Lasst uns über das Wetter reden.

18. März 2020

von Hamed Abboud, Lektorat:Mirjam Steinbock

Wenn ich also in diesen Zeiten des Coronavirus ohne Toilettenpapier zuhause bleiben soll, oder sogar wegen der Krankheit an sich im Bett liegen müsste und dann wegen einer möglichen Schwäche meines Immunsystems sterben sollte, würde ich noch vor meinem Tod sagen, dass es mein Schicksal wäre und dass ich es vielleicht wegen irgendeines übersehenen Karmas verdient hätte. Aber bevor ich wegen des Coronavirus eine meiner Freundschaften oder meine ruhige und glanzvolle Beziehung verlöre, würde ich sofort sagen: „Stopp, das werde ich nicht so gehen lassen!“ Wir leben in einer so entwickelten und fortgeschrittenen Welt, dass sich einerseits eine solche Epidemie nicht verbreiten darf und andererseits wir selber nicht eine Rolle dabei spielen sollten indem wir in dieser Krise ein gestresstes und panisches Verhältnis miteinander üben und darstellen.

Bis die Wolke der Angst weggeht

Mein Freund, der mich in unserer Unterhaltung so angestrengt und ängstlich davon zu überzeugen versuchte, dass all diese Panik rechtgefertigt sei, war peinlich berührt, als der Experte im Radio seiner These widersprach, indem er betonte, dass man in diesem Moment nicht paranoid sein sollte und dass die Lage aktuell in Ordnung und unter Kontrolle sei. Meine Freundin, die in ihrem Verantwortungsgefühl zu ertrinken droht und sich keine einzige Minute für sich nimmt, um sich zu erholen und um sich selbst und um mich zu kümmern, war erstaunt, als ich ihr vorschlug, statt über Verantwortung und Arbeit über das Wetter zu reden - dieses Thema, das wir so hassen, aber jetzt gerade brauchen. 

Wir Menschen gehen davon aus, dass wir alles wissen und dass wir etwas machen sollen. Sogar in diesen Fällen, die wir nicht beherrschen können. Wir sollten uns auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlassen und nicht auf jedes noch so ungebildete Online-Wesen, das uns auf etwas hinweist, als könnte es alles wissen und kennen.   Lass uns in der Zeit von Coronavirus zuhause bleiben, unsere Aufgaben vorsichtig und vernünftig erledigen, ohne unser Leben und unsere Beziehungen zu zerstören. Lassen wir uns mit Abstand zu den Menschen und ihrer Angst und Belastung über das Wetter reden. Mit geschlossenen Augen angesichts der Panik und mit offenen Ohren an die Vernunft, bis die Wolke der Angst weggeht.

 

Über den Autor: Hamed Abboud studierte in Aleppo Telekommunikationstechnologie. Als in seiner Heimat der zunächst friedliche Aufstand gegen das Regime mit militärischer Gewalt unterdrückt wurde, floh er Ende 2012 nach Ägypten. Über Dubai und die Türkei kam er 2014 nach Öster­reich, wo er zuerst zwei Jahre im Burgenland lebte - nun wohnt er in Wien.  Auf Deutsch erschienen bisher zwei seiner Werke : 2017 "Der Tod backt einen Geburtstagskuchen” und 2020 "In meinem Bart versteckte Geschichten”.

 

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