Die Impfflucht

24. Februar 2022

Obwohl die Impfpflicht wackelt, flüchten immer mehr Menschen weg aus Österreich. Um „frei und ungeimpft“ zu leben, geben sie alles auf und nehmen eine ungewisse Zukunft in Kauf.

 

Text: Amar Rajković und Celina Dinhopl (Mitarbeit), Fotos: Zoe Opratko

 

Ich kann meinen Job, aber nicht meinen Körper wechseln.“ Nazar Argopyan zippt sich seine blaue Arbeitsjacke zu, überprüft die Papiere im Handschuhfach und richtet den Turm von Umzugskisten, der vom Beifahrerplatz aus umzustürzen droht. Der Himmel an diesem kalten Wintermorgen verwandelt sich langsam von Rosa in Blau. Der Verkehr rauscht teilnahmslos am geparkten Volvo vorbei, als würde er gar nicht wissen, dass hier ein Kapitel endet.

 

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Argopyan kehrt nach Sofia zurück. Grund: Er möchte sich in Österreich nicht impfen lassen. ©Zoe Opratko

 

Der Fahrer des Volvos, Argopyan, trägt eine hellblaue Jacke mit schwarzen Streifen. Er sagt nicht viel. Wenn er etwas erzählt, klingt es schnell mal philosophisch. Seine pechschwarzen Haare haben wenig graue Mitstreiter, wenn man bedenkt, dass der Träger 64 Jahre alt ist. Er arbeitete als Tischtennistrainer bei der UNO. Nun verlässt Argopyan nach elf Jahren Wien. Er folgt seiner Frau nach Sofia und will sich dort seinen zwei Enkelkindern widmen und keinesfalls über Corona reden. „Der Fernseher wird nicht laufen, wenn ich zu Besuch komme“, sagt er. Er ist ungeimpft und möchte es weiterhin bleiben. Darum kehrt er zurück, auch wenn er nicht weiß, wie er Geld in seiner alten Heimat verdienen soll. 14 Stunden wird er am Steuer sitzen und über Gott, die Welt und Corona nachdenken. Er weiß zwar nicht, wie er in Zukunft Geld verdienen wird, doch eines weiß er ganz genau: In Österreich, dem Land, in dem, wie er sagt, der Impfstatus mehr als die körperliche Gesundheit zählt, bleibt er keinen Tag länger.

 

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Er ist dann mal weg. ©Zoe Opratko

 

Jeder wird jemanden kennen, der Österreich verlassen hat.

 

Seit Anfang Februar gilt in Österreich die Covid-19-Impfpflicht, erst ab Mitte März soll gestraft werden. Kanzler Nehammer erwägt zwar mittlerweile wieder einen Rückzieher, doch das hält die Menschen nicht mehr auf, die beschlossen haben, Österreich den Rücken zu kehren. Ob es Hunderte oder Tausende sind, dafür gibt es keine belastbaren Zahlen. Telegram- Gruppen und Geschichten aus dem persönlichen Umfeld bestätigen den Verdacht: Es werden immer mehr. Manche, wie Argopyan, kehren zurück in die Heimat. Andere brechen auf in ein Land, das sie vielleicht nur aus dem Urlaub kennen. Kroatien ist unter den Auswanderern beliebt, aber auch Georgien oder Spanien werden genannt, genau wie Paraguay und Mazedonien. Über den Messenger-Dienst Telegram tauscht man sich aus zu Fragen wie „Welche Krankenversicherung gilt in Kroatien?“, „Wo gibt es Waldorfschulen außerhalb Zagrebs?“ oder „Kennt wer einen Zahnarzt in Istrien, der keinen Impfpass verlangt?“. Alleine die Gruppe „Auswandern-Kroatien“ hat knapp 1.300 Abonnenten, und an vielen Tagen kommen 30 bis 40 neue hinzu.

 

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In einschlägigen Telegram-Gruppen treffen sich auswanderungswillige User, um Infos auszutauschen.

