Erziehung nicht überfordert sein. Man sollte darauf achten, dass die Kleinen die Sprachen trennen können, wenn beide Eltern aus verschiedenen Ländern kommen. Ein Beispiel: Wenn der Vater Österreicher und die Mutter Polin ist, soll das Kind mit dem Vater auf Deutsch und mit der Mutter Polnisch reden.

 

Sie haben zwei Kinder. Welche Rolle spielt Stolz bei der Sprachenvielfalt?

Popovic: Eine sehr hohe Rolle. Ich vermittle meinen Kindern ständig, dass sie auf ihre Mehrsprachigkeit und Kultur stolz sein sollen. Sie werden dadurch nur Vorteile im Leben haben.

 

Empfehlen Sie uneingeschränkt mehrsprachige Erziehung?

Meiner Meinung nach gibt es keinen einzigen Vorteil einsprachig aufzuwachsen. Aus eigener Erfahrung weiß ich wie lang und mühsam der Weg ist als Erwachsener eine Sprache zu erlernen. Ich empfehle allen Eltern ihre Kinder zwei- oder mehrsprachig zu erziehen, wenn diese Möglichkeit besteht.

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Kommentare

 

Hallo,
unter anderen auch genau für Menschen, die keine Möglichkeit hatten ihre Mutter- oder Vatersprache zu lernen und so auch ein Stück Identität vermissen, ist unser nächster Workshop: Mutter- und Vatersprachen. Mehrsprachigkeit als Chance. Leitung Zwetelina Ortega, 27.09.2016 18 Uhr VHS Landstrasse in Wien. Wir freuen uns auf euer Kommen!

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