Polnisch-Ukrainische Grenze: Zwischen Willkommenskultur und Rassismus

16. März 2022

Sie alle fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Aber ob du ins Land kommst, entscheiden Staatsangehörigkeit und Hautfarbe: Autor Boban Ristic war an der polnisch-ukrainischen Grenze, an der gerade unzählige Flüchtende gestrandet sind - wie Jules aus Kamerun oder Sara aus dem Jemen. Sie berichten von Rassismus und Gewalt an der Grenze. Ein Lokalaugenschein: 

Von Boban Ristić, Fotos: Daniel Schaler

 

Neun Stunden Fahrzeit von Wien. Der Kaffee an den Raststätten wird immer billiger und die Ortsnamen auf den Tafeln immer komplizierter für mich zu entziffern. Wir kommen nachts in der polnischen Kleinstadt Przemyśl an, die ukrainische Grenze ist von hier zu Fuß erreichbar. Wir sind eigentlich gekommen, um mit Menschen aus der Ukraine zu sprechen, die jetzt vor der russischen Invasion in die EU fliehen. Stattdessen laufen wir erstmal einem Haufen betrunkener polnischer Hooligans in die Arme. Sie leuchten uns mit Taschenlampen in die Augen, spielen Polizei. Als wir sagen, dass wir Journalisten sind, lachen sie. „Hoffentlich seid ihr auf der richtigen Seite“, bekommen wir von ihnen zu hören.

Autor Boban Ristić (l.) und Jules (r.) Foto: Daniel Schaler
Autor Boban Ristić (l.) und Jules (r.) Foto: Daniel Schaler

 

Ja, sind wir, sage ich. Er kann ja nicht wissen, dass für mich die richtige Seite bei Menschen ist, die auf der falschen Seite der Grenze stehen, beziehungsweise die falschen Papiere und Hautfarbe für diese Grenze haben.  Menschen wie Jules, 26. Er lebt seit drei Jahren in Kiew und kommt ursprünglich Kamerun. Wir treffen ihn am Hauptbahnhof in Przemyśl, umringt von polnischer Polizei, freiwilligen Helfern in gelben Westen und dutzenden anderen Flüchtenden, die in Schlafsäcken auf dem kalten Boden liegen oder erschöpft auf ihren Koffern sitzen. Jules hat eine Lehre zum Elektrotechniker in Kiew gemacht, bevor der Krieg ausbrach. Er ist Vater von zwei Töchtern, die er in seinem Heimatland zurückgelassen hat, um von Osteuropa aus seine Familie zu ernähren. Ihm bleibt wie den anderen nicht-weißen Menschen aus der Ukraine nur der Bahnhof. Denn in den polnischen Notunterkünften haben Menschen ohne ukrainische Staatsbürgerschaft keinen Zutritt, wie uns ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes vor Ort bestätigt. 

Der überfüllte Bahnhof in Przemyśl, Polen
Der überfüllte Bahnhof in Przemyśl, Polen

„Hier ist es nicht sicher“

Auch Sara, 22, aus dem Jemen schläft heute Nacht hier. Sie hat in Kiew Medizin studiert, hatte immer sehr gute Noten. Von einem Tag auf den anderen ist das alles Geschichte und Sara steht zitternd, mit einem Schlafsack um die Schultern am Bahnhof einer Stadt, von der sie davor noch nie gehört hat. Draußen sei es nicht sicher, sie erzählt uns: „Als wir kurz den Bahnhof verlassen haben, ist eine Gruppe polnischer Männer auf uns zugekommen. Sie stellten sich dicht vor uns, verstellten uns den Weg und schrien wir sollen das Land verlassen. Sie haben erst von uns abgelassen, nachdem die Polizei eingeschritten ist.“ Ich denke an die Hooligans von vorhin und Sara erzählt weiter: „In Kiew ließen uns schon die Soldaten nicht in die Züge einsteigen. Wir mussten  am Bahnhof zurückbleiben.“  Sara musste auf einen Schlepper zurückgreifen, damit sie von Kiew aus an die Grenze kommt. „Der Deal mit dem Schmuggler war, dass er uns 15 km vor der Grenze absetzt. Wir wurden verarscht und liefen am Ende 60 km zu Fuß. Und das war erst der Anfang. Die ukrainischen Grenzbeamten befahlen uns, vor der Grenze bei Regen und Schnee zwei Tage zu warten. Als wir versucht haben, mit ihnen zu diskutieren, wurden wir verprügelt und angeschrien. Wir durften irgendwann rüber, frag mich nicht wieso, aber unsere Freunde sitzen immer noch an der Grenze fest. Wir warten schon seit zwei Tagen hier am Bahnhof auf sie.“ 

