Warum Wien Applaus verdient

06. Dezember 2021

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Amar, presse, Pink, Staatsbürgerschaft

PCR-Tests, Briefe an Ungeimpfte, strenge Maskenpflicht – Wiens Sonderweg war lange unbeliebt, katapultierte aber Bürgermeister Ludwig zum politischen Gewinner der Krise.

Kommentar von Amar Rajković

Was haben wir alle in den letzten Jahren auf die SPÖ eingedroschen? JournalistInnen, ArbeitskollegInnen, PolitikerInnen. Alle wussten wir, dass die Sozialdemokratie doch am Ende sei, die Roten ein riesiges Führungsproblem haben und überhaupt nicht mehr wüssten, was der kleine Mann sich wünscht. Vor allem der mittlerweile zurückgetretene Sebastian Kurz und die türkise Ministerriege stimmten sich auf den Abgesang ein – es war ein Teil ihrer DNA. Landwirtschaftsministerin Köstinger bezeichnete in einer Aussendung Anfang Juli die scharfen Covid-Maßnahmen in Wien als „absurd“, weil sie nur „Verwirrung stiften“ würden. Kurz inserierte im Sommer: „Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft“, Finanzminister Blümel verkündete am 13. Oktober in der ZIB2, dass die „Pandemie vorbei ist.“

PARTYPUPSER LUDWIG

Ihr habt richtig gelesen und ihr habt es wahrscheinlich nicht zum ersten Mal gelesen. Trotzdem fällt mir bei diesen Aussagen das Gurgelröhrl aus der Hand. Ich freue mich, in Wien zu leben, in einer Stadt, die von einer rot/pinken Koalition durch die Krise geführt wird. Vor allem Bürgermeister Michael Ludwig ist mit klaren Ansagen zum politischen Gewinner der Krise aufgestiegen. Und das, obwohl er unbeliebte Maßnahmen getroffen hatte – etwa die Testpflicht für Kids ab sechs Jahren in Schwimmbädern oder verpflichtendes Tragen der FFP2-Maske in den Öffis. Was haben wir da alle in Wien gejammert. Ludwig sollte Recht behalten: „Das Virus, insbesondere die Delta-Variante, ist nach wie vor gefährlich. Der letzte Sommer hat gezeigt, was passieren kann“, verkündete er Ende Juni. Er trat immer wieder gefasst vor die Kamera. Er mimte dabei die Spaßpolizei, die den Partygästen ins Gewissen einredete, beim übermäßigen Alkoholkonsum auch an den Tag danach zu denken. Er sprach am Höhepunkt der vierten Welle davon, dass die Bundeshauptstadt „Keine Insel der Seligen“ sei – und das, obwohl Wien trotz der höchsten Bevölkerungsdichte mit Abstand am besten dastand. Ludwigs Zutaten für das Erfolgsrezept: Gratis PCR-Tests für alle. Unkompliziert, kostenlos, niederschwellig. Seine besonnene Rhetorik im Klartext: Vorsicht statt Selbstbeweihräucherung. Sinngemäß: „Lassen wir uns nicht für vergangene Erfolge feiern, schauen wir doch bitte auf den Herbst.“ Die Stadt Wien stellte nicht alle Ungeimpften an den Pranger. Sie schickte ihnen lieber per Post einen Impftermin – eine Taktik, die in Spanien zu einer Impfquote von rund 80 % geführt hat – und in Wien zu viel Zuspruch für Ludwig. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sollte hier nicht unerwähnt bleiben, der sich aufgrund seiner klaren, nüchternen Kommunikation als guter Krisenmanager hervortat.

DIE DÄNEN MACHEN ES VOR

Es gibt aber noch genug Aufholbedarf. Die Impfquote ist noch immer zu niedrig, die Ansprache von MigrantInnen stelle ich mir in einer Multi-Kulti-Stadt zielgerichteter vor. Imame, Fußballtrainer, Barbiere oder Rapper muss man ins Boot holen, um den Großteil der impfunwilligen Bevölkerung die Ängste zu nehmen. Der Blick nach Dänemark zeigt: Es funktioniert! Dafür braucht es möglicherweise eine Klinik für Einwanderungsmedizin, wie die von Morten Sodenman geführte Einrichtung am Universitätsklinikum in Odense. Die Wiener Regierung sollte sich keinesfalls auf ihrer guten Performance ausruhen, sonst droht ihr ein ähnliches Schicksal wie der „Besser durch die Krise gekommen als andere Länder“ – Bundesregierung. Als gut integrierter Wiener komme ich selten dazu, mich an der weltweit einzigartigen Lebensqualität und dem Luxus, der mich hier umgibt, zu erfreuen. Nach dem Motto „Ich lasse mir mein Wien sicher nicht schönreden“, sehe ich als Wiener grundsätzlich alles misstrauisch. Das Pandemiemanagement der Stadt lässt mich an dieser Haltung zweifeln. Danke (auch dafür), Wien.

 

Amar Rajković ist stv. Chefredakteur des biber-Magazins.

 

 

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