Ich will euch eure Jobs wegnehmen!

14. April 2023

Ein rassistisches Schulsystem und die damit einhergehenden Unsicherheiten hielten Özben beinahe davon ab, ihren eigenen Weg zu gehen. Die 25-jährige mit türkischen Wurzeln ließ sich jedoch nicht unterkriegen und verfolgt weiterhin ihren Traum Journalistin zu werden. Eins steht für sie fest: Sie will die Medienlandschaft revolutionieren und sich dafür nicht assimilieren müssen.  

 

Von Özben Önal, Fotos: Zoe Opratko

 

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© Zoe Opratko

Meine Klassenlehrerin sagte mir mit 12, es würde keinen Sinn machen für mich, aufs Gymnasium zu gehen. Meine Lese- und Schreibfähigkeiten wären noch immer nicht gut genug, während Leonie, meine Klassenkameradin, schlechtere Deutschnoten hatte als ich und ihre Empfehlung ohne Probleme bekam. Nach ihrer Unterrichtsstunde nahm sie mich zur Seite und erklärte mir, dass es womöglich daran lag, dass bei uns zu Hause vor allem Türkisch gesprochen werde und es in Deutschland ja nicht möglich sei, dass alle Abitur machen – ich jedenfalls sei dazu nicht bestimmt. Denn das Land bräuchte ebenso Menschen, die die "anderen Jobs" erledigen. Ihre Bemerkung, die auf verschiedensten Ebenen abfällig war, beruht auf dem kapitalistischen, klassistischem und ausbeuterischem Grundgedanken, nachdem diese Jobs, die für uns nun seit Jahrzehnten vorgesehen sind, in Berufsklassen eingeordnet werden, die weniger Ansehen und Geld verdient haben, trotzdem harte körperliche Leistung erwarten und kaum Aufstiegschancen übrig lassen. 

 

Durch eine filmreife Aneinanderreihung von Zufällen erhielt ich am Ende doch meine Empfehlung fürs Gymnasium, die damals noch verpflichtend war. Während meine Klassenlehrerin sich zu der Zeit bei einem Skiunfall das Bein brach und deshalb in der Schule fehlte und meine Direktorin, die ihre Meinung teilte, die Treppen hinunterfiel und nicht mehr arbeitsfähig war, war es meine Englischlehrerin, die zu meiner Mutter sagte: „Ich sehe keinen Grund, warum ihre Tochter nicht aufs Gymnasium gehen sollte, und mir meine Empfehlung ausstellte. Ich hatte es also irgendwie geschafft, durch ein rassistisches Bildungssystem durchzuschlittern und danach auch zu studieren. Und das ist ein enormes Privileg. Aber was passiert, wenn ich durch verschiedene Einflüsse der ständigen Angst ausgesetzt bin, niemals klug genug zu sein? Richtig. Ich glaube es irgendwann. 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Fehlendes Selbst­bewusstsein 

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor sieben Jahren am Küchentisch der Familie einer Freundin saß und hoffte, dass niemand mir eine Frage stellte. Es ging um die Politik Erdoğans in der Türkei. Zu der Zeit gab es in Deutschland kein anderes Thema, das so heiß diskutiert wurde. In eloquentem Deutsch wurde in diesem Akademiker_innenhaushalt debattiert darüber, wie die Türkei sich immer mehr zu einer Diktatur entwickelte und ich schämte mich dafür, dass ich einige verwendete Begriffe nicht kannte. Ich hatte eine solche Angst davor, für dumm gehalten zu werden, dass ich oft verstummte, obwohl ich eine Meinung hatte, den Aussagen am Tisch zustimmte und auch etwas hinzufügen hätte wollen. Aber ich hatte ständig das Gefühl, nicht intelligent genug zu sein, um etwas Relevantes beitragen zu können. Das lag daran, dass ich geprägt war durch die Erfahrungen meiner Eltern und Großeltern, aber auch durch meine eigenen. Wenn ich zum Beispiel gefragt wurde, was ich denn eigentlich von Erdoğan hielt, dann nicht, weil es um einen Diskurs auf Augenhöhe ging, sondern darum, dass ich in dem Moment als Türkin gegen meinen Willen einem stumpfen Integrationstest unterzogen wurde.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Die Unsicherheiten nehmen ab, aber verschwinden nie ganz 

