Eastern Union

17. Oktober 2017

Syrische Flüchtlinge überweisen Millionen in ihre Heimat. Wie viel genau, darüber reden sie nicht - aus Angst, dass Österreich ihnen die Sozialbeihilfen kürzt. Mit uns haben drei SyrerInnen dann doch gesprochen – über illegale Geldtransfers und wichtige Entwicklungshilfe.

Von Melisa Erkurt und Bilal Albeirouti, Fotos: Susanne Einzenberger und Anas Faraj

Foto: Susanne Einzenberger
1300 Western Union Filialen gibt es in Österreich, diese hier befindet sich am Schubertring. Geld, Ausweis und vor Ort ein Formular ausfüllen und schon ist das Geld auf dem Weg in die Heimat. Foto: Susanne Einzenberger

Über Geld spricht man nicht. Das haben die Syrer von den Österreichern gelernt. „Wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass wir Geld nach Syrien schicken, denken alle, wir würden zu viel bekommen und sie kürzen uns die Beihilfen“, heißt es von allen Seiten, nachdem biber-Redakteur Bilal Albeirouti auf syrischen Facebook-Seiten und in seinem Bekanntenkreis erklärt, dass er für einen Artikel darüber recherchiert, wie und wofür Flüchtlinge Geld nach Syrien schicken. „Such dir ein anderes Thema. Das ist zu heikel“, sagen ihm die meisten Syrer. 

Dabei ist es nichts Neues, dass Migranten Geld in die alte Heimat senden. Die klassischen Empfängerländer von Österreich sind noch immer die Türkei und die Staaten des ehemaligen Jugoslawien. 2016 wurden laut Weltbank 4,1 Milliarden aus Österreich von Migranten verschickt.Trotzdem fürchten sich die Syrer davor, dieses Thema publik zu machen. Vor allem jetzt, so kurz nach der Nationalratswahl, fürchten sich viele vor Kürzungen durch die neue Regierung. Drei SyrerInnen haben dann doch mit uns gesprochen, ihre Namen mussten wir ändern und fotografiert wollten sie auf gar keinen Fall werden.

Fadi* ist seit zwei Jahren in Österreich. Er arbeitet als Küchenhilfe. Viel lieber würde der junge Mann studieren, aber er muss Geld verdienen, um seine alten Eltern in Damaskus zu unterstützen. Sein Lohn beträgt 1.070 Euro netto, davon zahlt er 300 Euro Miete für sein WG-Zimmer. 500 Euro schickt er jeden Monat an seine Eltern. „Mir bleiben 270 Euro monatlich zum Leben. Da ich Raucher bin, ist das Geld schnell wieder weg.“ Fadis Vater ist krank, mit den 500 Euro kauft er Medikamente, zahlt die medizinische Betreuung, Miete und Lebenserhaltungskosten. „In Syrien sind die Lebensmittel jetzt im Krieg sehr teuer.“ Die Lebensmittelpreise sind gestiegen und die syrische Währung hat an Wert verloren. „Vor dem Krieg war ein Dollar umgerechnet 50 Lira (Währung in Syrien) wert. Jetzt kommt ein Dollar auf 514.98 Lira, also mehr als das Zehnfache.“ Vor einem Jahr wusste Fadi noch nicht, dass Western Union für Flüchtlinge das Geld ohne Gebühr in die alte Heimat schickt. „Auf Facebook-Gruppen haben manche davor gewarnt, das Geld Western Union anzuvertrauen. Sie haben uns allen stattdessen angeboten, Geld über ihre Connections runter zu schicken“, erinnert sich Fadi. Fadi trifft sich damals mit einem dieser Männer und gibt ihm 100 Euro, der wiederum ruft seinen Kontakt in Syrien an, der sich mit Fadis Eltern trifft und ihnen das Geld aushändigt. „Das Problem war, dass der Mann sich etwas von dem Geld eingesteckt hat“, sagt Fadi. Dieses System hat einen Namen: „Hawala“. Ein Finanzsystem aus dem Orient, das auf Vertrauen basiert. Eine Person A, die Geld an eine Person B transferieren will, muss dem „Hawaladar“ (Händler), dem sie das Geld übergibt, vertrauen. Person B muss andererseits ihrem Hawaladar vertrauen. Oft sind solche Hawaladar aber Schmuggler und das Geld kommt nie an. Ein weiteres Problem: Mit dem Hawala-System können auch Terrororganisationen wie der IS unkompliziert mit Spendengeldern finanziert werden.

