Crystal City

07. Dezember 2012

Crystal City

Nur einen Steinwurf von der Outlet-Burg Excalibur City hinter der tschechischen Grenze entfernt kaufen Österreicher am „Asia Bazar“ die härteste Droge der Welt: Crystal Meth. Die tschechische Grenzzone ist ihr Versorgungsgebiet Nummer 1.

Mit ihren frischgeföhnten Frisuren steigen die Pensionisten aus dem Shuttlebus. Sie schieben ihre noch leeren Trolleys über den Parkplatz zu den Shops der Excalibur City. „Des Spanferkel beim Wirten derfts eich net entgehn lossn“, ruft ihnen Fahrer Erich nach. Ein Spongebob-Song dröhnt aus den Parkplatzlautsprechern. Aus dem Nebel taucht die pompöse Excalibur-Plastikburg auf, wo feuerspeiende Drachen und glitzernde Elfen die Fassaden zieren. Jeden Tag, 365 Mal im Jahr, chauffieren Erich und seine Kollegen kaufwütige Österreicher in das Duty-Free- und Outlet-Paradies hinter der tschechischen Grenze.

Nur einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Straßenseite singt kein Spongebob mehr. Eine chinesische Mauer schlingt sich um den düsteren „Asia Bazar“. Fotografieren ist verboten, die Stimmung gespenstisch. Wer hier einkauft, bekommt nicht nur billiges, tschechisches Kristallglas, sondern auch die härteste Droge der Welt: Crystal Meth.

Meth macht schneller abhängig als Kokain oder Heroin und ist gerade wegen seiner einfachen und günstigen Herstellung so gefährlich. Wer eine Hausapotheke hat, kann es zuhause aus Erkältungsmitteln und Batteriesäure nachkochen. Crystal Meth taugt als Arbeits- genauso wie als Partydroge. Es schießt extreme Energie in den Körper, macht draufgängerisch und putscht innerhalb von Minuten auf 180. Bis zu drei Tage lang braucht man keinen Schlaf, kein Essen, ist nicht durstig. „Piko“, wie Crystal Meth auch genannt wird, richtet schwere psychische Schäden an und zerfrisst den Körper bei längerem Gebrauch von innen.

Wer am „Asia Bazar“ Crystal Meth kaufen will, sagt das Codewort „Piko“ und wird von den Vietnamesen freundlich hinter den Vorhang gebeten. Das gaben verhaftete Käufer zu Protokoll. Dealer würden nach dem ersten Treffen die Telefonnummer hergeben, um jederzeit für Nachschub sorgen zu können. Dealer, die der Polizei ins Netz gingen, gaben an, oft Kostproben von Meth in kleinen Säckchen an potentielle Kunden verteilt zu haben. Sie sagten auch, dass ihr Stoff am Markt für österreichische Kunden bestimmt war. Die tschechischen Kunden würden „woanders“ bedient.

Laut tschechischer Polizei ist Tschechien mit zehn bis 20 großen Labors der Hauptexporteur von Crystal Meth für seine Nachbarländer. Jährlich würden weitere 400 Kleinlabors für den inländischen Gebrauch von der Polizei ausgehoben. „Die Meth-Produktion hat in Tschechien seit 20 Jahren fast eine gewisse Tradition“, bestätigt auch Gerhard Stadler vom österreichischen Bundeskriminalamt.

Tschechien hat seit 2010 das liberalste Drogengesetz in Europa. Sogar bei Crystal Meth ist ein Eigengebrauch von bis zu zwei Gramm erlaubt.

Zwischen Make-Up und Macheten

Die Gänge sind schmal und bis unter die Decke voll mit Glitzertaschen, Neonpullovern und Plastikschmuck. Links tragen Schaufensterpuppen gefälschte Hollister-Shirts, rechts gibt es die Fake-Rolex und den Fake-iPod dazu. Alle zwei Meter wartet ein Vietnamese und ruft: „Was suche Sie?“ Wer stehen bleibt, ist in der Falle: „Welche Größe, M?“, stottert der Verkäufer und eilt schon mit dem passenden T-Shirt durch seinen Mini-Shop. Je tiefer man in „China Town“ eintaucht, desto verwinkelter und leiser wird es.

Einige Gänge weiter und man ist orientierungslos, der Ausgang nicht mehr in Sicht. Die Verkäufer wirken nicht mehr aufmerksam und freundlich. Sie rufen sich kurze Sätze zu, gruppieren sich im schmalen Gang und lösen sich sofort wieder auf. In den ganz engen Gassen des düsteren Labyrinths rast das Herz.

