Die kleinen Hausfrauen

02. Dezember 2020

Kochen, Putzen, Backen und den Haushalt schmeißen: Wie Mädchen aus dem Balkan von klein auf zu perfekten Hausfrauen gedrillt werden – und warum wir mit dieser Tradition brechen müssen. 

Von Šemsa Salioski, Fotos: Zoe Opratko   

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko
 

"Eure zukünftigen Ehemänner werden euch zu euren Eltern zurückschicken, wenn ihr später alleine in der Küche steht und nicht wisst, wie man Burek richtig zubereitet. Und jetzt kommt uns beim Putzen helfen. Der Fußboden im Wohnzimmer muss glänzen bevor die Gäste kommen! Was werden die anderen Frauen über uns sagen, wenn es hier dreckig aussieht?“ Ob Töchter, Cousinen, oder Nichten - Solche Aussagen kennen viele junge Mädchen mit Balkan-Background von den älteren Frauen ihres Umfelds. Dass sich solche zwar scherzhaft formulierten, aber durchaus ernst gemeinten Forderungen bereits an 10-jährige Kinder richten, ist in vielen Wiener Familien der Balkan-Diaspora sogar im Jahr 2020 gang und gäbe. Besonders bei denen, die aus ländlichen Regionen stammen und das Leben auch außerhalb der Heimat nach uralten Traditionen gestalten möchten. Warnungen wie diese sollen den weiblichen Nachwuchs auf ihre vermeintlich unausweichliche Zukunft als gefügige Bedienstete, Haus- sowie Ehefrau vorbereiten. Gleichzeitig wird damit ihr Wert an eine hohe Leistungsbereitschaft im Bereich des Haushalts geknüpft. Von klein auf wird ihnen somit ohne jegliche Bedenken beigebracht, dass sie von der eigenen Familie und den späteren Partnern wegen ihres Geschlechts auf bestimmte Aufgaben oder Funktionen innerhalb der vier Wände reduziert werden und das akzeptieren müssen.

„DU WIRST SCHON SEHEN, DU WIRST SPÄTER GENAUSO WERDEN WIE WIR!“

Auch ich habe ähnlich problematische Zurechtweisungen bereits sehr früh von meinen aus Nordmazedonien stammenden Tanten und Bekannten zuhören bekommen. Obwohl mich als Kind niemand über die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau aufgeklärt hat, wusste ich instinktiv, dass das der anzustrebende Zustand sein sollte und bei „unseren Leuten“ etwas ganz schon schiefläuft. Mit Pippi Langstrumpf als Vorbild und einem frechen Mundwerk habe ich mich jedoch zu verteidigen gewusst. Ich habe mich oft darüber lustig gemacht, dass sie sich auch noch lächelnd wie Sklavinnen behandeln lassen oder direkt gefragt, ob sie denn auch spannendere Gesprächsthemen als Kochrezepte und Hochzeiten hätten. „Du wirst schon sehen, du wirst später genauso werden wie wir!“, haben sie dann meistens gesagt. Fast forward: Bin ich natürlich nicht. Heute als Erwachsene gehe ich solche Sticheleien etwas diplomatischer an als früher, aber dazu später mehr.

DER „KANUN“ UND DER VERLANGSAMTE SOZIALE WANDEL AUF DEM BALKAN

In Nordmazedonien, dem Herkunftsland meiner Eltern, sind Erziehungsformen wie diese besonders bei den höchst traditionsbewussten albanischen und türkischen Minderheiten verbreitet. Meine Familie zählt zur albanischen Minderheit. Das Ganze zieht sich allerdings auch quer über den Balkan -  ob in Serbien, Bosnien oder Albanien. Was das albanische Volk angeht, liegt der Ursprung dieser frauendiskriminierenden Erziehung im sogenannten „Kanun“, dem jahrhundertealten, mündlich tradierten und zutiefst patriarchalischen Gewohnheitsrecht, das zum Beispiel das Familienleben regelt. Demnach sollen Frauen zuerst das Eigentum ihrer Eltern und später das ihrer Ehemänner sein. Bei den restlichen Balkanländern wird es wohl vor allem am verlangsamten sozialen Wandel in die moderne Zeit, augrund von politischer und wirtschaftlicher Instabilität, liegen.

