1 + 1 = geeignet fürs Journalismus-Studium?

Immobilienwirtschaft, Tourismus-Management, Journalismus und Medienmanagement. Auf dem ersten Blick haben diese drei Studiengänge sehr wenig miteinander zu tun. Die Aufnahmetests sind jedoch – dank Corona – alle gleich und statt Journalismus-Skills stehen kognitive Fähigkeiten im Vordergrund. Für Studieninteressierte gleicht dies einem Schlag ins Gesicht.  

Aufnahmetest, Fachhochschule, Studium

„Der IT-gestützte Aufnahmetest umfasst allgemeine kognitive Fähigkeiten (logisch-schlussfolgerndes, verbales und numerisches Denken). Der Test findet 2020 aufgrund der Corona-Krise online statt.“ Als Amira R.*, sie ist 20 Jahre alt und hat gerade maturiert, diese Zeilen liest, hat sie sich nicht viel dabei gedacht. Besondere Zeiten erfordern eben besondere Maßnahmen, dies hat auch die Regierung in den letzten Wochen immer wieder betont. Auch von Bildungsminister Faßmann hört man: Der Maturajahrgang 2020 wird keine Nachteile durch die Pandemie haben. Soweit so gut. Amira scrollt weiter hinunter – die Mail der Fachhochschule ist lang – und sitzt schockiert vorm Bildschirm. „Das studiengangspezifische Aufnahmeverfahren entfällt 2020“, liest sie.

„Seit ich 14 Jahre alt bin, wusste ich, dass ich Journalistin werden möchte.“

Die Jugendliche aus Wien hat sich für das Studium „Journalismus und Medienmanagement“ an der FH Wien der WKW beworben. Wenn sie über den Journalismus spricht, ist ihre Begeisterung nicht zu überhören. „Ich will der Welt eine Botschaft mitgeben!“. Es ist die Außenpolitik, wofür die 20-jährige brennt. Seit 2013 bespielt Amira mit ihrer Freundin einen Instagram-Kanal und informiert dabei Jugendliche über heikle politische Themen, die in den Medien keinen oder nur wenig Platz finden. Der nahe Osten, Palästina, Israel. „Wir haben die Informationen auf Englisch verbreitet, so konnten wir die breite Masse erreichen.“ Ihre investigativen Recherchen betrieben die beiden sehr intensiv. Mit Erfolg: Der Social-Media-Kanal war durchaus erfolgreich, 90 000 Menschen aus aller Welt verfolgten die Posts.

Keine Frage: Amira interessiert sich wirklich für den Journalismus. Und sie ist bereit, ihre ganze Zeit darin zu investieren. So lange man ihr die Chance dazu gibt. Bei den Infoveranstaltungen im November wurde mehrmals betont, dass besonders die Motivation und das Engagement zählen. Nach dem IT-Test sollte man ein Bewerbungsvideo erstellen, einen Kommentar verfassen und sich in einem kommissionellen Gespräch beweisen. „Ich dachte mir, das ist vielfältig und gut. Sie wollen mehrere Fähigkeiten überprüfen und hier kann ich meine Stärken zeigen.“ Doch dann kam Corona. Und mit dem Virus begann auch die Verwirrung im Hochschulbereich. Bei den Aufnahmetests war keine einheitliche Richtlinie vorgesehen, jede Fachhochschule hatte die alleinige Entscheidungsgewalt über ihr Aufnahmeverfahren.

10 Studiengänge, gleicher Aufnahmetest

Immobilienwirtschaft, Tourismus-Management, Journalismus und Medienmanagement. Auf dem ersten Blick haben diese drei Studiengänge nichts miteinander zu tun. Auch wenn das studiengangspezifische Aufnahmeverfahren entfällt, hätte man doch meinen können, dass zumindest die Intelligenztests auf das jeweilige Fach zugeschnitten werden. Warum besteht der Aufnahmetest für das Journalismus-Studium zu zwei Drittel aus Aufgaben, die für den Journalismus irrelevant sind? „Faul sind wir ja nicht. Wir würden diese Tests durchgehen, sind sie doch die Eingangstür zu unserem Traumstudium. Doch die Tests sollten auf die verschiedenen Studiengänge zugeschnitten werden. Statt Gleichungssystemen sollten journalistische Skills abgefragt werden. Sie können bei einem Aufnahmetest für ein Studium, in dem das Schreiben im Vordergrund steht, doch keine mathematischen Fähigkeiten in den Fokus setzen!“, ärgert sich Amira.

Aufnahmetest zuhause

Neben den für fragwürdigen Inhalten des Aufnahmetests fand Amira auch die Umsetzung fragwürdig. Das Glück einer stabilen Internetverbindung sowie eines ruhigen Zimmers – jene zwei Bedingungen für die Absolvierung des Tests – hat sie nur bedingt. Ihre drei Geschwister sind alle im Home Office, die Internetverbindung ist belastet. „Zuhause konnte ich auch nicht aus meiner vollen Leistungsfähigkeit schöpfen. Ich konnte mich nicht so gut konzentrieren, machte den Test in demselben Zimmer, in dem ich schlafe, esse und meine Freizeit verbringe. Das typische Prüfungsgefühl kam einfach nicht auf.“ Und genau hier liegt das Problem: Die österreichische Medienlandschaft und deren Chefredakteur*innen geben vor, mehr Diversität in der Branche haben zu wollen. Amira R., die einen afghanischen Migrationshintergrund hat, wäre die perfekte Kandidatin hierfür. Doch es scheitert eben oft schon an der Ausbildung – besonders in Corona-Zeiten. Privilegierte Jugendliche  haben das Problem einer schlechten Internetverbindung und einem ruhigen Zimmer nicht. Und deshalb haben Menschen wie Amira schon im Vorhinein deutlich schlechtere Voraussetzungen für einen Aufnahmetest wie diesem. Die Folge daraus: Die Journalismus-Bubble bleibt gleich, beziehungsweise verändert sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam und träge.

Status Ihrer Bewerbung: „Absage“

Als Amira R. wenige Tage nach dem Aufnahmetest ihre Mails öffnet, bekommt sie eine Nachricht, die sie fast schon erwartet hat: „Ich habe die Aufnahmeprüfung nicht geschafft. Nur im letzten Teil, den Wortanalogien, konnte ich meine Stärken ausspielen. Das war leider nicht genug.“ Ihren Traum wird sie trotzdem nicht aufgeben. Sollte sie auch nicht: Denn gerade die Diversität in Medienhäusern ist gefragt – nur fünf Prozent aller österreichischen Journalist*innen haben Migrationshintergrund. Null Prozent davon findet man in den Chefredaktionen. Das sagt doch schon viel aus. Genau so viel, wie der heuer vermurkste Aufnahmetest der FH.

*Name von der Redaktion geändert

Andrea ist 18 Jahre alt und hat 2020 am Oberstufenrealgymnasium in Vöcklabruck maturiert. 

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