„Bitte, kleine Spende“

12. Juni 2014

Unsere Redakteurin Marina Delcheva war mit zwei Mitgliedern der ominösen Bettel-Banden unterwegs. Als Undercover-Bettlerin wurde sie beschimpft, verjagt, hat ein unmoralisches Angebot und drei Lächeln bekommen.

 

Betteln, Selbsttest
Foto by Christoph Liebentritt

„Mädchen, ehrlich, du bist die schlechteste Bettlerin, die ich je gesehen habe“, sagt Kosta, während er seinen Rollstuhl durch den Resselpark schiebt. Meine ersten Bettelversuche sind tatsächlich wenig überzeugend. Ich halte unsicher meine rechte Hand auf und sage ganz leise „Biete“, ohne dabei stehenzubleiben. Ich habe Hemmungen die Menschen auf den Bänken und die Passanten um Geld zu bitten. „Und sieh dich mal an, keiner kauft dir ab, dass du eine Bettlerin bist. Dein T-Shirt riecht nach Seife und deine Fingernägel sind ganz sauber. Ich weiß nicht, ob das was wird“, sagt Hristo, der jetzt Kostas Rollstuhl schiebt, weil es bergauf geht. Ich begleite heute die beiden bulgarischen Roma beim Betteln. Genauer gesagt betteln wir gemeinsam. Am Ende des Tages riecht mein T-Shirt nicht mehr nach Seife und auf meinen Händen hat sich eine staubig-feuchte Drecksschicht gebildet.

Am Mittwochmorgen treffe ich Hristo, 30, und Kosta, 24, vor dem Alfred-Grünwald-Park auf der Linken Wienzeile. Im Park selbst hat sich schon eine kleine Gruppe bulgarischer Roma versammelt. Sie genießen noch kurz die Morgenfrische im Schatten, bevor sie zum Betteln auf den Naschmarkt und in die umliegenden Bezirke ausschwirren. Manche haben hier geschlafen, andere wohnen in den Randbezirken in winzigen Quartieren und kommen morgens in die Innenstadt. Es sind auch zwei Buben dabei, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt. Aber die bleiben im Park und auf dem Spielplatz während ihre Eltern unterwegs sind. „Es ist Kindern verboten zu betteln und ich will auch nicht, dass mein Sohn das machen muss“, sagt die Mutter des einen. Als ich frage, warum er nicht in die Schule geht, lächelt sie mich zynisch an und geht.

Kosta, Hristo und ich starten unsere Runde über den Naschmarkt in Richtung Margaretenstraße und dann weiter zur TU. Um diese Zeit sind noch kaum Besucher auf dem Markt und in den Lokalen. Die Route der beiden Männer ist fast immer gleich: Vom Resselpark gehen sie weiter über den Ring in den ersten Bezirk. „Aber nur in die Seitengassen, wo es ruhig ist und es wenig Polizei gibt. Und du darfst die Leute nicht zu aufdringlich ansprechen oder ihnen nachlaufen, sonst hält dich gleich die Polizei auf“, gibt mir Kosta noch ein paar Anweisungen.

Betteln, Selbsttest
Foto by Christoph Liebentritt

Die Legende vom Betteln in Wien

Die jungen Männer kommen aus Pravets, einer Kleinstadt im Nordwesten Bulgariens, der strukturschwächsten Region des Landes. In den bulgarischen Armenvierteln hat sich herumgesprochen, dass man in Wien und anderen westeuropäischen Städten als Bettler ganz gut über die Runden kommt. Deshalb kommen einige, vor allem während der Sommermonate, zum Betteln nach Wien. Es sind vorwiegend Männer, die ihren Frauen und Kindern zu Hause etwas Geld schicken, wenn sie können. Manchmal kommt die ganze Familie. „Es gibt zu Hause keine Arbeit. Uns Roma nehmen sie höchstens als Straßenkehrer für 150 Euro im Monat. Davon kann doch keiner leben. Hier bekommen wir wenigstens 20, manchmal 30 Euro am Tag“, sagt Kosta. Seine Beine sind kaum ausgebildet und er kann nur schwer stehen. Deshalb sitzt er im Rollstuhl. In Bulgarien hat er nur drei Jahre lang die Schule besucht und mit 14 geheiratet. Zehn Jahre später hat er vier Kinder und keine Ausbildung. Auch Hristo hat zwei Kinder, denen er Geld schickt, sobald er etwas angespart hat. „20, höchsten 40 Euro. Über Western Union“, sagt er.

