Mustafa-Abdul statt Heinz-Christian

02. März 2014

Während ich die Texte unserer 16-jährigen Schülerredakteure lese, kommt mir die Idee, nachzusehen, wie ich denn so mit 16 geschrieben habe. In meinen Unterlagen finde ich diese Hausaufgabe. Ein Essay über mein Leben als "Tschusch in Österreich", den ich mit 16 verfasst habe. Das Traurige, er könnte genauso gut heute von unseren Schüerredakteuren geschrieben worden sein.

 

„Wien darf nicht Istanbul werden“, „Daham statt Islam“, „Pummerin statt Muezzin“,…

Na, kommen Ihnen diese Wortmeldungen vielleicht bekannt vor? Sie erinnern sich, sie an jeder Straßenecke gelesen zu haben, mit ihnen an jeder Bushaltestelle konfrontiert worden zu sein? Selbstverständlich wissen Sie auch von wem diese Aussagen stammen: von Herrn Heinz-Christian Strache natürlich. Seines Zeichens Zahntechniker, Gesellschafter einer Werbeagentur – da hat er wohl auch die Inspiration zu seinen intellektuell wahnsinnig hochwertigen und überaus originellen Sprüchen her - , Rapper, Autor, -die Zusammenfassung von Jüngers „Der Waldgang“ gleicht fast schon der eines professionellen Journalisten; Fotomodel, - wenn auch etwas unfreiwillig - und natürlich: Politiker. Um genau zu sein, Bundesparteihauptmann der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs. Nun, Sie haben diese Sprüche vielleicht nur auf Werbeplakaten gelesen oder sogar persönlich aus Straches Mund gehört, ich jedoch bekomme diese rassistischen, primitiven und noch dazu schlecht gereimten Sätze von Jugendlichen meines Alters persönlich zu hören. Von pubertären 16-Jährigen, deren Hauptproblem bis vor Kurzem noch der fette Pickel an ihrer Stirn war, bin es nun ich. Trotz der mir erwiesenen Ehre gegen eine Hautunreinheit ausgetauscht worden zu sein, verwirrt mich ihre neue Einstellung doch sehr. Früher hat man zwischen Punks, Tussen und Hip-Hopern unterschieden, jetzt teilt man die selbsternannten Patrioten von den so genannten „Tschuschen“. Lange überlegte ich, wieso diese Rollenverteilung auf einmal so an Bedeutung gewonnen hatte?

Die Antwort kam durch das laute Dröhnen aus dem Mp3-Player eines Klassenkammeraden: „Österreich zuerst“. H.C.s‘ Rap-Song zu besitzen war ab jetzt Pflicht, den Text nachzuahmen ein Muss, ihn im Alltag anzuwenden, leider Realität. Dadurch erlangte nicht nur Strache Ruhm, sondern auch ich wurde als „Die Ausländerin“ bekannt. Dieses Schicksal teile ich mit Hunderttausenden anderer Menschen, die einst nach Österreich kamen und heute dafür "bestraft" werden. Ich übertreibe, denken Sie? Wir Ausländer stellen uns zwar gerne als Opfer dar, doch würde sich ein „Einheimischer“ in den 16. Wiener Bezirk verirren, wäre sofort klar, wer hier das wahre Opfer ist. Denn mittlerweile werden viele Teile Wiens von Immigranten beherrscht. Man fühlt sich als wäre man nicht in Österreich, sondern auf einem Istanbuler Bazar oder in einem bosnischen Fußballstadium – mit dem könnte man zumindest das laute Gegröle vergleichen, das vorherrscht. Bald sind wir soweit, dass wir eine eigene Partei gründen, die Idee für unseren ersten Werbeslogan: Mustafa-Abdul statt Heinz-Christian. Ich frage mich nur, wer würde für diese Partei stimmen, die meisten Ausländer sind ja illegal hier oder besitzen keine Staatsbürgerschaft, dürfen dementsprechend nicht wählen. Schade, wäre doch schön gewesen eine multi-kulturelle Regierung zu haben. Dann wäre für Gleichberechtigung gesorgt, von der doch immer die Rede ist. Naja, wir werden uns schon zu helfen wissen. Immerhin haben wir die ganzen österreichischen Stehbeisl schon durch Kebab Stände ersetzt, da kann es doch nicht so schwer sein, der FPÖ mit einer Ausländerpartei Konkurrenz zu machen. Schließlich ergab eine Studie, dass sich mehr Österreicher für Essen als für Politik interessieren, deren Stimmen haben wir auf jeden Fall einmal sicher – oder könnten Sie auf den Kebab Stand um die Ecke verzichten?

Ich nicht! Deshalb forderte ich mehr Verständnis für die ausländischen Einwohner dieses Landes. Die meisten von ihnen mussten aus ihrem Heimatland notgedrungen fliehen, ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Sie verloren ihre Lieben und haben es trotz all dieser Schicksalsschläge geschafft sich eine neue Existenz aufzubauen. Hier, wo sie anfangs fremd waren, niemanden kannten, die Sprache nicht beherrschten und keine Zukunftsperspektive hatten. Hier haben sie sich mit Mühe und Not das erkämpft, was sie heute besitzen. Doch all jenes wird nebensächlich, wenn man das nicht hat, wonach man sich am meisten sehnt – den Respekt der anderen. Es mag sich alles etwas theatralisch anhören, doch leider ist es die Realität in der wir leben. Als Ausländer hat man es hier schwer. Es mag sein, dass viele von den vermeintlichen „Tschuschen“ die deutsche Sprache besser beherrschen als manch „waschechter“ Österreicher, wahrscheinlich sind ein paar von ihnen auch besser in der Schule als der Durchschnitt, obwohl sie meist keine Eltern haben, die ihnen beim Lernen helfen können. Ziemlich sicher, sind viele auch ehrgeiziger als ihre Altersgenossen, denn seit sie sich erinnern können, waren sie stets bestrebt das Image des typischen Migranten zu brechen und allen anderen zu zeigen, dass nicht jeder Ausländer jede Aussage mit „Eh, Alter!“ beginnt und keine Artikel bei seinen Satzkonstruktionen verwendet. Trotzdem sind sie in den Augen vieler, zuerst Ausländer und dann Mensch. Das stimmt einen nachdenklich - nicht?

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