Ich persönlich hatte jedoch Glück mit meinem Elternhaus: Wenn wir Besuch hatten, musste ich keinen Finger rühren. Ich war sogar meistens nicht einmal im Wohnzimmer, um „Hallo“ zu sagen. Wozu auch? Ich habe sie ja nicht eingeladen. Für viele war allein das schon ein Skandal. Es gab für mich demnach auch keinen Zwang zum üblichen fake-freundlichen Kaffee und Süßigkeiten servieren. Statt meiner Mutter beim Kochen oder Backen zusehen zu müssen, durfte ich in Ruhe meine Anime-Zeichentrickserien ansehen oder auf meinem Nintendo DS spielen.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

WERTSTEIGERUNG AUF DEM HEIRATSMARKT

Bei den meisten jungen Frauen mit Balkan-Background aus meinem persönlichen Umfeld sah der Alltag anders aus. Ihnen blieb dieses absurde „Trainingslager für gefügige Bedienstete, Haus- und Ehefrauen“ nicht erspart: Statt an den Wochenenden, wenn Verwandte oder Freunde der Eltern zu Besuch waren, ihre Hausaufgaben zu machen oder ihre eigenen Freunde zu treffen, mussten sie spätestens ab dem Teenie-Alter beim Putzen helfen, danach in der Küche stehen, dort Kaffee oder Tee für die Gäste kochen und das Ganze mit einem Lächeln servieren. Im Erwachsenenalter hat sich nichts daran geändert. Personen aus dem Balkan werden immer für ihre Gastfreundschaft gelobt, doch die Bewirtung bleibt ausschließlich dem weiblichen Geschlecht überlassen. Falls die Mädchen dann auch noch selbst gebackene Süßspeisen wie Baklava auf den Tisch legen, klatschen Tanten in die Hände und machen ihnen Komplimente wie „Du bist ja so fleißig! Die Familie deines zukünftigen Ehemannes kann sich glücklich schätzen eine wie dich im Haus zu haben!“.

Es geht beim Backen, Kochen oder anderen Haushaltstätigkeiten nie um die Förderung der Selbstständigkeit, was trotz des jungen Alters ja nicht so tragisch wäre. Es geht immer nur darum, dass Mädchen später von noch unbekannten zukünftigen Familien und Ehemännern positiver bewertet werden. Söhne müssen im Vergleich dazu meistens nicht einmal zuhause sein und sich mit den Gästen ihrer Eltern langweilen. Sie lernen früh, dass die Hausarbeit oder Gästebewirtung „Frauensache“ ist und dementsprechend nur ihre Mütter, Schwestern und später dann ihre Partnerinnen erledigen müssen.

WOMEN EMPOWERMENT DURCH VERWEIGERUNG 

Die Erziehung ist schuld daran, nicht sie selbst. Höhere Bildung oder große Karriereziele, die Selbstständigkeit und Empowerment bei Frauen fördern würden, werden in den meist ohnehin schon bildungsfernen Arbeiterfamilien eben selten zum Gesprächsthema gemacht. Optionen wie diese wirken daher womöglich wie Ziele, die nur nebensächlich oder nicht greifbar sind. Kein Wunder, wenn der Fokus in der Erziehung primär darauf gerichtet ist, sie zu gefügigen Bediensteten, Haus- und Ehefrauen zu machen. Doch wie kann man dagegen vorgehen?