Vor eineinhalb Jahren sind die Beiden das erste Mal nach Wien gekommen, auf Anraten eines Bekannten aus dem Viertel. Hier wohnen sie im 22. Bezirk und teilen sich mit fünf anderen Männern ein kleines Zimmer. Sie bezahlen insgesamt 300 Euro Miete, 42 Euro pro Person. „Der Vermieter ist ein Serbe. Wir haben von Bekannten gehört, dass er auch an Roma vermietet. Er ist sehr nett und nicht böse, wenn er die Miete zwei oder drei Tage später bekommt“, erzählt Hristo. Mitnehmen wollen sie mich in ihr Quartier aber nicht. „Wir wollen keinen Ärger und die anderen werden böse, wenn wir eine Journalistin mitnehmen.“

Wir gehen durch den Gastgarten des Cafè Wolfbauer. Kosta grinst einen Lokalgast an und sagt freundlich: „Guten Tag! Wie geht es Ihnen?“ Plötzlich stürmt die Kellnerin heraus und verjagt uns: „So ihr verschwindets da jetzt ganz schnell. Verstehst mich nicht? Gemma!“ Ich starre sie verunsichert an und tue so, als würde ich sie nicht verstehen. Zwei Gassen weiter versuche ich wieder mein Bettelglück bei einem Passanten: „Bitte, kleine Spende“, sage ich leise und traue mich nicht ganz ihm meine Hand entgegen zu strecken. „Wofür soll ich dir was geben?! Spinnst du? Schleich dich!“, er hat sich vor mir aufgebäumt und schreit mir ins Gesicht. Beim Reden spuckt er auch noch. „Das darfst du dir nicht zu Herzen nehmen. Das passiert ständig. Wenn sie nicht wollen, lass sie“, beruhigt mich Hristo.

„Ich wäre gern Mafioso“

Ich erzähle den beiden, dass hiesige Medien oft von einer „Bettel-Mafia“ und von organisierten Bettel-Banden berichten. Kosta fängt laut zu lachen an. „Das denken die von uns? Ehrlich? Wenn ich von der Mafia wäre, würde ich doch nicht den ganzen Tag in der Hitze durch die Gegend fahren und um Almosen bitten. Dann hätte ich wahrscheinlich ein teures Auto mit verdunkelten Fensterscheiben.“ Und das erbettelte Geld würde er sich sicher nicht freiwillig wegnehmen lassen. Aber gut organisiert sind sie schon, Kosta und Hristo. Sie sind oft zu zweit unterwegs. Am Abend teilen sie ihr Geld und helfen sich gegenseitig aus, wenn einer mal nichts eingenommen hat.

Plötzlich drückt mir eine Frau im Vorbeigehen 50 Cent in die Hand. Mein erstes Geld heute. Das passiert mir nur noch zwei Mal den ganzen Tag. Wir sind mittlerweile in der Nähe des Schwedenplatzes und gehen in Richtung Stephansplatz. Vor dem Stephansdom will ich in der Touristenmenge wieder betteln. „Nicht hier, das ist verboten. Womöglich läufst du noch einem Zivilbullen in die Arme. Dann tut er so, als würde er dir Geld geben und holt aber seine Marke heraus und nimmt dir dein ganzes Geld weg“, warnen mich die beiden. Von der Polizei würden sie mindestens ein Mal pro Woche kontrolliert. Wenn sie dabei erwischt werden, wie sie Leute um Geld bitten oder ihnen gar nachgehen, würden ihnen die Polizisten ihr ganzes Geld abnehmen. „Einem Bettler das Geld wegnehmen, Sachen gibt’s“, schüttelt Hristo den Kopf.

Gegen Mittag sind wir wieder beim Naschmarkt. Wir rasten kurz im Schatten hinter der Sezession. Es ist mittlerweile unerträglich heiß und ich merke jetzt, dass ich nichts zum Trinken habe. Kosta bietet mir einen Schluck seines warmen Colas an. Ich lehne ab und plötzlich schäme ich mich, dass es mir graust, aus einer Flasche mit den beiden zu trinken. Hier trennen wir uns. Ich halte die Manner auch eher auf und sie haben heute noch zwei große Runden vor. Ich schenke ihnen meine Ausbeute von ein paar Euro. „Aide, viel Glück, Mädchen!“

Betteln, Selbsttest
Foto by Christoph Liebentritt

Wie ein Geist

Jetzt gehe ich alleine weiter, auf dem Naschmarkt in Richtung U4-Station „Kettenbrückengasse“. Auch wenn die Bettler sofort sehen, dass ich nicht dazu gehöre, für Passanten, Standler und Lokalgäste bin ich nur ein „Biete, danke!“-Mädchen wie alle anderen auch. Ich halte wieder meine Hand auf und sage in Richtung einer Touristengruppe leise „Biete, kleine Spende“. Ich hatte mir am Tag davor eigentlich mehr Phrasen ausgedacht, aber am Ende bringe ich doch nur diesen einen Satz heraus, immer wieder. Eine Frau in weißem Leinenkleid mit roten Mohnblumen darauf beschimpft mich auf Slowakisch und ich gehe etwas verängstigt weiter.

