„Du bist eine Frau. Du bist noch zu jung. Du bist nicht von hier. Du wirst auch nie von hier sein.“ Sätze wie diese – von der serbischen Community, von Lehrer:innen und anderen Österreicher:innen– begleiten Emilija schon ihr ganzes Leben lang. Viel zu lange hat sie sie wirklich geglaubt. Damit ist jetzt Schluss.

Die Autorin Emilija Ilić, Foto: Zoe Opratko

Von Emilija Ilić, Fotos: Zoe Opratko

Du bist eine Frau. Du bist noch zu jung. Du bist nicht von hier. Du wirst auch nie von hier sein.“ Sätze wie diese - von der serbischen Community, von Lehrer:innen und anderen Österreicher:innen - begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. Viel zu lange habe ich sie wirklich geglaubt. Damit ist jetzt Schluss.

Als ‚Migrakid‘ in Wien aufzuwachsen, ist schon schwer genug. Mit meiner ‚zu großen Klappe‘, wie man mir immer einreden wollte, wäre es auch nicht leichter. Ich war allen immer zu stur, zu nervig und schlichtweg zu frech. Als junge Frau eine eigene Meinung zu haben und diese auch deutlich zu äußern, wird vor allem in Teilen der migrantischen Community ungern gesehen. „Du kannst nicht immer machen, was du willst. Welcher Mann soll dich später so heiraten?“

Du wirst erst als ‚gute Frau‘ gesehen, wenn du kochen, putzen und zu allen Männern „Ja und Amen“ sagen kannst. Du bist erst eine gute Frau, wenn du alle anderen an erste Stelle stellst und dich selbst an letzte. Wenn du jedem nach der Nase tanzt und dich dem Bild der „typischen Hausfrau“ fügst. Sich anpassen, unterordnen und seiner Familie alles recht machen zu wollen, habe ich schon längst aufgegeben. Den eigenen Kopf durchzusetzen und die Meinungen seiner Liebsten zu ignorieren, tut manchmal weh. Doch obwohl ich erst 21 Jahre alt bin, musste ich früh lernen, dass das Leben viel zu kurz ist, um es für andere zu leben.

Plötzlich erwachsen

Als ich 16 Jahre alt war, ist meine kleine Schwester an Krebs gestorben. Eigentlich ist sie meine Cousine, aber wir sind wie Geschwister aufgewachsen. Wir haben 1½ Jahre gekämpft. Etliche Krankenhausbesuche, Therapien (diese scheiß Chemo war am schlimmsten), Gebete, Hoffnung – sie hat es nicht geschafft. Dieser Schicksalsschlag hat meine Familie und mich unendlich schwer getroffen, und dieses Gefühl lässt sich weder in Worte fassen noch zu Papier bringen. Und ich wünsche niemanden, das jemals erleben zu müssen. In dieser Zeit blieb nicht viel Raum für mich selbst. Als erstes Enkelkind, älteste Tochter und Cousine musste ich meiner Familie Halt geben. Es fühlte sich an, als hätte ich von einen auf den anderen Tag erwachsen werden müssen. Ich musste miterleben, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Und wie verdammt unfair es manchmal ist.

Dieser Schicksalsschlag hat mich sehr geprägt. Ich habe angefangen, mir Gedanken über meine Zukunft zu machen. Die Erwartungen und Wünsche der Menschen in meinem Umfeld an mich zu hinterfragen. Mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und zu verstehen, wer ich bin und was ich vom Leben möchte. Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Auch wenn ich mir oft anhören musste, dass ich egoistisch sei. Ich habe beschlossen, meine Wünsche umzusetzen und Dinge zu tun, die sich für MICH richtig anfühlen.

Trotz der Skepsis und dem fehlenden Verständnis für viele meiner Handlungen haben meine Eltern mir den Raum gegeben, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Es war nicht immer einfach, sich gegen sie zu stellen. Es tut weh, die Enttäuschung in ihren Augen zu sehen, wenn ich wieder nicht auf sie höre. Es tut weh, dass sie sich schützend vor mich stellen müssen, wenn Familienmitglieder meine Lebensweise kritisieren. Ich weiß, dass sie sich Sorgen um mich machen.

"Ich musste viele Leute davon überzeugen, dass ich es doch eh kann. Auch in jungen Jahren, auch ohne Mann, auch wenn ich nicht von hier bin." Foto: Zoe Opratko

Falsche Entscheidungen?

Die Kraft und der Ehrgeiz seine eigenen Entscheidungen zu treffen, lässt spätestens dann nach, wenn außenstehende Personen dir den Mut dazu absprechen. Ob Lehrkräfte, die dir davon abraten, die Matura zu machen und lieber eine Lehre anzufangen, oder Eltern, die dich daran hindern möchten, dein Studium hinzuschmeißen, obwohl du selbst weißt, dass es nichts für dich ist – oder auch Familienmitglieder, die deine Partnerwahl kritisieren.