Hier, tief im Inneren des Marktes, liegen Macheten statt Make-Up auf den Warentischen. Zwischen illegalen Ninjasternen, Schlagstöcken und Butterflymessern schlürfen die Verkäufer ihre Nudelsuppe. Am Nachbarstand zeigt einer, wie man mit dem Taser – einem Elektroschocker – richtig zielt. „Piko“ liegt hier nicht offen am Warentisch. Wer danach sucht, wird trotzdem fündig.

Zwei Polizisten von der Fremdenpolizei streifen durch die Gänge. Die Vietnamesen räumen hektisch ihre Suppenschüsseln weg. Sie schauen verängstigt und sprechen plötzlich auffällig freundlich mit den vorbeigehenden Kunden. „Wir kontrollieren heute die Dokumente der Verkäufer. Sehen wir sonst etwas Verdächtiges, funken wir es an die Kollegen. Die stürmen den Markt dann binnen weniger Minuten. Also Razzia“, sagt einer der Polizisten.

Doch die Dealer sind auf der Hut. „Früher fanden wir Crystal Meth direkt am Markt. Heute passiert das kaum noch. Die Dealer wissen ja, dass wir regelmäßig kommen. Die Banden lassen ihren Stoff jetzt dafür in einem in der Nähe geparkten Auto, vergraben es im Feld hinter dem Markt oder finden andere raffinierte Verstecke“, sagt die Sprecherin der Grenzpolizei Lada Temňáková.

Dealer und User finden aber trotz schärferer Kontrollen zueinander. „Crystal ist an der Grenze problemlos erhältlich. Und sein Konsum ist meiner Erfahrung nach in den letzten Monaten sehr stark gestiegen“, sagt Melanie Buxbaum von der Suchberatung der Caritas. Niederösterreich und Oberösterreich haben zusammen die meisten Crystal Meth Anzeigen. „Das Meth, das wir in Österreich haben, kommt hauptsächlich aus Tschechien. Wir heben nur ein, zwei kleine Labors in Niederösterreich jährlich aus“, sagt ein Insider aus dem Landeskriminalamt Niederösterreich (LKA). Das reiche nicht für die Herstellung von dem, was angezeigt wird.

Viele Österreicher fahren zum Markt, kaufen dort kleine Mengen Crystal Meth und bringen die Droge wieder mit zurück. „Bisschen was für den Eigengebrauch zu besitzen ist in Tschechien zwar erlaubt, das Schmuggeln und der Konsum in Österreich aber nach wie vor verboten“, heißt es aus dem LKA. „Wir greifen im Schnitt fünf Österreicher im Monat auf, die am ,Asia Bazar‘ einkaufen waren. Meist ist es nur ,Ameisenverkehr‘, was bedeutet, dass die Leute in Grammmengen schmuggeln. Aber auch mit Ameisenverkehr lässt sich über Jahre hinweg viel zusammentragen“, erklärt das LKA. Obwohl an der Grenze generell mehr kontrolliert wird, ist der Schmuggel in die Höhe geschossen.

Weder die Vietnamesen noch die Österreicher lassen sich von Polizeirazzien und schärferen Kontrollen abschrecken. Stattdessen werden sie kreativ, wie neueste Meldungen berichten. Schmuggler machen nicht sich, sondern Besucher der Excalibur City zu unfreiwilligen Drogenkurieren. Die Dealer montieren kleine Boxen mit Crystal Meth unter Autos mit österreichischen Kennzeichen. Ist die Shopping-Tour für die Österreicher vorbei, fahren sie mit dem Stoff ahnungslos über die Grenze zurück. Die Dealer folgen ihnen und holen sich die Box bei der erstbesten Gelegenheit wieder.

Am späten Nachmittag lallt Spongebob immer noch und die Besucher schlendern lächelnd mit ihren Tüten zurück zu ihren BMWs. Der Parkplatz ist voll mit österreichischen Autos. Die Pensionisten-Gruppe verstaut zufrieden ihre vollgepackten Trolleys im Gepäckraum des Shuttle-Busses und lässt sich geschafft in die Sitze fallen. Der Motor läuft bereits. Zwei Pensionisten sind spät dran und sprinten mit baumelnden Einkaufssackerln die letzten Meter zum Bus. Erich schaut auf seine Rolex und dämpft mit dem Schuh seine „Milde Sorte“ aus. Er steigt ein. Unter den Bus geschaut hat er nicht.

 

Von Magdalena Vachova und Philipp Tomsich (Fotos)

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