DIE STOJKAS AUS FLORIDSDORF

29. Januar 2015

Die Roma aus dem 21. Gemeindebezirk sind ein wichtiger Teil der Geschichte Wiens. Wir haben einen der letzten Stojka aus Floridsdorf, Willi Horvath, getroffen und mit ihm in den Fotoalben seiner Familie geblättert.


Von Alexandra Stanic

Willi schlägt als Treffpunkt das „Café Fichtl“ vor, das mitten in Floridsdorf ist. „Das Fichtl war lange Zeit das Stammcafé meiner Familie“, beginnt er seine Erzählung. „Es war wie unser zweites Wohnzimmer.“ Jetzt erinnert nichts mehr an vergangene Zeiten. „Nur der dunkle Holzboden ist der gleiche.“ Seine Familie zieht 1920 von Ungarn nach Wien. Der 48-Jährige stammt von den „Lovara“-Roma ab, die Pferdehändler waren. Für seinen Ur-Ur-Großvater, einen der ersten Stojkas in Wien, war es unerlässlich, einen Hof und ein Haus zu besitzen. „Deswegen war Floridsdorf der ideale Ort zum Ansiedeln.“

Die Stojkas waren bis zum zweiten Weltkrieg Mitglieder in Box- und Fußballvereinen, besuchten regelmäßig österreichische Gasthäuser und waren bekannt für ihre Zusammentreffen, die oft spontan stattfanden und mehrere Tage gingen. „Meine Vorfahren waren Teil der Gesellschaft und sozial integriert“, erzählt Willi. „Sie bewiesen Integration, als dieses Wort noch keine Bedeutung hatte.“ Während des dritten Reichs starben viele in KZ-Lagern, die Überlebenden kehrten zurück nach Floridsdorf, mit neuem, deutschen Namen: „Horvath“. „Stojka war für meinen Opa ein Roma-Name, den er nicht mehr tragen wollte“, stellt er fest.

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

In den 60iger Jahren hörte der Pferdehandel auf, die Roma sattelten um auf Teppichverkauf. „Meine Cousins absolvierten nur die Schulpflicht und wollten möglichst schnell Teppiche verkaufen, weil man gut damit verdienen konnte“, erzählt er. „Ich war der einzige in der Familie, der eine höhere Schule besucht hat - deswegen habe ich auch heute noch den Spitznamen Professor.“ Von 1988 bis 1996 beteiligte sich auch Willi am Teppichhandel. „Ich bin auf Kirchtage, Volksfeste und Jahrmärkte gegangen und habe meine Ware dort angepriesen“,so Willi. „Die meisten waren zusätzlich hausieren, aber das war nichts für mich.“

Der 48-Jährige scheint sich gerne an seine Kindheit zu erinnern. Er erzählt von Familienfeiern an lauen Sommerabenden und vielen Menschen auf ihrem größten Grund in Floridsdorf. „Etwa 15 Personen haben auf dem Hof zusammengelebt“, so Willi. „Aber täglich kamen mindestens noch einmal so viele zu Besuch oder reisten gar aus dem Ausland an.“ Dieser Zusammenhalt gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Solche Höfe wie früher gibt es nicht mehr, man kann also nicht einfach so vorbeikommen“, antwortet er auf die Frage, ob er noch viel Kontakt zu seiner Familie hat. „Damals waren die Zeiten noch romantischer und weniger gehetzt.“

Heute beschäftigt sich Willi mit der Aufklärung des verzerrten Bilds, das die Gesellschaft von Roma hat. „In Medien wird nur über bettelnde, herumziehende und schmutzige Roma gesprochen, das stimmt so aber nicht.“ Deswegen hat Willi seine alten Familienfotos dem Wien Museum zur Verfügung gestellt. Anlässlich der großen Ausstellung „Romane Thana“, die am 12. Februar Eröffnung feiert, werden die Bilder veröffentlicht. Für uns stöbert Willi vorab in den Alben seiner Familie.„Ein ganz normaler Weggeh-Abend in einem der Stammlokale im 21. Bezirk. Wir Stojkas waren bekannt dafür, dass wir richtig feiern und dabei auch viel Geld ausgeben.“, gibt er lachend zu. „Wir haben uns eben nicht mit einem Glas Wein lumpen lassen, sondern richtig auf den Putz gehaut.“

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

„Ein ganz normaler Weggeh-Abend in einem der Stammlokale im 21. Bezirk. Wir Stojkas waren bekannt dafür, dass wir richtig feiern und dabei auch viel Geld ausgeben.“, gibt er lachend zu. „Wir haben uns eben nicht mit einem Glas Wein lumpen lassen, sondern richtig auf den Putz gehaut."

 

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

„Das ist eines der typischen Zusammentreffen meiner Familie. Die Feste haben oft drei Tage und Nächte gedauert und fanden ohne wirklichen Grund statt. Diese Veranstaltungen gehörten zum Leben einer Großfamilie.“, erinnert sich Willi. „Ich weiß noch genau, wie die Frauen in der Familie bis zu dreimal am Tag gekocht haben, damit es auch wirklich genug zu essen gibt." gibt.“

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

„Das ist mein Großonkel Johann Florian, der „Goka“ genannt wurde. Er war immer sehr chic gekleidet, nur die robusten Schuhe verraten, dass er mit Pferden arbeitet. Zu dieser Zeit hat jeder Pferdehändler in meiner Familie einen Anzug und Hut getragen“, erklärt Willi. „Trotzdem ist Goka jeden Tag um vier Uhr morgens aufgestanden, hat sich beim Brunnen kalt gewaschen und ist direkt in den Stall, um sich um die Pferde zu kümmern. Erst danach hat er sich den Hut aufgesetzt.“

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

„Im Hintergrund ist mein Großvater Jano zu sehen, er trägt das offene, weiße Hemd“, sagt er und zeigt auf einen Mann im Foto. „Das Bild wurde in den 60iger Jahren geschossen, auf einem der zahlreichen Märkte. Die Teppiche hängen auf provisorisch aufgebauten Holzständen. Die Käufer haben sich ihre Ware einfach über die Schulter geworfen und sind nach Hause spaziert. Mein Großvater ist genauso wie meine restlichen Verwandten neben den Markttagen hausieren gegangen, da war das noch nicht so wie heute, dass sich jeder Zuhause einsperrt und nicht aufmacht, wenn man klopft.“

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Foto: bereitgestellt/Marko Mestrovic

„Ich komme aus einer Musiker-Familie. Mein Opa, mein Vater und viele meiner Onkel waren Berufsmusiker. Ich selbst spiele auch Schlagzeug seit ich ein Kind bin. Ich habe keinen Unterricht genommen, meine Verwandten haben mir das Musizieren beigebracht - das liegt uns einfach im Blut“, ist sich Willi sicher. „Links ist meine Tante Ruza zu sehen, sie gehört neben Harry Stojka zu den erfolgreichsten Künstlern meiner Familie. Sie ist die offizielle Vertreterin der Lovara-Roma Musik. Im März wird sie 70.“

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