Oft kommt es zu Konflikten und vielleicht gehen auch manche Menschen aus deinem Leben, weil sie deine Entscheidungen nicht akzeptieren. Aber ganz ehrlich: Das müssen sie auch nicht. Und das ist vollkommen in Ordnung. Meine Eltern konnten viele meiner Entscheidungen nicht verstehen und wir haben immer viel gestritten. Doch auch wenn ich selten nachgebe, stärken sie mir trotzdem den Rücken und sind für mich da. Dafür werde ich ihnen auf ewig dankbar sein.

Aber ich werde mich weder ihren noch den Vorstellungen anderer anpassen. Ich wollte nie etwas anderes als Unabhängigkeit und Freiheit. Ich möchte selbstbestimmt leben. Losgelöst von allen Erwartungen meiner Community, den gesellschaftlichen Normen und den dummen Klischees, die mich als junge migrantische Frau betreffen. Ich muss gar nichts. Und du auch nicht.

Endlich frei

Genau an meinem 18. Geburtstag trug ich mich in einem Wohnungsportal ein, um rechtzeitig eine Wohnung zu bekommen. Ich fing an zu arbeiten und machte alle möglichen Jobs, einfach nur um von niemanden finanziell abhängig zu sein. Auszuziehen war schon lange ein großer Traum von mir – nicht, weil ich unbedingt schnell erwachsen werden wollte. Ich wollte nach meinen eigenen Regeln leben. Im Laufe meines Studiums habe ich endgültig mein Elternhaus verlassen – und ich genieße das Privileg, unabhängig und selbstbestimmt leben zu können, in vollen Zügen.

„Dein ‚Jugo-Vater‘ lässt dich mit 19 ausziehen? Da muss aber was schiefgelaufen sein.“ Nein, da ist alles genau richtig gelaufen. Nach viel Überzeugungsarbeit und Diskussion hat es geklappt. Für ihn war es besonders wichtig, dass ich Verantwortung für mich und meine Zukunft übernehmen kann. Ich fühlte mich bereit dazu. Durch den Verlust meiner Cousine wusste ich schon früh, was es heißt, Verantwortung übernehmen zu müssen – wie schwer kann dann schon alles andere im Leben sein?

Träume werden manchmal doch wahr

Mein Herzenswunsch Moderatorin zu werden, wurde immer belächelt. Eine junge Frau mit Migrationshintergrund, die aus einer Arbeiterfamilie kommt – „Was für Moderatorin?“ Die besten Voraussetzungen um dem nachzugehen, hatte ich in Österreich nicht unbedingt. Doch nach der „Biber Summer School“ kam schnell der Wunsch auf, mich als Journalistin zu verwirklichen. Ich hielt an meinem Traumberuf fest und versuchte, mich neben meinen Nebenjobs weiterzubilden. Mittlerweile arbeite ich als freie Journalistin und Social-Media-Managerin. Die „Biber Akademie“ hat mir hierfür den Weg geebnet – hier fand ich meinen Safe Space, um beruflich zu wachsen. Die ganze Arbeit und all der Selbstzweifel haben sich doch gelohnt.

Nicht alles immer so ernst nehmen

Meine Geschichte klingt so, als hätte ich meinen „Shit together“ und wäre immer verantwortungsbewusst. Aber das stimmt nicht und das will ich auch nicht sein. Auch wenn ich in jungen Jahren viel Verantwortung übernehmen muss/darf/will – ich will auch jung bleiben. Und dazu gehört auch, Fehler zu machen und nicht immer alles im Griff zu haben. Du kannst dir noch so viele „that girl“ Videos auf TikTok reinziehen – es entspricht nicht der Realität. Wir alle haben mal richtig schlechte Zeiten, kommen morgens nicht aus dem Bett, isolieren uns von Freund:innen, räumen wochenlang nicht auf und haben unser Uni- und Arbeitsleben nicht unter Kontrolle. Been there, done that. Sich manchmal überfordert zu fühlen und an sich selbst zu zweifeln – ist okay.

Es gehört auch dazu, falsche Entscheidungen zu treffen und sie zu bereuen. Und dabei ist vollkommen egal, was andere von dir halten und in welche Schubladen auch immer sie dich dafür stecken möchten. Am Ende zählt, dass du weißt, wer du bist und was du von dir selbst hältst. Wichtig ist, dass du an dich und deine Fähigkeiten glaubst. Und dass du Vertrauen in dich hast.

Ich musste viele Leute davon überzeugen, dass ich es doch eh kann. Auch in jungen Jahren, auch ohne Mann, auch wenn ich nicht von hier bin. Lass auch du dir von niemanden einreden, dass du etwas nicht kannst. Auch wenn es schwer ist, sich gegen die Erwartungen anderer zu stellen und seinen eigenen Kopf durchzusetzen. Glaub mir - das Leben ist viel zu kurz, um es nicht für dich selbst zu leben. ●

Emilija ist 21 Jahre alt, hat serbischen Background, studiert Medienmanagement und ist als freie Journalistin sowie Social-Media-Redakteurin tätig. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit Themen wie Feminismus, Gleichbehandlung und Gesellschaftskritik.