Klimagerechtigkeit in Zeiten einer Pandemie

10. April 2020

Die Berliner Klimaaktivistin Imeh Ituen kritisiert die „Fridays For Future“-Bewegung, Klimawandelleugner Trump und Orban und Milliardenschwere Wirtschaftspakete, die die Industrie nach Corona stärken soll.

Von Elena Bavandpoori

Klimaaktivistin, Imeh Ituen
Foto: Privat

BIBER: Was macht BPoC Environmental and Climate Justice Collective Berlin?

IMEH ITUEN: Das Klimakollektiv wurde im Februar 2019 gegründet und organisiert verschiedene Vorträge, Workshops und Live Screenings. Wir veranstalten gemeinsame Events, um ein größeres Netzwerk für schwarze Menschen und People of Color im Klimaaktivismus aufzubauen. Zum Beispiel hatten wir eine Baumpflanzaktion in Brandenburg.

Wie können sich Klimainteressierte in Zeiten einer Pandemie organisieren?

In Wien findet Ende Mai die Online- Konferenz „Degrowth Vienna 2020“ statt. Unser Kollektiv macht jetzt auch viel online, in Webinaren und Proteste in Kleingruppen. Dabei muss Protest nicht mit Menschenmassen verbunden werden. Die Nachwehen von Corona bleiben noch lange und da lohnen sich neue Aktionsformen und Bündnisse, um Gerechtigkeit zu fordern. Ich denke da auch an Antrage für den Mietendeckel, Petitionen für die Evakuierung von Menschen in Geflüchtetenlagern oder die Debatte um das Grundeinkommen.

Glaubst du, dass durch Corona mehr globaler Zusammenhalt entsteht?

Die Coronakrise kann eine Chance sein, um einen Sprung in Richtung globale Klimagerechtigkeit und Solidarität zu machen, wie wir es noch Anfang 2020 nicht erwartet hätten. Aber es kann in mehrere Richtungen gehen. Ungarn hat die demokratische Gewaltenteilung unter dem Deckmantel der Coronakrise ausgesetzt. Trump gewinnt an Wahlstimmen. Rechte Kräfte werden in Krisenzeiten mächtiger. Das ist bedenklich.

Können wir eine Lektion aus der Corona-Pandemie lernen?

Schätzungen zufolge sind die CO2-Emissionen in China um 25% niedriger als im Vorjahr. Aber es steht nicht auf dem Plan, sich weltweit von fossilen Brennstoffen zu entfernen. Im Gegenteil: Wirtschaftspakete in Millionenhohe werden Industrien zur Verfügung gestellt. Die Politik unterstützt Verbraucher*innen nicht, sondern steht auf der Seite der großen Produktionen. Öl und Flugverkehr werden subventioniert, der Green New Deal in den USA ist gekippt. Ich hoffe, wir besinnen uns darauf, Fördergelder in klimafreundliche Maßnahmen fließen zu lassen.

Was würde auf dem afrikanischen Kontinent bei einem exponentiellen Ausbruch von Corona passieren?

Es wäre verheerend. Ich verfolge die Situation in Nigeria, wo ich Familie habe. Es zeigt den Mangel an Wertschätzung für den afrikanischen Kontinent und seine Menschen, wenn wir glauben, es wurde uns in Europa nicht betreffen. Da sind die Folgen von Umweltrassismus. Spätestens dann würde sich zeigen, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Der afrikanische Kontinent ist Teil des Weltmarkts. Es wird den Rest der Welt betreffen.

Inwiefern zeigt die Coronakrise soziale und klimatische Ungerechtigkeit auf?

Die Krise zeigt die ganzen Bruchstellen in der Gesellschaft. Wer kann es sich leisten zuhause zu sein? Für Menschen an der Kasse, auf dem Bau und in der Pflege geht es draußen weiter. Das ist auch global sichtbar: In den USA haben schwarze Menschen, Indigene und People of Color schlechtere Zugänge zum Gesundheitssystem und sind viel benachteiligter. Die deutliche Mehrheit aller Todesfalle durch Luftverschmutzung sind in Ländern auf dem asiatischen und afrikanischen Kontinent zu verzeichnen. In Deutschland sind migrantische Viertel wie Berlin-Neukölln betroffen. Corona ist ein Virus, das die Lunge angreift. Da ist saubere Luft ein großer Faktor für Gesundheit.

Ist Corona ein wichtiges Thema für Klimagruppen?

