Polizei Berlin: "Beurteilen Bewerber nicht danach, wo sie herkommen."

12. Mai 2022

Die Berliner Polizei schafft Vielfalt. Seit geraumer Zeit zählt sie den höchsten Anteil an Anwärter:innen mit Einwanderungsgeschichte. Im Jahrgang 2021/22 haben 35 Prozent der Polizeischüler:innen Migrationshintergrund. Andere Institutionen sind von dieser Vielfalt heute noch weit entfernt. Warum es bei der Polizei Berlin funktioniert, erzählt Polizeioberkommissar und Sprecher Martin Halweg.


von Maida Dedagić für www.diversoderwas.de*

Herr Halweg, wie schaut denn der aktuelle Jahrgang in der Polizeiakademie aus?
Während des Bewerbungsverfahrens erfassen wir den Migrationshintergrund. Auf Grundlage dieser freiwilligen Angabe haben wir für den Frühjahrsjahrgang 2021 rund 28 Prozent und für den Herbstjahrgang 2021/2022 rund 35 Prozent Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus erheben wir nichts weiter. 

„1992 gab es einen Kollegen mit polnischen Wurzeln“

Sie selbst sind seit 30 Jahren bei der Polizei Berlin. Auch wenn Sie keine anderen Daten erheben, wie hat sich die Polizei ihrer Wahrnehmung nach insgesamt gewandelt?
Ich bin im September 1992 eingestellt worden. Zu meiner Ausbildungszeit gab es einen Kollegen, der polnische Wurzeln hatte. Er war eine absolute Ausnahme. Später kamen die ersten türkischstämmigen Kollegen dazu und auch sie waren auf den Dienststellen noch Exoten. Das hat sich deutlich gewandelt. Kollegen, die aus der Türkei oder aus Polen stammen, sind heute absolut vertraut. Wir haben Menschen aus über 90 Nationen bei uns und wir profitieren enorm davon. Früher waren wir bei Vernehmungen und Befragungen auf Dolmetscher angewiesen. Heute haben wir so viel Sprachkompetenz dazugewonnen, dass wir oft keine Dolmetscher mehr brauchen. Wir können auf unsere eigenen Kolleginnen und Kollegen aus Russland, aus der Türkei, aus Frankreich, aus dem Libanon, aus Ägypten oder Spanien zurückgreifen. 

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Solche Veränderungen kommen nicht von alleine. Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt?
Wir beurteilen Jugendliche nicht danach, wo sie herkommen, wie sie aussehen, sondern nur danach, was sie können. Unser Fokus beim Einstellungsverfahren liegt auf Eignung, Leistung und Befähigung. Das schaffen wir auch durch eine permanente Schulung und Qualifizierung der Bewertenden. Zudem beteiligen wir uns an Qualifizierungsnetzwerken für Jugendliche mit Migrationshintergrund und kooperieren mit freien Trägern der Berufsorientierung und mit Migrantenverbänden. Durch sie bringen wir unser Berufsbild in die Gruppe hinein und sagen: Kommt her, arbeitet bei uns, das ist ein Dienst für Eure Stadt, für Eure Mitmenschen!  

„Natürlich nehmen wir Rücksicht auf Religionen“

Die Polizei hat seit einigen Jahren auch ein Diversity Büro. 
Die Kolleginnen und Kollegen dort sind Ansprechpartner für die freien Träger und die Migrantenverbände. Andererseits müssen auch wir uns wandeln und uns anpassen, an jene die neu zu uns kommen. Wir müssen Rücksicht auf Religionen nehmen, zum Beispiel auf den Islam. Sie haben andere Feiertage. Sie haben einen anderen Jahresrhythmus. Und den müssen wir in unseren Alltag integrieren, das machen wir auch in den Diversity Büros. 

Aufeinander Rücksicht zu nehmen sollte selbstverständlich sein, trotzdem empört sich verlässlich jemand, wenn er von Rücksichtnahme auf den Islam liest.
Natürlich nehmen wir Rücksicht auf Besonderheiten der verschiedenen Religionen, auch gerade bei Muslimen und Musliminnen. In Berlin lebt ein sehr großer Anteil an Muslimen. So wie das Christentum, prägt auch der Islam ein bestimmtes Sozialverhalten, ein bestimmtes Familienverhalten. Und diesem wollen wir gerecht werden und werden es mittlerweile auch. Es ist wichtig zu wissen, wie das beispielsweise zu Ramadan ist, warum sich jemand so verhält, wie er es tut. Möglicherweise liegt die Ursache darin, dass er nichts gegessen hat.

Ein anderer Aspekt von Diversity: die Berliner Polizei hatte auch als erste eine Stelle für Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) eingerichtet.
Die Ansprechpersonen für LSBTI sind sowohl nach innen tätig, weil wir Kolleginnen und Kollegen haben, die homosexuell sind, als auch nach außen. Es gibt leider immer noch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und viele Opfer scheuen sich davor, diese zur Anzeige zu bringen. Teilweise aus Scham, teilweise aus den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte, als es noch verboten war, homosexuell zu sein. Viele Straftaten werden nicht angezeigt. Mit dem Präventionsbereich des Landeskriminalamts haben wir einen Fachbereich LSBTI, mit dem wir Vertrauen aufbauen wollen. Wir wollen, dass Opfer sich an uns wenden, uns sagen, was ihnen geschehen ist und damit dazu beitragen, die Täter dingfest zu machen.