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Foto: Zoe Opratko

„ICH WERDE DOCH KEINEN KAFFEE VON EINEM MANN TRINKEN. BLEIB SITZEN, DAS MUSS DEINE TOCHTER ERLEDIGEN!“

Vor allem die Kinder der Diaspora haben die Möglichkeit modernere Weltanschauungen kennenzulernen und müssen das auch nutzen. Es gibt bestimmt genug Mädchen und junge Frauen, die sich trotz der enorm patriarchalischen Erziehungsmethoden darüber im Klaren sind, dass die Erwartungen an sie, alles andere als zeitgemäß sind und das Ganze nicht mehr schweigend über sich ergehen lassen müssen. Ein dazu passendes Beispiel aus meinem Leben: Vor einigen Jahren ist meine Tante, gemeinsam mit ihrem Ehemann, unangemeldet bei uns aufgekreuzt. Meine Mutter war arbeiten, mein Vater und ich waren alleine zuhause. Mein Onkel hat meinen Vater gefragt, ob er einen Kaffee bekommen kann. Als mein Vater deswegen aufgestanden ist, hat er ihn mit den Worten „Ich werde doch keinen Kaffee von einem Mann trinken. Bleib sitzen, das muss deine Tochter erledigen!“ aufgehalten und mich völlig verwirrt angesehen. Ich habe mich geweigert seinem unfassbar unverschämten Befehl zu folgen und mir lieber seelenruhig angesehen, wie die Haut auf seinem Gesicht immer rötlicher und sein Blick immer wütender wurde. Mein Vater hat nichts dazu gesagt. Meine Tante fand meine Reaktion witzig, hat ihren Grinser aber natürlich versteckt und ist dann auch sofort selbst aufgestanden, um ihrem Mann tatsächlich in einer fremden Küche Kaffee zu kochen.

„NAJA, EIGENTLICH HAST DU RECHT.“

Genug Betroffene der älteren Generationen wissen, dass die Welt sich verändert hat und sich die eigenen Einstellungen nach und nach mit ihr verändern müssen. Auch wenn das verkehrt klingen mag, sollte man ältere Familienmitglieder, falls nötig, aufklären oder eben wiederholt Gespräche darüber führen. Als meine Großmutter mich nach meinem Magisterabschluss gefragt hat, warum ich ein völlig neues Studium beginne und nicht endlich heirate, damit ich finanziell abgesichert bin, lautete meine Antwort : „Ach Nana, das eine hat heutzutage nichts mehr mit dem anderen zu tun. Wir leben nicht in einem abgelegenen nordmazedonischen Bergdorf von früher. Wer als Frau finanzielle Sicherheit will, muss einfach selbst arbeiten gehen. Studienabschlüsse helfen dabei später gut bezahlte Jobs zu finden. Außerdem ist nur verheiratet sein doch keine Garantie für die ewige Absicherung, da man bei einer Trennung vor dem Nichts stehen würde. Qualifikationen bleiben für immer, Beziehungen zu Menschen sind da komplizierter. Verstehst du?“ Ihre Antwort darauf konnte ich selbst nicht glauben. Sie hat ein paar Sekunden lang gezögert und dann „Naja, eigentlich hast du recht.“ gesagt.

Nicht alle Traditionen sind automatisch schlecht. Aber einige haben keinen Platz mehr in der Zukunft. Vor allem dann nicht, wenn sie jungen Frauen schon in ihren Köpfen Wege versperren, die sie vielleicht gerne gegangen wären. 

Zur Autorin: Šemsa Salioski ist 26 Jahre alt und hat nordmazedonische Wurzeln. Sie studiert Internationale Entwicklung im Master. In ihrer Arbeit als freie Journalistin befasst sie sich mit Geschlechterrollen und dem Bruch mit veralteten Traditionen - vor allem in Balkanländern.

 
Dieser Artikel ist Teil des biber-Empowerment-Specials "Du bestimmst. Punkt."  Junge Frauen aus den Communities berichten im Rahmen des Projektes darüber, wie sie für Selbstbestimmung kämpfen. Das Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds finanziert. Die Redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber. 
Hier findet ihr die anderen Artikel, die im Rahmen des Projektes entstanden sind:
 

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