Es git 57 Filialien von WU in Syrien. Das hier ist eine in Damaskus. Foto: Anas Faraj
Es git 37 Filialien von WU in Syrien. Das hier ist eine in Damaskus.Zum Geld abholen braucht man nur einen Ausweis und die Transaktionsnummer, die der Absender beim Verschicken erhalten hat. Foto: Anas Faraj

Doch auch Western Union steht in Kritik, für Terrorunterstützung missbraucht werden zu können. Peter Bucher, Geschäftsführer der Western Union International Bank GmbH, ist sich dessen bewusst und sagt dazu ganz klar: „Wir wollen kein schlechtes Geld.“ Um das „schlechte Geld“ ausfindig zu machen, läuft jede Transaktion durch Sanktionslisten. Auf den Sanktionslisten befinden sich individuelle Personen, aber auch Länder, in denen WU nicht tätig ist, wie der Iran oder Nordkorea. Zwei Hundert Millionen gibt Western Union jährlich für die Überprüfung aus und über 2000 Mitarbeiter, mehr als 15 Prozent der Western Union Mitarbeiter weltweit, sind für die Compliance zuständig.

6000€ Lösegeld

Auch der 35-jährige Syrer Ahmad hat zuerst über einen „Hawaladar“ Geld nach Syrien geschickt. „Mein Bruder wurde entführt, sie forderten 6000 Euro Lösegeld“, erzählt er. Leider kein Einzelschicksal, Entführungen gehören in Syrien zum Alltag. Ahmads Familie in Syrien schafft es, 2000 Euro aufzutreiben. Ahmad ist ihre letzte Hoffnung. Der 35-Jährige kratzt alles, was er hat, zusammen und borgt sich von Freunden Geld, dann schickt er die 4000 Euro über den Kontaktmann nach Syrien. „Wenn ich so eine große Summe legal über Western Union verschickt hätte, wäre Österreich bestimmt misstrauisch geworden. Der Staat würde sich fragen, woher ich das Geld habe und mir die Mindestsicherung kürzen“, ist sich Ahmad sicher. Dabei ist die Mindestsicherung alles, was er hat. Mit dem Geld versorgt er sich und seine Frau, schickt monatlich 100 Euro an seine Eltern und zahlt mit 200 Euro pro Monat seine Schulden bei seinen Freunden, bei denen er sich das Geld geborgt hat, ab. Ahmad und seine Frau suchen täglich nach Arbeit, damit sie ihre Familien in Syrien noch besser unterstützen können. Sein Bruder konnte mit seinem Geld zwar befreit werden, doch in Syrien herrscht Krieg, jeder Cent ist bitter nötig.

 

Lange Warteschlangen – Syrer warten sehnlichst auf das Geld ihrer geflüchteten Verwandten.
Lange Warteschlangen – Syrer warten sehnlichst auf das Geld ihrer geflüchteten Verwandten.

Wichtige Entwicklungshilfe

Das weiß auch die 26-jährige Syrerin Suzana. Sie arbeitet geringfügig angestellt in einem Friseursalon in Wien. Dort verdient sie 400 Euro und bekommt noch rund 400 Euro von Beihilfen. In ihrer Heimat war Suzana politische Aktivistin, deshalb musste sie fliehen und ihre zwei Kinder bei ihrem Mann zurücklassen. Suzana fehlen ihre Kinder, das schlechte Gewissen plagt sie. Deshalb schickt sie so gut wie alles, was sie verdient, nach Syrien. Auch sie hat früher das Geld über einen „Hawaladar“ nach Syrien geschickt. „Vor ungefähr einem Jahr hat dann einer auf Facebook geschrieben, dass er sein Geld über Western Union nach Syrien gesendet hat und dass sie von Flüchtlingen keine Gebühr verlangen und das Geld schnell und sicher angekommen ist.“ Tatsächlich verlangt Western Union seit dem Sommer 2015 bis heute keine Gebühren für Transaktionen von Österreich nach Syrien. Seitdem schickt Suzana das Geld über Western Union. Genauso wie Fadi und Ahmad. In der syrischen Community hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Western Union zuverlässiger und preiswerter ist als Privatpersonen oder dubiose Händler.

Es gibt 550.000 Filialen in fast 200 Ländern. Das sind 15 mal mehr als McDonalds.
Nahrung und medizinische Versorgung, aber auch Terrorunterstützung und Menschenhandel – das Geld, das über Western Union fließt, ist nicht immer sauber.

