Schläge, Schlepper, Schicksale

04. September 2015

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Flüchtlinge
Foto: Khalil Tarek

Rund 100 Menschen übernachteten heute am Wiener Westbahnhof und Hauptbahnhof. Doch sie kommen nicht mehr mit der Bahn, sie laufen wochenlang von Ungarn nach Österreich oder zahlen Unsummen an die Schlepper. Von Misshandlungen und Schlägen durch ungarischen und österreichischen Polizisten berichten viele Flüchtlinge.

Der grüne Seidenschal rutsch Nora vom Haaransatz nach hinten und sie hat Mühe ihn immer wieder zurecht zu rücken. Eine ältere Wienerin bringt frische Palatschinken und selbstgemachte Marmelade. Wir sitzen am Bahnsteig auf einer kleinen Matte, die Körper gegen die Wand gelehnt. Nora kostet die österreichische Mehlspeise und ist entzückt. Seit sie gestern Abend am Westbahnhof angekommen ist, wird sie umsorgt und sich um sie gekümmert. Nora aus dem Nordirak reist mit ihrem Onkel. Ihr Mann sei von den IS-Terroristen ermordet worden, sagt sie uns. Seit diesem Tag ist sie auf der Flucht. Auf der langen Reise über die Türkei, Griechenland und Ungarn bis nach Österreich haben sie sich einer anderen irakischen Familie angeschlossen.

Flüchtlinge
Foto: Khalil Tarek

Geschäft mit dem Elend

Die Mutter von Ahmed und Ali sitzt neben Nora und hat sich in eine Wolldecke gehüllt. Ihre Geschichten sind die gleichen, sie erzählen von Schleppern, Gewalt, Hunger und dem Krieg. Die zweifache Mutter Amal (Name geändert) berichtet unter Tränen wie sie ihre letzten Ersparnisse für den Schlepper nach Ungarn und die Bestechungsgelder für die ungarische Polizei ausgab. „Die Polizei hat uns aufgehalten und sie wollten $400 pro Person“ sagt Amal, sonst hätten sie die Grenze nicht passieren können. Der Schlepper brachte sie dann  in sein Hotel im Zentrum von Budapest. Ohne einen Cent in der Tasche mussten sie und die zwei kleinen Kinder zwei Tage lang hungern. „Ahmed hat mich ständig um Essen gefragt, aber ich konnte ihnen nichts geben“ erinnert sie sich schmerzhaft. Die Schlepper erzählt Amal uns sind meist Türken oder Syrer mit europäischen Pässen. „Sie nennen sich Abu Tarek oder Abu Hamza, wie die IS“ erzählt uns Amal. Für die Schlepper von der Türkei nach Griechenland bezahlte sie $3900 für sich und die Kinder. Drei Tage wanderten sie durch Wälder und Wiesen. Danach wurden sie mit Autos weiterbefördert, die Kinder und Amal wurden in den Kofferraum gesperrt. „Wir bekamen keine Luft mehr“ sagt sie und erzählt wie sie versuchte ihre Kinder an einen kleinen Spalt zu drücken, damit sie genug Sauerstoff bekamen. Nachdem sie mit dem Boot in Griechenland strandete, musste sie wiederum rund $4000 für die Fahrten bis nach Serbien aufbringen. Von Ungarn nach Österreich nahm der Schlepper sogar fast $2000. „Seit heute Nacht 1:30 sind wir in Österreich“ freut sich Amal.

Schläge in Ungarn und Österreich

Ein unbegleiteter  siebzehnjähriger Flüchtling aus Syrien wanderte sieben Tage von Budapest nach Wien. Er möchte uns seinen Namen nicht sagen, daher nennen wir ihn Khaled. Er verbrachte eine Woche in einem ungarischen Flüchtlingslager. „Es gab kaum zu Essen und die Polizisten schlugen uns so lange bis wir unsere Fingerabdrücke abgaben“ erzählt Khaled. Eine Nacht verbrachte er daher auch in einem Gefängnis in Budapest. Khaled berichtet von vielen Flüchtlingen in Ungarns Gefängnissen, die nach Serbien abgeschoben werden sollen. Nach sechs Tagen im Flüchtlingslager ergriffen Khaled und seine Freunde die Flucht. Sie folgten den Gleisen in Richtung Wien und versteckten sich immer wieder unter Büschen und in Wäldern. Die €500 für einen Schlepper der sie mit dem Auto über die Grenzen bringen wollte, konnte Khaled nicht aufbringen. In einem Waldstück vor Wien wurde die Polizei auf die Gruppe von Jugendlichen aufmerksam. „Wir begannen zu laufen, doch die Polizei holte uns ein“ sagt er uns. Die Polizei hätte sie mit Gewalt festgehalten und auf sie eingeschlagen. Danach hatte man ihnen ebenfalls die Fingerabdrücke abgenommen. Auch aus diesem Grund will er uns seinen Namen nicht nennen, denn er hat Angst die österreichischen Behörden würden ihn nach Ungarn zurück schicken. Doch die Beamten quartierten die minderjährigen Syrer nicht in Flüchtlingsunterkünften ein, man ließ sie zum Westbahnhof ziehen. Dort haben sie letzte Nacht auf Feldbetten der Caritas verbracht. Heute früh geht es für sie weiter mit dem Zug nach Deutschland.

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