 

Der Unentschlossene

 

Robert* studiert Angewandte Geowissenschaften an der Montanuniversität in Leoben. Sein Vater ist Professor, die Mutter Juristin. Wir treffen ihn auf Zoom. Er kleidet sich schlicht, mit dünner Weste und Blue Jeans. Er artikuliert sich gewählt und liest „Zeit“ und „NZZ“. Robert sagt, seine Freundin lacht über seine Ansichten und tut sie als Spaß ab. In seinem Freundeskreis sei er einer der wenigen, die noch keine Covid-Impfung erhalten haben. Er sagt, weder seine Partnerin noch Bekannte oder Verwandte könnten sich vorstellen, dass er seine Drohung wahr machen und Österreich verlassen würde. „Die Impfung schützt vor der Omikron-Variante kaum, warum sollte ich mir dann eine verpassen lassen?“, sagt er. „Mir ist vor allem der Schutz anderer wichtig, deswegen lasse ich mich regelmäßig testen, was man von den meisten Geimpften nicht behaupten kann.“ Er ärgert sich über den Corona-Schlingerkurs der Regierung. Österreich zu verlassen sei für Robert das allerletzte Mittel. Dabei liebe er sein Land über alles. Er sei ein „stolzer Patriot.

 

Über Misstrauen und Marionetten

 

Argopyan freut sich auf den blauen Himmel, der ihn auf der Fahrt in die Heimat begleiten wird. Er schätzte an Österreich die sicheren Jobs, das gute Gehalt, die sauberen Straßen. Er erlebte den Kommunismus in Bulgarien, das Misstrauen gegenüber den herrschenden Eliten hat sich in seine DANN eingebrannt. Er vermutet ein abgekartetes Spiel der „mächtigen, globalen Politik“, bei dem die österreichische Regierung nur die Marionetten mimt. 

 

„Es gibt viele Journalisten im Fernsehen, doch die stellen immer dieselben Fragen. Im Internet findest du ganz andere Meinungen zur Impfung, auch von renommierten Ärzten und Wissenschaftlern“, sagt Argopyan. „Du musst impfen, du musst impfen, du musst impfen“, fasst er die Botschaften in den Mainstream-Medien knapp zusammen und winkt ab. Nun zieht er in sein Heimatland zurück. Ohne Plan, ohne Job, aber „frei“.

 

Bio-Hof in Kroatien

 

In der Telegram-Gruppe „Auswandern nach Kroatien“ würde Argopyan viele Befürworter finden. Die Mitglieder scheinen genauso bunt gemischt wie die Demoteilnehmer zu sein, die mittlerweile fast jedes Wochenende in Großstädten Europas gegen die „unmenschliche Corona-Diktatur“ spazieren gehen. Der Umgangston ist größtenteils respektvoll, nur vereinzelt verstoßen User gegen die Netiquette. Videos von „Impflingen“ mit schweren Impfnebenwirkungen werden dort wenig kommentiert. Dafür erfahren Fragen wie „Kann man das Leitungswasser in Kroatien trinken?“ oder „Welche Berufe sind gefragt in Kroatien?“ reges Interesse.

 

Was geschieht, wenn man sich in dieser Telegram-Gruppe als „besorgter Vater“ ausgibt, der sich ernsthaft überlegt, wegen der Impfpflicht nach Kroatien auszuwandern? Eine Userin, sie nennt sich Kati* scheint auf jede Frage die passende Antwort zu haben. Im privaten Chat erzählt sie, dass sie eine in Deutschland geborene Kroatin ist. Sie und ihr Mann leben noch in beiden Ländern. Nicht mehr lange. Kati verkauft gerade all ihren Besitz in Deutschland, um sich ein Leben in Kroatien zu finanzieren. Dass sie mit ihrem Mann schon mehrere Häuser und Grundstücke im Land am Balkan besitzt, ist sicherlich nicht von Nachteil. „Mein Mann will mit seinem Cousin Häuser bauen und verkaufen. Ich will einen ökologischen Hof mit kleinen Hütten zum Vermieten aufbauen“, schreibt Kati. Ein sehr konkreter Plan, von dem andere Impfskeptiker nur träumen können.

