Mein Opa, der Pionier.

23. Februar 2023

Was gibt’s Neues am Balkan?

Von Dennis Miskić

 

 

„Dein Dedo war der erste Gastarbeiter in Österreich!“, hat meine Oma immer mit funkelnden Augen erzählt. Mein Großvater war natürlich nicht der erste Gastarbeiter in Österreich, aber einer der ersten aus unserer Heimatstadt. Er hat sich dazu entschieden, sein Zuhause, seine Familie und all das, was er sich über die Jahrzehnte aufgebaut hatte, zurückzulassen und in ein fremdes Land zu gehen. Diese Reise ins Fremde war nicht nur mutig und riskant, sondern hat auch das Fundament für die nächsten Generationen unserer Familie gelegt.

Genau deshalb war er immer viel mehr als nur ein „Gastarbeiter“. Er war ein Pionier. Ein Vorreiter. Jemand, der seine Heimat verlässt und sich auf die Reise ins Unbekannte begibt, um ein neues Leben, eine neue Heimat aufzubauen. Nicht wissend, wie ihn das Unbekannte, das Fremde, aufnehmen wird.

 

Ihr habt uns gerufen, wir sind geblieben

Wie kann ich ihn in Anbetracht all dessen als Gastarbeiter bezeichnen? Ein Wort, das in seinem Wesen negativ konnotiert ist. Ein Wort, das suggeriert, dass mein Opa nur ein „Gast“ war. Ein Gast, der sich bitte so schnell wie möglich wieder dorthin schleicht, „von wo er hergekommen ist“. Ein Arbeiter, der sich die Hände schmutzig macht und anpackt, Wien wieder mit aufzubauen. Österreich wollte Arbeitskraft. Haben sie sich Menschen erwartet? Österreichische Politiker sprechen heute davon, dass ohne den Migranten Wien noch Wien geblieben wäre. Ernsthaft? Wer hätte euch unter solchen Lebensumständen die Büros und Straßen gebaut? Ihr habt uns gerufen. Wir sind geblieben.

In Österreich ist mein Opa nicht geblieben. Nach einer Verletzung auf der Baustelle ist er in seine Heimat, in das Bekannte, zurückgegangen und auch dort an den Folgen dieser Verletzung gestorben. Erinnerungen an ihn habe ich nicht. Ich sehe lediglich die alten Bilder, in denen er mich in seinen Armen hält.

Dafür lausche ich umso aufmerksamer, wenn bei unseren Familienfesten Erzählungen über meinen Opa durch die Runde gehen und entdecke stückweise meine eigene Identität in den Geschichten über ihn. Über meinen Opa, den Pionier.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, das Grab meiner Großeltern in Bosnien zu besuchen. Jedes Mal, wenn ich vor ihrem Doppelgrab stehe, erinnere ich mich an den Stolz meiner Großmutter und den Mut meines Großvaters. Und ich kann nicht anders als zusammenzubrechen und zu weinen. Tränen, weil ich es bedauere, ihn nicht gekannt zu haben. Nie die Möglichkeit hatte, mich mit ihm über das Leben auszutauschen. Aber eines habe ich mir und ihnen versprochen: Seinen Mut, seine Opferbereitschaft und sein Durchhaltevermögen immer in mir und weiter zu tragen. Das Versprechen, meine Oma mit dem gleichen Stolz zu erfüllen, wie sie der Stolz über meinen Opa erfüllt hat. ●

 

 

Kolumnist Dennis Miskić hat seinen Auslandsdienst in ­Srebrenica geleistet und engagiert sich in verschiedenen NGOs zum Thema Westbalkan und Migrationspolitik. In seiner Kolumne hält er euch über Politisches & Kulturelles vom Balkan am Laufenden.

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