Ein paar Lokale weiter nickt mir ein Mann zu. Ich bleibe kurz stehen und starre ihn wortlos an. Sein Sakko hängt über dem Sessel nebenan und er hat seine Krawatte gelockert. „Nix verstehen, ha? Abgeschoben gehört ihr. Ab nach Hause!“, er lacht. Am liebsten würde ich ihn anschreien, ihn schlagfertig zu Recht weisen. Aber ich sage nur mit einem Kloß im Hals: „Kleine Spende?“

Den Naschmarkt kenne ich eigentlich von der anderen Seite, als Lokalbesucherin nach der Arbeit, die mit Freunden bei einem Hugo über soziale Ungerechtigkeit diskutiert. Jetzt kommt mir das alles verlogen und heuchlerisch vor. Die meisten Lokalbesucher tun so, als würden sie mich nicht sehen, als wäre ich überhaupt nicht da. Andere winken nur verächtlich mit ihrer Hand ab oder werden sogar beleidigend. Mein Pech, dass ich eigentlich alles verstehe. Irgendwann sage ich nicht einmal mehr bitte oder danke, sondern trage nur noch wortlos meine offene Hand vor mich hin. Ich habe Durst, die Sonne brennt mir auf den Kopf und ich werde immer trauriger. Bei meinem Streifzug habe ich keinen einzigen Cent bekommen.

„Bist du gut zu mir, bin ich gut zu dir“

Nur ein Standbetreiber scheint Mitleid mit mir zu haben und schenkt mir eine Dattel. Er will wissen, wo ich herkomme, wie es mir geht. Ich tue so, als würde ich ihn nicht verstehen und sage nur „Bulgaria, betteln“. Dann will er wissen, wo ich wohne, ob ich eine Nummer habe und ob ich verheiratet bin. Ich schüttle nur den Kopf. „Du kommst zu mir. Du gut zu mir, ich gut zu dir“, sagt er und grinst schmutzig. Ich gehe wortlos weiter.

Auf dem Parkplatz setze ich mich vor den U-Bahn-Aufgang in den Schatten und lege einen Plastikbecher vor meine Füße. Ich schwitze, habe Kopfweh von der Hitze und bin frustriert, weil ich den ganzen Tag kein nettes Wort gehört habe. Hier ist es wenigstens ruhig. Ein leichter Windzug stellt mir die verschwitzten Nackenhaare auf. Meine Jogginghose hat unten schon einen dreckigen Rand. Eine Menschengruppe kommt die Treppe hinauf. Keiner von ihnen sieht mich an, während sie aus der Station gehen. Aber das ist mir mittlerweile egal. In den nächsten Stunden werfen vier Leute etwas in meinen Becher: eine junge Mutter mit Kinderwagen, eine Frau mit Glatze, Tattoos und Piercings und zwei Männer. Als sie mir zulächeln und ihre Ein-Euro-Stücke in meinen Becher werfen, freue ich mich richtig und lächle zurück.

Betteln, Selbsttest
Foto by Christoph Liebentritt

Zwei Euro und ein Lächeln

Ein Mann mit weißem Hemd, roter Samtkrawatte und schwarzer Hose bleibt sogar stehen und fragt mich freundlich, wie es mir gehe und woher ich komme. Als ich Bulgarien sage, antwortet er: „Ah, Sofia. Kenne ich.“ Seine zwei Euro und seine Freundlichkeit heben meine Laune wieder etwas. Nur mein Durst wird langsam unerträglich. Warum habe ich nicht an eine Wasserflasche gedacht?

Am Nachmittag halte ich die Hitze und den Durst nicht mehr aus. Ich wollte eigentlich noch eine Runde auf dem Markt drehen, aber dazu fehlt mir jetzt die Kraft und ich habe das Gefühl, dass ich jeden Augenblick zu weinen beginnen könnte. Ich kaufe mir um fünfzig Cent mit meinem Erbettelten ein kleines Mineralwasser im Billa. Als ich aus dem Geschäft komme, steht eine alte Frau ohne Zähne, aber mit Gehstock und Buckel neben dem Eingang. Ihr Plastikbecher ist leer und ich will ihr meinen schenken. 3,80 Euro sind nach dem Einkauf noch drin. Sie will das Geld zuerst nicht nehmen und sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Ich lächle sie an und schiebe ihr den Becher in die Hände. Sie nimmt ihn unsicher und geht kopfschüttelnd weiter. Nicht ganz acht Euro habe ich heute bekommen. Für einen ganzen Tag betteln. Ich hoffe, Kosta und Hristo hatten mehr Glück.

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Kommentare

 

Tolle Story!! 

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