"Herr Flüchtling, das ist unser Land!"

22. Oktober 2019

Jad Turjman ist Poetry-Slammer, Buch-Autor und Mensch. Warum der junge Syrer die Bezeichnung „Flüchtling“ nicht mehr hören kann und sich fragt, ob ÖsterreicherInnen gut integriert sind, erzählt er von nun an im biber. 

Jad, Flüchtling, Poetry Slam

Mein Name ist Jad Turjman. Ich habe 2014 im Alter von 25 Jahren meinen Geburtsort Damaskus verlassen müssen. Ich bin geflüchtet, weil ich am 1.Oktober 2014 den Einberufungsbefehl zum Einrücken bekommen habe. Ich will keine Waffe in die Hand nehmen, denn ich finde Krieg grausam und bestialisch und ich möchte kein Teil davon werden. Egal wie der Feind heißt oder was der Grund ist sich zu bekriegen. 

In Damaskus habe ich englische Literatur studiert. Warum ich dieses Studium damals ausgesucht habe, weiß ich im Nachhinein bei aller Ehrlichkeit nicht. Denn ich mag König Henry VIII und William Shakespeare nicht und genau die beiden waren Stammspieler in meinem Studium. Daher war es verständlich, dass ich mehr Zeit in meinen Zweitjob investiert habe. Ich habe nach Ausbruch des Krieges im Magistrat von Damaskus bis zu meiner Flucht gearbeitet. In unserer neu eingerichteten Abteilung haben wir von Krieg betroffenen Menschen geholfen. Entweder Geldentschädigung gegeben oder eine Notunterkunft organisiert. 

Als ich in Österreich nach der strapaziösen Flucht ankam, war ich im wahrsten Sinne des Wortes verwirrt. Mir war selbstverständlich klar, dass ich die deutsche Sprache und die Kultur Österreichs lernen muss und will, aber
zu jenem Zeitpunkt schaffte ich es nicht. Immer wieder, wenn ich mein Deutschbuch aufschlug, war meine Konzentration dahin und ich war in Gedanken woanders. Mein Rucksack war voll. 

Ich bin allerdings politisch interessiert und habe nebenbei die politische Debatte über Integration, Werte, Kultur und Angst vor Fremden natürlich mitbekommen. Ich hatte aber keine emotionale Kraft, mich damit zu befassen. Mich haben ganz andere Dinge geplagt. 

Und trotzdem: Jedes Mal, wenn ich Politiker über Flucht und Flüchtlinge reden hörte, spürte ich einen Stich im Herzen. Die Oberflächlichkeit und Einseitigkeit, mit der die Thematik behandelt wurde, hat mich empört. Ich fühlte mich sprachbehindert wie jemand, der nur zuhört, was über ihn gesprochen wird, sich aber selber nicht äußern kann. 

Dieses Gefühl und viele andere haben mich dazu motiviert, diesen Poetryslam zu schreiben. Aber das ist nur ein Aspekt meiner Erfahrung als Flüchtling in Österreich. Ich habe in den vergangenen fünf Jahren viele positive Erfahrungen gemacht und großartige Menschen aus diesem Land kennenlernen dürfen. Diese Erfahrungen haben mein Leben nachhaltig bereichert. Ich durfte Vieles lernen und habe mich von vielen veralteten Glaubensätzen verabschiedet. Über diese Lebensumstellung erzähle ich zu einem späteren Zeitpunkt. 

Ich versuche mich nicht nur mit solchen Texten auszudrücken. Ich habe auch ein Buch mit dem Titel „Wenn der Jasmin auswandert“ geschrieben. 

Mir wird bei Lesungen oft dieselbe Frage gestellt: „Warum hast du ein Buch auf Deutsch geschrieben? “. Auf diese Frage habe ich mehrere Antworten, aber für mich ist mein Hauptmotiv klar: Ich wollte an dem Diskurs teilnehmen und den Unmengen an Klischees etwas entgegenbringen, dass der Flüchtling in den allermeisten Fällen ein Verbrecher, ein religiöser Fanatiker, potenzieller Terrorist oder integrationsunwilliger Lump ist, der es nur auf die Sozialleistungen abgesehen hat. Aber auch der Annahme, dass der Flüchtling immer der freundliche, bescheidene ist, der die Gesellschaft bereichert. 

Warum darf ein geflüchteter Mensch einfach nicht individuell sein? Sind alle Österreicher*innen gleich? Oder die bessere Frage ist: Sind alle Österreicher*innen gut integriert? 

Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir mehr Räume für Individualität in unserer Gesellschaft schaffen, wir vielen das Leid und Unglück ersparen und die schwierigen Fragen unserer Zeit konstruktiver behandeln können. 

 Ich bin wie ich bin und wie jeder andere. Ich bin ein Mensch und Menschen sind individuell und auch nicht perfekt. 

Jad, Flüchtling, Poetry, Slam

Jad fühlte sich sprachbehindert in Österreich. Also lernte er Deutsch und schrieb ein Buch. 

POETRY SLAM

„Herr Flüchtling, warum sind Sie da? Warum haben Sie für Ihr Land nicht gekämpft?“, fragt mich der Polizist am Bahnsteig neugierig. 

„Äääähhh...“, stottere ich. 

Ich denke an meine Mutter, sie meinte immer: „Ich mache mir keine Gedanken um dich, du hast für jede Frage eine Antwort parat.“ 

Es scheint aber so zu sein, dass ich auf diese Frage doch keine Antwort habe. Hat meine Mutter sich geirrt? 

Ich reiße mich zusammen: „Es tut mir leid“, sage ich. 

„Es tut mir leid, dass ich mit meinem Dastehen die Ästhetik des Bahnsteigs störe, Sie haben aber mein Bestreben falsch verstanden. Ich habe genug Vergangenheit, mir fehlt nur eine Zukunft...“ 

„Herr Flüchtling, das ist unser Land“, sagt der Politiker im Fernseher. 

Ich fühle Knoten im Bauch... Meine Gedanken geraten außer Kontrolle. Ich kann meinen Kopf nicht aufhalten, seine Aussage zu reflektieren. Und mittlerweile habe ich eine Schlussfolgerung daraus gezogen, die mir Angst macht...
Gilt die Luft in meinen Lungen als geklaut? 

Ich atme schnell aus.
„Herr Flüchtling hat die belästigt und den erstochen und das geklaut“, lese ich in der Zeitung. Aber warum hat der Täter da immer denselben Namen wie ich? Ich fühle mich verdächtig und laufe panisch zum Amt der Namen. 

Die Frau am Schalter fragt: „Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Flüchtling?“ 

Ich lasse meinen Kopf hängen, um den Augenkontakt zu vermeiden: „Ich will meinen Namen ändern, kann ich ab jetzt Mensch heißen? ...“ 

 

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