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Polizeioberkommissar Martin Halweg

Gibt es Diversity-Maßnahmen, die sich als Reinfall herausgestellt haben?
Aus unserer Sicht, tatsächlich nicht. Was aber besonders gut funktioniert, sind Rollenvorbilder, sowohl durch die Kolleginnen und Kollegen auf der Straße als auch durch Werbung. Wenn Sie auf unseren Gängen die Werbeplakate betrachten, sehen Sie die Polizei genauso, wie sie heute ist. Damit zeigen wir jungen Leuten, egal, wo sie herkommen, sie finden hier schon andere, die den Schritt bereits gegangen sind. Diese Rollenvorbilder haben sich als starker Motivator, bei uns anzufangen, bestätigt.

Vielfalt wird nicht jeden Polizisten begeistern. Wie schaffen Sie intern ein gutes Klima?
Durch Normalität. Es ist für uns ganz normal geworden, dass wir homosexuelle Kolleginnen und Kollegen haben. Es ist ganz normal, dass wir Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei, aus den ehemaligen Ländern der Sowjetunion oder aus Großbritannien haben.

„Die Schulbildung lässt nach“

Von diesem Normalzustand sind andere Institutionen weit entfernt. In Wien etwa beteuert die Polizei, dass sie eh will, aber die Bewerber:innen halt am Deutschtest scheitern. Wieso geht es in Berlin?
Auch bei uns fallen viele beim Diktat durch.

Das Diktat ist nicht abgeschafft worden?
Wir hatten es abgeschafft und durch einen Lückentext ersetzt, aber wir haben festgestellt, dass das nicht zielführend war und das Diktat wieder eingeführt. Nach den Erhebungen der Polizeiakademie fallen viele Bewerber bei uns durch den Deutschtest, allerdings liegen die Gründe dafür nicht im Migrationshintergrund, sondern ausschließlich in der mangelnden Schulbildung. Die Schulbildung lässt nach. Das zeigen die Pisa-Studien, das erleben wir jedes Jahr. 

Haben Sie niedrigere Einstiegshürden als früher?
Wir haben und wir mussten auf die sinkende Schulbildung und die fehlenden Deutschkenntnisse natürlich reagieren und das ganz unabhängig davon, wer vor uns sitzt. Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, zu hohe Einstellungsvoraussetzungen zu haben und nur noch jene zu bekommen, die perfekt im Deutschdiktat abschneiden. Wir haben einen Personalbedarf, der gedeckt werden muss. Diesen beiden Aspekten muss Rechnung getragen werden. Wir haben nicht mehr die ganz hohen Anforderungen. Es ist aber auch nicht so, dass wir sagen: „Hauptsache, er kann seinen Namen schreiben.“ Es müssen wesentliche Grundkenntnisse mitgebracht werden, die sich im Zuge der Ausbildung auf das Niveau erweitern, das wir benötigen. Dafür bieten wir zum Beispiel zusätzliche Kurse in der deutschen Sprache an. Die Durchfallquote im Auswahlverfahren liegt bei unter einem Prozent.

„Kämpfen um jede und jeden Einzelnen“

Das klingt nach einem fairen Angebot. Evaluieren Sie dann die Deutschkenntnisse im Laufe der Ausbildung? 
Die Auszubildenden müssen am Ende des jeweiligen Lehrjahres eine Prüfung ablegen. Wenn daraus sichtbar wird, dass eine Person es auch trotz zusätzlicher Hilfsangebote von unserer Seite nicht schafft, sich zu verbessern, legen wir ihr die Kündigung nahe. Wir sind der zweitgrößte Arbeitgeber in Berlin und wir brauchen qualifiziertes Personal, wir kämpfen da wirklich um jede und jeden Einzelnen und geben entsprechend auch von unserer Seite die notwendigen Hilfestellungen. 

Wann kommt die Vielfalt in der Führungsebene der Polizei an?
Diese Kolleginnen und Kollegen rücken nach und bilden einen großen Teil der Berliner Polizei ab. In der mittleren Führungsebene haben wir viele Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund: Dienststellenbereichsleiter, Dienstgruppenleiter, Leiter von Fahndungs- und Observationseinheiten, Zugführer auf den geschlossenen Einheiten. Sie sind zum Teil schon im höheren Dienst angekommen und werden ihn künftig noch weiter verstärken.

 

*Das Interview wurde von Maida Dedagić für ihr Projekt www.diversoderwas.de geführt. Es entsteht im Rahmen der Europäischen Journalisten-Fellowships an der Freien Universität Berlin. Die Journalistin aus Wien ist dort 2021/22 Stipendiatin. Weil Medien die Sache mit der Diversität seit Jahren nicht gelingt, recherchiert sie zur Frage, wo sie denn gut funktioniert und warum. 

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