Der Bazar im Schuhgeschäft

14. April 2021

Ich möchte euch eine Geschichte über den Unterschied beim Einkaufen zwischen Araber*innen und Österreicher*innen erzählen.

Jad Turjman
Fotoflausen

Einmal, als ich ganz neu in Österreich war, brachte Lisa, meine Asylheimbetreuerin, einen Freund und mich zu einem Kaufhaus, um Schuhe zu kaufen. Meine einzigen Schuhe hatten schon längst den Geist aufgegeben. Es waren dieselben Turnschuhe, mit denen ich den Weg von Syrien nach Österreich zurückgelegt hatte. Lisa setzte uns bei einem Schuhgeschäft ab und ging ihre eigenen Einkäufe erledigen. Es dauerte nicht lange, bis ich mich für ein Paar entschieden hatte, das für alle Zwecke geeignet schien. Ich bin beim Einkaufen generell schnell und unkompliziert. „Achtzig Euro ist etwas teuer, Bruder, oder?”, fragte Ahmad. „Du hast keine Ahnung, über welche Feilschkünste ein Damaszener verfügt!”, antwortete ich und rieb mir die Hände voller Vorfreude auf das Wortgefecht und ging zur Kassa.

Das Duell um den Preis

Die freundliche und zuvorkommende Kassierin, etwa Mitte Vierzig, mit kurzem, blondem Haar, scannte die Schuhe ein, packte sie in einen Papiersack und meinte: „Achtzig Euro!” Hier beginnt normalerweise in Syrien das Duell um den Preis und das ist für den Araber wichtiger als das Gekaufte selbst. Der Araber liebt das Feilschen, weil er damit mehrere Künste zugleich übt: Rhetorik, Schauspiel, Überzeugungskraft, soziale Kompetenz und Eloquenz. Es ist eine lebendige Angelegenheit, bei der man Körpersprache, Mimik, Gestik, Tonalität und Empathie gleichzeitig einsetzt. „Und für uns? Wir sind das erste Mal in Ihrem Geschäft und hoffentlich werden wir hier Stammkunden. Kommen Sie uns nicht ein wenig entgegen? Ich zahle zwanzig Euro”, erwiderte ich und dachte an die Worte meines Vaters, der meinte, ich sollte zu Beginn des Feilschens ein Viertel anbieten und damit einen Anker setzen. Somit hätte der Verkäufer seinen Einkaufspreis bereits in der Tasche und was er darüber hinaus verhandeln würde, wäre sein Gewinn. „Entschuldigung?”, fragte mich die Kassierin mit großen Augen und verständnislos. „Schauen Sie einmal, Sie sehen so nett und zuvorkommend aus und werden uns sicher nicht zurückgewiesen und enttäuscht gehen lassen. Und ich möchte auch nicht bei meinem ersten Einkauf knausrig und stur sein, ich gebe Ihnen vierzig Euro. Somit haben Sie die Hälfte”, entschied ich mich, begann, das Geld zusammenzufalten, und legte es vor sie auf die Ablage. „Entschuldigung, was verstehen Sie nicht, es kostet achtzig Euro, das steht auf dem Etikett, hier ist doch kein Basar!”, wurde sie etwas ungehalten.

"Bei uns in Österreich feilscht man nicht"

„Etikett, Etikett, was ist das für eine lieblose Begegnung. Was ist der Unterschied zu einem Basar? Es ist wohl einer, aber mit einem Dach“, sagte ich zu mir. Da erinnerte ich mich an die Worte meiner Mutter: Wenn der Verkäufer hartnäckig und eigensinnig bleibt, verwende die Jokerkarte: tu so, als würdest du gehen, aber geh langsamen Schrittes, er wird dich sicher zurückrufen und dir einen besseren Preis machen. Ich nahm mein Geld, zwinkerte Ahmad zu, bedankte mich und ging langsam hinaus. Meine Schritte wurden immer langsamer, aber von der Kassierin kam keine Reaktion. Beim Ausgang widerstand ich meiner Entscheidung, nicht zurückzublicken, und schaute doch zu ihr. Kopfschüttelnd packte sie die Schuhe wieder aus und wunderte sich sicherlich über die zwei Gestörten. Lisa lachte sich kaputt über uns. „Du warst doch oft im Supermarkt und hast erlebt, dass man bei uns nicht um den Preis feilscht”, meinte sie. “Ja, bei uns im Supermarkt und im Restaurant auch nicht, aber im Handel ist es unerlässlich”, war ich enttäuscht von dieser Erfahrung. Letztendlich ging Lisa noch einmal allein in das Schuhgeschäft und holte die Schuhe ab. Mein dämlicher Stolz erlaubte mir nicht mitzugehen.

 

 

Jad Turjman
ist Comedian, Buch-Autor und Flüchtling aus Syrien. In seiner Kolumne schreibt er über sein Leben in Österreich.
Kontakt: turjman@dasbiber.at

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