 

Unpünktlich, ohne zu blinken

 

Mittlerweile hat noch eine Userin zurückgeschrieben. Sie ist, ähnlich wie die Aussteigerin mit den Bio-Hof-Ambitionen, Kroatin aus Deutschland. Lidija* hat sich mit ihren zwei Kindern (10 und 12) und dem iranischstämmigen Ehemann seit sieben Wochen in der Nähe von Zagreb angesiedelt. Er fängt bald in einer Spedition an, sie hat ihren Job bei einer großen deutschen Fluggesellschaft. Die Kinder gehen in eine internationale Schule in Zagreb und sind über ihre Mutter in Deutschland mitversichert. Das Geld für den Anfang generieren sie aus dem Hausverkauf in Deutschland.

 

„Die Fahrweise der Kroaten ist etwas frech und gewöhnungsbedürftig. Sie drängeln, ohne zu blinken, und fahren einen ganz schön auf. Einen Unfall haben wir schon hinter uns“, schreibt Lidija mit einem traurigen Smiley hintendran. Außerdem sei „Pünktlichkeit nicht so ihr Ding.“ Trotzdem habe die dreifache Mutter (der volljährige Sohn ist in Deutschland geblieben) keine Sekunde ihre Entscheidung bereut.

 

Sie schreibt mir von einem anderen deutschen Pärchen, das in ihrer Nähe lebt. Dieses pendelt noch zwischen Deutschland und Kroatien hin und her, „werde allerdings auch irgendwann mal kommen“, ist sich Lidija sicher, denn „es hätte genauso wenig Bock auf die Maßnahmen in Deutschland wie wir.“

 

Ungeimpfte Bulgaren

 

In Bulgarien ist nicht mal jeder Dritte geimpft, damit ist das Land auf dem letzten Platz in der EU. Zum Vergleich: Österreich liegt mit 72 Prozent im Mittelfeld, Spitzenreiter ist Portugal mit über 90 Prozent, Stand Ende Februar. Wer sich in Bulgarien mit Corona ansteckt, stirbt besonders häufig, auch hier ist man trauriger Spitzenreiter in der EU. Im Jahr 2021 starben in Bulgarien so viele Menschen wie seit 100 Jahren nicht mehr.

 

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Es gibt viele Gründe für die Corona-Misere: „Bulgarien wurde vier Jahrzehnte von Kommunisten regiert, die Menschen misstrauen der Regierung und den staatlichen Institutionen“, sagte Thorsten Geißler, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia, kürzlich in einem Interview. Oft versuchten die Menschen, Corona mit „Rakya“ zu bekämpfen. Zu solchen eigenwilligen Methoden werden die Menschen über die sozialen Medien angeleitet. Die politischen Brandstifter komplettieren die tödliche Mischung, die dem bulgarischen Staat momentan zu schaffen macht.

 

Zwei Wochen sind vergangen, seit Argopyan seine Umzugskisten in den blauen Volvo gepackt hat. Er verbringt fast jeden Tag mit seinen Enkelkindern, geht mit ihnen spazieren. Am Telefon wirkt er genauso stoisch und besonnen wie in natura. Die Schreckensmeldungen aus seiner Heimat sind ihm egal. „Ich habe keine Angst, ich habe meine Meinung schon.“ Vor Corona sei man eben an “Grippe, Krebs und anderen Viren“ gestorben. Na und?

 

Er vertraue Medien nicht, denn, „wer ist Besitzer dieser Medien?“ Er betont immer wieder, dass er viel über Corona nachdenke und seine Entscheidung wohl überlegt gewesen sei. Eines Tages wird er nach Wien zurückkommen. Ein Freund von ihm hat eine Wohnung und die kann Argopyan jederzeit nutzen, wenn er auf Besuch ist. Ob es nur bei einem Besuch bleibt oder ob er wieder vollbepackt mit seinem blauen Volvo-Oldtimer die Rückreise antreten wird, steht in den Sternen. Eines ist gewiss: Argopyan bleibt ungeimpft. ●

 

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© Zoe Opratko

 

* Die Namen sind der Redaktion bekannt und wurden auf Wunsch der Beteiligten geändert.

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