Absolut. Die Pandemie findet ihre Ursachen in der Vernichtung von Biodiversität, in Fleischkonsum und in schrumpfenden Lebensraumen. Wir machen darauf aufmerksam, dass Menschen des Globalen Südens besonders betroffen sind. Menschen, die vor Klimawandelfolgen geflohen sind, hängen nun an den Grenzen fest und sind in Lagern gefangen, die Ballungspunkte für Krankheitsausbruche sind. Da können wir dann auch nicht erfreut hervorheben, dass CO2-Emissionen in China sinken.

Du bist Teil von BPoC Environmental and Climate Justice Collective Berlin, weil du dich in anderen Klimagruppen einsam gefühlt hast. Warum?

Rassismus und eine eurozentrische Perspektive. Ich bin durch mein Studium „Integriertes Naturressourcenmanagement“ zum Klimaaktivismus gekommen. Schon lange vor der Fridays for Future-Bewegung war ich auf meinem ersten Klimacamp. Aber da waren kaum schwarze Menschen und PoCs. Ein „Ende Gelände“-Camp wurde mal von Nazis angegriffen und es wurden keine Schutzmaßnahmen getroffen. Außerdem gibt es Bedrohungen aus den Gruppen selbst. Migrantische Mitglieder von Fridays for Future haben in einem offenen Beschwerdebrief rassistische Kommentare nach dem Terroranschlag in Hanau veröffentlicht, die sie zu hören bekamen. Sie wollten ein Statement zu Hanau geben und haben Antworten bekommen wie „Kriege ich dann auch noch ein Statement dazu, dass ein Junge gestern ein Legoteilchen verschluckt hat?“ Da wird also ein Terroranschlag auf marginalisierte Menschen damit verglichen, dass ein Kind Bauklotze verschluckt. Genügend schwarze Personen und PoCs haben Klimathemen studiert und kennen sich aus. Dann wird ihnen aber durch Rassismus die Sicherheit genommen. Kein Wunder, wenn die Leute keine Energie mehr da reinstecken wollen. Communities haben ein Gedächtnis.

Fridays for Future sieht sich selbst als eine Klimagerechtigkeitsbewegung? Werden sie deiner Meinung nach diesem Namen gerecht?

Nein. Nicht als globale Klimagerechtigkeitsbewegung. Schon im Namen Fridays for Future steckt Eurozentrismus. „Wir sind hier, wir sind laut, wenn man uns die Zukunft klaut!“ ist der Leitspruch. Wenn von Zukunft gesprochen wird, verkennt das die Erfahrung von Millionen von Menschen im Globalen Suden, die seit Jahrzehnten von Klimawandelfolgen bedroht sind und fliehen müssen. Nirgendwo sind Menschen von Klimawandelfolgen so betroffen wie auf dem afrikanischen Kontinent. Das BPoc Environmental and Climate Justice Collective spricht von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Interessieren sich weiße Menschen für euer Kollektiv?

Wir haben vergangenes Jahr schon mehr Anfragen bekommen, als wir annehmen konnten. Aber wir hatten auch öfter das Gefühl aus kosmetischen Gründen eingeladen zu werden und das müssen wir hinterfragen. Wir wollen nicht die Fehler der Klimagruppen richten, die müssen sich schon selbst mit dem Thema auseinandersetzen.

Was wünschst du dir von den großen, mehrheitlich weißen Klimagruppen?

Ich war schon sehr getroffen vom offenen Brief zu Hanau. Da habe ich große Enttäuschung gespurt. Klimawandel lasst sich nicht von Kolonialismus und Kapitalismus trennen. Ich wünsche mir eine Auseinandersetzung der Klimagruppen mit Rassismus in ihren eigenen Strukturen. Wenn das nicht passiert, führt das zum gewaltvollen Ausschluss von marginalisierten Menschen. Auch als schwarze Personen, die in Europa leben, reflektieren wir unsere eigene Verwicklung und Schuldfrage bei den Klimawandelfolgen. Unser bequemes Leben wird auf dem Rücken unserer Geschwister im Globalen Suden ausgetragen. Die Menschen müssen sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst werden. Ihr aktuelles Leben beruht auf der Ausbeutung von Ökosystemen, Tieren und Menschen. 

 

Das ist die korrigierte Version des Interviews. In der ersten Version waren Begrifflichkeiten, die Imeh Ituen nicht verwendet. Begriffe wie "Flüchtlingslager" und "Entwicklungsländer" enthalten rassistische Zuschreibungen, weshalb die richtige Formulierung "Geflüchtetenlager" und "Länder des Globalen Südens" ist.

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