Summer School: Über die Doppelmoral bei der Mehrsprachigkeit

20. Juli 2022

Banan
Banan Sakbani (19)

Ich liebe es Arabisch zu sprechen, letztendlich ist dies meine Muttersprache, welche mich schon immer mit ihren bildhaften Ausdrücken und weisen Sprichwörtern begeisterte. Wie kann man so eine liebevolle, poetische und rhetorisch geprägte Sprache nicht lieben? Vor allem liebe ich es, auf Arabisch zu dichten. Dennoch fühle ich mich paradoxerweise unsicher, wenn ich meine Muttersprache in der Öffentlichkeit spreche. Bei einem Schmuckgeschäft hat sich der Besitzer gewehrt, meiner Mutter eine Kette zu verkaufen. Er feuerte sie unhöflich aus dem Laden. Ich bekam diese Geschichte erst ein paar Tage später von meiner Mutter mit, da sie mich an meinem Geburtstag nicht traurig sehen wollte. Diversität und Mehrsprachigkeit, diese können einen riesen Vorteil mit sich bringen, wenn sie beispielsweise für einen mehrsprachigen Redewettbewerb oder im Arbeitsmarkt verwendet werden, aber wenn ich mich auf Arabisch mit meiner Mutter unterhalte, werden wir auf der Straße komisch von den Passanten angestarrt. Sogar wenn ich auf Türkisch telefonierend spaziere, werde ich böse angeschaut. Im Gegensatz dazu schauen mich alle freundlich und begeistert an, wenn ich mit jemandem auf Französisch kommuniziere. Das zeigt, wie die Gesellschaft den europäischen Sprachen mehr Wert gibt als Arabisch oder Türkisch. Das verletzt mich sehr, denn die beiden Sprachen sind ein Teil meiner Identität.

Als ich mit einer blonden Freundin Blumen kaufen gehe, lächeln mir alle zu. Wenn ich mit meiner Kopftuch tragenden Mutter zum einem regulären Einkauf gehe, werden wir meistens böse angeschaut. Ich werde eben anders behandelt, je nachdem, mit wem ich mich in der Öffentlichkeit bewege. Es ist sehr widersprüchlich wie ich zwischen diesen Welten und Identitäten wandere. In meinem Freundeskreis oder in  der Schule fühle ich mich wie eine Österreicherin. Zuhause - Araberin. Auf der Straße verändert sich meine Identität, je nachdem mit wem ich bin und welche Sprache ich spreche. 

Integrationsgeschichte #1

Manchmal fühlt sich die Gesellschaft so offen an. Eines Tages saß ich in der S-Bahn mit einer Klassen Kollegin am Heimweg, wo ich die Gelegenheit für einen Austausch nutzte, um mein Deutsch zu verbessern. Wir diskutierten und plötzlich diskutieren andere mit.
Ein zustimmendes Nicken habe ich auch öfters erfahren. 
Eine ältere Dame sah es genauso als sie uns von der Existenz- und Essenztheorie von Sartre sprechen hörte.
Sie verband diese Ästhetik auch mit atheistischen Einstellungen und fand es recht kompliziert und interessant. 
Sie wirkte so interessiert, als würde sie mitreden wollen, dabei hat ihre Mimik, ihre Meinung zum Ausdruck gebracht. Ihre neugierigen Blicke. Ohne Wörter nämlich.
Ein kleiner grammatikalischer Fehler unterbrach unseren Gedankengang.
Er wurde gleich von einer im Zug sitzenden jungen Frau verbessert.
Wir suchten nach dem Adjektiv des Nomens Disziplin. 
„Disziplinär!“, schrie sie ganz laut von hinten, ich zurück „Das ist die beste Form der Integration!“. Sie erwiderte mit einem freundlichen Lächeln.
Man denkt, das sei das Ende. Hier hört die Geschichte nicht gleich auf.
Denn als wir ausstiegen;
Ein junger Mann im Bahnhof;
Sich zu uns beeilend; 
Die Frau, sie habe kein Recht gehabt!
„Diszipliniert“ sagte er. 
Es sei „diszipliniert“, da wir von einer Person und nicht von einer Maßnahme sprachen, schilderte er liebend und gern erklärend, als ich nach dem Unterschied fragte.  

 

Am Ende des Tages hört die Offenheit und der Horizont unserer Gesellschaft bei dem Kopftuch meiner Mutter und den Klang unserer Muttersprache auf.

 

Banan Sakbani ist 19 Jahre alt und maturierte dieses Jahr.  

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