Jules aus Kamerun beim Grenzübergang bei Medyka, Polen
Jules aus Kamerun beim Grenzübergang bei Medyka, PolenFoto: Daniel Schaler

Zwischen Solidarität und Rassismus

Nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine ging eine Welle von Solidarität um, in Europa, wie es sie seit dem sogenannten Sommer der Migration 2015 im Kontext des syrischen Bürgerkriegs nicht gab. Sogar in Österreich, wo Ressentiments gegen Geflüchtete seit Ende der 1980er zur politischen Tagesordnung genauso gehören wie regelmäßige Korruptionsskandale, sprachen sich große Teile der ÖVP angeführt von Bundeskanzler Karl Nehammer für eine einjährige Aufenthaltsmöglichkeit für Ukrainer in der EU aus. Es handle sich nicht um „klassische Flüchtlinge“, sondern um Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz benötigten, wie Nehammer auf einer Regierungssitzung bekanntgab.

Wer als nicht-klassischer Flüchtling und somit schützenswert gilt, bleibt dabei unbestimmt und damit der Willkür von Grenz- und Polizeibeamten überlassen. Die 16.000 Studierenden aus Afrika (nach Angaben der südafrikanischen Botschaft), sowie die Schätzungen zufolge 400.000 Roma aus der Ukraine, von denen ein großer Teil staatenlos ist, gelten wie ich es hier an der Grenze zu hören bekomme, als „nicht-klassische Flüchtende und werden somit sich selbst überlassen“. Ich biete Jules am selben Abend noch an bei uns im Auto zu übernachten. Wir fahren weg vom Bahnhof Richtung einer Raststätte, außerhalb von Przemysl. Jules erzählt, dass er nicht weiß, wie und wo er Asyl beantragen soll, weiteres das er seit drei Tagen keinen Schlaf findet. Ich versuche ihn zu beruhigen und verspreche ihm, dass wir ihm helfen werden.

Sara aus dem Jemen
Sara kommt ursprünglich aus dem Jemen Foto: Daniel Schaler

Jules ist nur einer von vielen

Am Parkplatz, an dem wir heute übernachten, angekommen, versuche ich, Jules die Weiterfahrt zu organisieren. Mithilfe einer Telegram-Gruppe gelingt es dann auch: „Polnische No Border Aktivistinnen organisieren morgens um 8:00 Uhr einen Bus, der Flüchtende of Colour gratis nach Warschau und dann weiter nach Deutschland fährt.“ lese ich dort. Wir treten mit ihnen in Kontakt und ich bin mir sicher, dass sie Jules helfen können. Das tun sie auch. Die wahren Heldinnen des Tages, wie ich finde. Wir befördern Jules zur Bushaltestelle an der Grenze Medyka und treffen dort die Aktivistinnen. Jules steigt in den Bus, verabschiedet sich herzlich und wir versprechen, in Kontakt zu bleiben.

Auf dem Bahnhof harren unzählige Menschen aus
Auf dem Bahnhof harren unzählige Menschen aus, Foto: Daniel Schaler

Aber Jules ist nur einer von vielen. Es hängen noch immer unzählige PoC, BPoC und Menschen ohne ukrainischer Staatsbürgerschaft an der polnisch-ukrainischen Grenze fest. Das hat mittlerweile auch der Flüchtlingskoordinator der UNHCR, Fillipo Grandi erkannt und verspricht: “The UN plans to intervene to try to ensure that everybody receives equal treatment.” (dt:. Die UN plant einzugreifen, um sicherzustellen, dass alle gleich behandelt werden). Bei der Rückfahrt nach Österreich frage ich mich, ob ich, wie der polnische Grenzschutz behauptet, wohl unfreiwillig russische Propaganda verbreite. Ich gebe leider jedoch nur das wieder, was schon viele vor mir beobachtet haben. Und ich denke das die demokratisch europäische Gesellschaft das verkraftet und ein solches Verhalten seitens der ukrainischen Grenzbeamten, weder tolerieren noch zur Norm in Krisensituationen machen darf.


 

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