Balkansöhne, schwule Balkansöhne und ihre Balkanväter

17. November 2011

Wenn Balkanmänner Söhne haben, ist die Vorstellung des perfekten Erbträgers immer gleich: möglichst groß gewachsen, athletischen Körperbaus soll er sein, mit markanten Gesichtszügen und dichten Haar und einen kräftigen Händedruck soll er haben. Ein jüngeres Abbild seiner selbst, das ebenso gesunde, starke, groß gewachsene Nachkommen zeugt. Der ideale Balkansohn geht natürlich ins Bundesheer. Zivildienst ist etwas für Memmen. Im Bundesheer werden dem Jüngling jene Charaktereigenschaften anerzogen, die ihn fürs Leben eines echten Mannes komplettiert: Disziplin, Härte, Kampfbereitschaft, Durchsetzungsvermögen. Der Balkansohn erfüllt seinen Balkanvater mit Stolz, wenn er sich für eine Ballsportart interessiert – möglichst eine, in der man(n) im Nahkampf duelliert und reine Körperkraft über Triumph oder schmachvolles Versagen entscheidet.

Der Alpha-Sohn

Am besten also Fußball oder Ringen. Zum Alphasohn eines Balkanvaters schafft Sohn es, wenn er sich auch im Freundeskreis als wahrer Kerl beweist: großzügig zu den Nicht-Alphasöhnen, die ihre physiologische und optische Unterlegenheit durch die Kompensation mit anderen Attributen wieder wettmachen und sich so ihren Platz in der Söhne-Hierarchie sichern. Meistens zeichnen sich diese eher unattraktiven, schmächtigen und kleingewachsenen Söhne durch einen ausgeprägten Sinn für Humor aus und sind als Spaßvögel und loyale Anhängsel-Kumpel gut integriert. Der perfekte Balkansohn beweist sich also zunächst in seiner Jugend als hervorragender Sportler, weiß in Papas Garage zwischen Schraubenzieher und Motorkolben zu unterscheiden und demonstriert seinen stolzen Eltern durch regelmäßig wechselnde Frauenbekanntschaften wallende Lendenkraft. So weit. So gut. Und was ist, wenn der Balkansohn niemals Alpha sein kann, weil er sich nicht für Fußball, Motoren, Frauen und Duelle interessiert. Weil es seine Natur nicht zulässt. – Weil – er – schwul – ist - ? ? ? Ja, genau. Schwul.
Schwule gibt es nicht.
Der Sohn, nein, der Balkansohn ist schwul. Allein der dreiste hypothetische Gedanke einer solchen Unmöglichkeit versetzt Balkanväter in einen lähmenden Zustand, der nur eine Regung zulässt: Aggression. Schwule gibt es nicht im Vorstellungsvermögen von Balkanvätern. Es geht um die Verteidigung von Identitäten, Idealen und Naturgesetzen. Wie soll ein Schwuler uns im Krieg verteidigen? Wie soll ein Schwuler Schenkel an Schenkel um einen Ball ringen? Wie soll ein Schwuler athletische Erben zeugen und werden die dann auch schwul? Die Welt steht vor unbeantworteten Fragen. Für Balkanväter stellen sich diese erst gar nicht. Wagte ich in familiärer Atmosphäre einmal Balkanväter in die Runde zu fragen: „Stellt euch vor, ihr habt einen Sohn!“ Zustimmendes Nicken. „Und stellt euch vor, euer Sohn ist schwul..“ Reaktion:„Nein, das stell ich mir sicher nicht vor. Diskussion beendet.“  

Programmierte Liebe

Aber, ganz ehrlich jetzt. Ich kann die Angst dieser Väter komplett nachvollziehen. Zum einen geben von Regierungsträgern geduldete Angriffe der Polizei auf Demonstranten, per Gesetz erlassene Verbote von Gay-Demos und offene Hasstiraden von orthodoxen Glaubensführern keinen Raum für eine öffentliche, gesellschaftspolitische Reflexion über Homosexualität. Zum anderen ist es als „Nicht-Betroffener“ immer leicht, offen und tolerant zu sein. Eine Gegenfrage an mich im Familienkreis war nämlich: „Und, was würdest du tun, wenn dein Sohn schwul wäre?“ Ich antwortete in Gedanken „zu erst würd’ ich das euch mal bestimmt verschweigen“ und zweitens kann ich mich trotz ähnlicher Ängste und möglicher Vorbehalte verlassen, instinktiv darauf programmiert zu sein mein Kind zu lieben. Schwul hin. Schwul her.

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