Es gibt immer noch gewisse Kontexte, in denen ich besonders darauf achte, mich eloquent auszudrücken, in Situationen, in denen ich mich verunsichert fühle, in denen ich geringschätzige Blicke zugeworfen bekomme oder jemand herablassend mit mir spricht. Es gibt auch immer noch Momente, in denen mich meine Komplexe nicht besiegen können, in denen ich die dringende Notwendigkeit verspüre, zu zeigen: „Schaut her, ich bin klug!. Früher habe ich mir das selber nicht abgekauft, heute weiß ich: Ja, das bin ich. Und die innere Stimme, die mir sagt, ich sei es nicht und müsse mich noch immer vor den anderen beweisen, wird zwar immer leiser, aber sie ist noch da. Und die Realität ist, dass diese Unsicherheiten wahrscheinlich nie vollends verschwinden. Aber einen Teufel werde ich tun, mir nochmal einreden zu lassen, ich sei nicht fähig, etwas zu tun, das ich kann.

 

Keine passive Haltung mehr

Ich will den Deutschen ihre Arbeit wegnehmen, ich will nicht die Jobs, die für mich vorgesehen sind, sondern die, die sie für sich reservieren wollen, mit den gleichen Konditionen, dem gleichen Gehalt und den gleichen Aufstiegschancen, schreibt Fatma Aydemir in ihrem Essay „Arbeit, der in dem Band „Eure Heimat ist unser Albtraum“ erschienen ist. Dieser Satz hat sofort etwas mit mir gemacht.

Zum einen, weil ich mich mit Aydemirs Familiengeschichte identifizieren konnte: Mein Opa kam im Jahr 1964 das erste Mal als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen und Geld anzusparen um damit ein Haus in der Türkei bauen zu lassen. Weil er sich aber für seine Familie einen besseren Lebensstandard erhoffte, holte er diese einige Jahre später dazu, damit sie in Deutschland aufwachsen und zur Schule gehen. Er schuftete jahrelang in Fabriken und leidet heute an den bitteren Konsequenzen körperlicher Einschränkungen, die die harte Arbeit mit sich brachte. Ebenso wie meine Oma, die zu der Zeit in verschiedenen Häusern putze, um meinen Opa finanziell zu unterstützen. Die sprachliche Barriere, die blieb, weil neben der Arbeit die zeitlichen Ressourcen schlichtweg fehlten, um Deutsch zu lernen und auch das dauerhaft vermittelte Gefühl, nur zu Gast zu sein, führte bei ihnen zu einer passiven Haltung und Akzeptanz gegenüber Diskriminierung und Rassismus. Sie nahmen es hin, weil sie nie das Selbstbewusstsein oder den Mut hatten, sich zur Wehr zu setzen. Meinen Eltern, die mit jeweils 9 und 22 Jahren nach Deutschland gekommen waren, erging es lange Zeit ähnlich. Ihnen war außerdem nichts wichtiger als die gute Bildung ihrer Kinder und der gute Eindruck, den sie als assimilierte, Entschuldigung, ich meine integrierte, Vorzeigefamilie zu hinterlassen glaubten. Aber beide mussten lernen, mit der Zeit für sich einzustehen. 

Zum anderen aber auch, weil Aydemirs Satz eine Reflexion dessen ist, nicht länger aus einer internalisierten Angst und Zurückhaltung heraus mit gesenktem Kopf einer gesellschaftlichen Hierarchie unter rassistischen Strukturen beizuwohnen, sondern ihnen nun in der zweiten oder dritten Generation den Kampf anzusagen - und zwar laut.