 

Trotzdem bleibt die Angst: „Was, wenn Western Union öffentlich macht, dass wir Geld an unsere Familien in Syrien schicken? Dann kürzt uns der Staat die Beihilfen und wir landen auf der Straße und unsere Familien in Syrien verhungern“, dessen sind sich alle drei sicher. Dabei gibt Western Union gar keine offiziellen Zahlen heraus, wie viel Geld Syrer in Österreich nach Syrien schicken. Doch das Thema Geld und Flüchtlinge sorgt eben immer für Aufregung. Das bekommen auch die Syrer mit. „Unser Geld für unsere Leute“, plakatierte die FPÖ bereits 2015. „Was, wenn Österreicher nicht wollen, dass „ihr“ Geld an unsere Familien geht?“, fragt sich Fadi. Dabei unterstützt Fadi mit seinen Überweisungen nicht nur seine Familie, er leistet eine wichtige Form von Entwicklungshilfe. Experten halten die Rücküberweisungen für die größere und bessere Entwicklungshilfe, denn das Geld kommt direkt in den Familien an, statt dass es in möglicherweise korrupten Staatsstrukturen untergeht. Auch Peter Buchner bestätigt, wie wichtig die Transaktionen für die Entwicklungshilfe sind (siehe Interview). Aber die Flüchtlinge wollen nicht nur ihrer alten, sondern auch ihrer neuen Heimat Österreich etwas zurückgeben, versichern Ahmad und die anderen: „Wir möchten keine Mindestsicherung, sondern einen Job. Damit wir endlich Geld verdienen, das wirklich uns gehört. Damit zahlen wir Steuern an Österreich und können unsere Familien in Syrien unterstützen, ohne Angst zu haben, dass Österreicher uns das übel nehmen. Unser eigenes Geld verdienen, das ist alles, was wir wollen.“

 

 

 

Info Kasten Hawala

 

Hawala, was auf Arabisch "Transfer" oder "Vertrauen" bedeutet, ist eine alte Praxis aus dem Orient, die das informelle Weitergeben von Geld beinhaltet. Ein Zahler gibt sein Geld einem Mittelsmann. Der hat Kontakt zu einem zweiten, ihm vertrauten Mittelsmann. Der wiederum zahlt die Summe dem Empfänger aus. Der Zahler erhält vorab einen Code, der an den vorgesehenen Empfänger in Syrien gesendet werden soll. Sobald der Code eingetroffen ist - per SMS oder E-Mail - geht diese Person zum Mittelsmann in Syrien und bekommt das Geld - abzüglich einer kleinen Provision. Diese Gebühr variiert. Das Hawala-System ist besonders in Ländern mit schwacher finanzieller Infrastruktur beliebt und wird auch von Kriminellen missbraucht, da der Geldtransfer unaufspürbar ist. In Deutschland ist das Hawala-System strafbar.

Interview mit Peter Bucher, Geschäftsführer Western Union International Bank

Foto: Susanne Einzenberger
Foto: Susanne Einzenberger

Biber: Von Syrern nehmen Sie keine Gebühren (bei Transaktionen bis zu 300 Euro). Von allen anderen schon. Wie hoch sind diese Gebühren?

Peter Bucher: Im Schnitt 5-6 Prozent. Bei uns ist es in Krisensituationen, beispielsweise der Erdbebenkatastrophe in Haiti oder eben dem Syrienkrieg, üblich keine Gebühren zu verlangen, damit das Geld rasch dort ankommt, wo es gerade dringend gebraucht wird.

Was genau bewirkt diese Art der Entwicklungshilfe?

Die meisten schicken das Geld, damit ihre Familien in der Heimat Ausbildung genießen können, damit die medizinische Versorgung gewährleistet wird und die Kosten für den täglichen Bedarf gedeckt werden können. Damit wird enorme Entwicklungshilfe geleistet.

Wie viel überweisen WU Kunden durchschnittlich in die Heimat?

300 US-Dollar ist der weltweite Durchschnitt bei Western Union.

Gibt es einen Maximalbetrag?

Western Union ist in mehr als 200 Ländern und Territorien mit mehr als 550,000 Filialen tätig. 80 Milliarden Euros werden jährlich mit Western Union überwiesen. Die Maximalbeträge variieren von Land zu Land. Nach Syrien können maximal 2000 US-Dollar überwiesen werden.

Wie viele WU Filialen gibt es in Syrien?

Derzeit 37.

Wie viele WU Filialen gibt es in Osterreich?

Derzeit 1.300 Filialen.

Western Union steht in Kritik, mit Migranten Geld zu machen. Wie rechtfertigen Sie das?

Dass wir etwas für unseren Service verlangen, ist Voraussetzung dafür, dass wir diesen Service anbieten können. Uns würde es sonst nicht geben und damit die Entwicklungshilfe, die die Transaktionen leisten, auch nicht.

 

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Kommentare

 

bedeutet, dass der hiesige Steuerzahler bestimmt auch Terrorgruppen über die Sozialhilfe finanziert.

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