 

Mit den letzten Jahren und der Biber-Akademie, die ich vor einigen Monaten absolvierte, erkannte ich, dass das Schreiben, das bis dato nur ein privates Hobby war, und mein Interesse an gesellschaftspolitischem Geschehen tatsächlich einen Beruf(ung)sweg als Journalistin ebnen können. Dass ich das Zeug dazu habe, Texte zu schreiben, mit denen Menschen sich identifizieren können. Eine relevante Meinung zu haben und diese zu Wort bringen zu können. Mit anderen zu diskutieren, mich auszutauschen, zu mir zu stehen und mich gleichzeitig umstimmen lassen zu können. Ich erkannte, dass ich eine Stimme habe, die es genauso verdient hat, gehört zu werden wie andere, eine, die gehört werden muss. Vielleicht sogar eine Stimme, die bereichernder ist als andere.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Diversität ist noch immer ein Mythos 

Noch immer ist der Anteil von Journalist_innen mit Migrationsgeschichte viel zu gering, als dass mit ihm die Gesellschaft Deutschlands oder auch Österreichs repräsentiert würde. Laut einer Studie von 2021 haben nur sechs Prozent der österreichischen Journalist_innen Migrationsgeschichte. Von den Chefredaktionsposten brauchen wir gar nicht erst zu sprechen. Die neuen deutschen Medienmacher_innen fanden 2020 heraus, dass in Deutschland nur etwa sechs Prozent der Chefredakteur_innen der reichweitenstärksten Medien Migrationsbiografien haben, davon die Hälfte aus Nachbarstaaten oder EU-Ländern. Das führt dazu, dass die Medien nicht mehr die gesamtgesellschaftliche Realität widerspiegeln und gefährliche Narrative von marginalisierten Gruppen entwickeln, die einen riesigen Einfluss auf das Meinungsbild der Gesamtgesellschaft haben. Das ist keine neue Information, seit Jahren wird immer wieder auf die fehlende Diversität in Medien aufmerksam gemacht und auf die Gefahren, die sie mit sich bringt, doch es verändert sich nur schleppend etwas. Daher ist es auch kein Zufall, dass wir die Schlagwörter Migration oder Islam noch immer fast ausschließlich in negativem Kontext hören.

Damit möchte ich keinesfalls sagen, dass die einzigen Themen, über die wir Expert_innenwissen mitbringen, Migration, Integration und Rassismus sind, ganz im Gegenteil. Es wäre ignorant anzunehmen, dass man als Expert_in für diese Themen gilt, nur weil man Eltern hat, die Migrationsgeschichte haben. Aber wir werden gebraucht, um auch unsere Realität abzubilden. Unsere Perspektiven, unsere Sicht der Dinge. So wie es meine Großeltern und Eltern nicht konnten, so wie ihre Realität nie abgebildet wurde. Und genau aus diesem Grund will ich die Jobs, die für uns lange Zeit nicht vorgesehen waren. Ich will laut werden können und ungemütlich, ich will Deutschland den Spiegel vorhalten, ohne Angst haben zu müssen, und ich will dazu beitragen, die Medienlandschaft endlich so zu revolutionieren, wie sie es seit Jahrzehnten nötig hat, ohne mich dabei vollends assimilieren zu müssen. Um es mit Fatma Aydemirs Worten abzuschließen: „Mein German Dream ist, dass wir uns endlich alle das nehmen können, was uns zusteht, und zwar ohne dass wir daran zugrunde gehen.“ ● 

Özben Önal ist 25 Jahre alt und hat türkische Wurzeln. Sie arbeitet als freie Journalistin und studiert Publizistik im Master. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit Themen wie Gesellschaftskritik, ­Antirassismus und Türkeipolitik.

 

 

 

 

 

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