„Du musst besser sein als die Österreicher!“

18. Januar 2023

Was passiert, wenn migrantische Eltern versuchen aus ihren Kindern Musterschüler:innen zu machen, um sie vor Diskriminierungserfahrungen zu schützen? Im Austausch mit vier jungen Frauen, die sich nur zu gut an diesen Satz erinnern können und einer Sozialpädagogin, die aufklärt.

    

„Um von den Deutschen akzeptiert zu werden, musst du immer mehr leisten, als die Anderen in der Schule“. Dieser Satz prägte meine Kindheit und Jugend. Ich wehrte mich jahrelang gegen diese Aussage, stritt mit meinen Eltern darüber und warf ihnen vor, alle Deutschen unter Generalverdacht zu stellen. Aber insgeheim wusste ich, was sie eigentlich meinten und dass sie recht hatten. Sie versuchten, mich auf die rassistischen Strukturen im Bildungswesen vorzubereiten, denen ich zu dem Zeitpunkt schon längst ausgeliefert war. Aber ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ich anders bin. Ich wollte dazugehören – obwohl ich nicht nur von meinen Lehrer:innen vermittelt bekam, dass dem nicht so ist, sondern eben auch von meinen Eltern – als Schutzmechanismus.

 

Diese Erfahrung ist keine individuelle, die nur ich erlebte. In vielen migrantischen Familien herrscht der Grundgedanke von Eltern, die Kinder aufgrund der eigenen Erfahrungen vor Rassismus und Diskriminierungserfahrungen schützen zu müssen. Gleichzeitig aber auch von ihnen zu erwarten bessere Leistungen zu erbringen, um aufzufallen. Denn positiv Auffallen bedeutet von der Gesellschaft als gleichwertig erachtet zu werden – oder eben als das super integrierte Vorzeige-Ausländer-Kind gelobt zu werden. Und dabei die Eltern stolz zu machen, wenn die Lehrerin betont, das Kind habe es geschafft trotz der internationalen Wurzeln gute Leistungen zu erbringen.

 

Hoher Leistungsdruck ist nicht der richtige Ansatz

 

Mina, 23, hat iranische Wurzeln und erinnert sich daran zurück, dass sie vor allem von ihrem Vater getriezt wurde, gute Leistungen zu erbringen. Damit gingen auch Schuldgefühle einher, erzählt sie. „Der Satz fiel besonders oft in Leistungskontexten. Es hatte auch unterschwellig immer einen erwartungsvollen Ton. Einen Ton, der hören lässt, er habe viel für seine Familie geopfert, damit vor allem ich es leichter haben werde als er.“ Sie ist sich sicher, dass dies mit den Diskriminierungserfahrungen, die ihr Vater aufgrund sprachlicher Defizite gemacht hat, zusammenhängt. Mina hat den Druck sich den Lehrer:innen im Leistungskontext mehr als die anderen Schüler:innen beweisen zu müssen nie akzeptiert – nichtsdestotrotz hat sie auch heute noch das Gefühl, nicht „genug zu sein“.

 

„Im Rahmen meiner Arbeit mache ich oft die Erfahrung, dass Eltern, auch neu zugewanderte Eltern, die Erwartungshaltung an die Kinder haben immer besser zu sein“, sagt Şengül Safarpour-Malekabad. Sie ist Sozialpädagogin und Leiterin des kommunalen Integrationszentrums in Krefeld, Deutschland. Sie erklärt, dass der Leistungsdruck und das Betonen des Andersseins höchst problematisch und ungesund für Kinder sind. Denn es führt dazu, dass sie in Parallelwelten und -realitäten aufwachsen mit dem Gedanken nicht dazugehören zu können. Auch wenn es den Eltern, mit denen Şengül Safarpour-Malekabad arbeitet, darum geht, dass ihre Kinder es „eines Tages besser haben als sie selbst“. Sie ist der Meinung, dass dieser Umgang nicht das richtige Format ist, Diskriminierungserfahrungen entgegenzuwirken und das Kind auf diese vorzubereiten. „Viel wichtiger ist, das Kind schon früh in seinem Selbstbewusstsein zu stärken, in den offenen Dialog zu gehen und präsent zu sein, also ihnen den Rücken zu stärken“.

 

Die Einbindung der Eltern ins Schulgeschehen ist der Schlüssel

 

Sara, 31, hat Eltern aus der Türkei und dem Balkan. An einer Schule in Lünen, Deutschland, die nur von Autochthonen besucht wurde - mit drei Ausnahmen - war sie umgeben von Kindern aus Akademiker:innenfamilien. Als einziges Kind aus einer Arbeiter:innenfamilie wurde ihr von ihrer Mutter vermittelt, sie habe sogar einen Vorteil dadurch und sei besser als die Anderen. Heute ist sie froh darüber und stolz darauf, „anders“ zu sein. Denn Sara sagt, sie hat mehr Kompetenzen als Autochthone, weil sie eine ganz andere soziale Intelligenz besitzt und ein Gespür und Feingefühl für andere Kulturen und Sprachen hat. Sie sieht aber auch, dass der systemische und strukturelle Rassismus etwas mit ihr gemacht hat – sie spricht von einem ständigen Kampf zwischen „Ich kann das und ich kann das nicht“.

 

Şengül Safarpour-Malekabad erklärt, dass es besonders wichtig ist, dass Eltern in das Schulgeschehen der Kinder eingebunden sind. So gibt es beispielsweise Elternbildungs- und Sprachförderprogramme wie „Rucksack“ vor allem für migrantische Familien. Dabei geht es nicht nur um die Wertschätzung der vielfältigen Familienkulturen, sondern eben auch um die Stärkung elterlichen Engagements für die Entwicklung der Kinder. Das Programm hat seinen Ursprung in den Niederlanden, ist aber schon längst auch in Deutschland und Österreich angekommen und erfolgreich.

 

Rümeysa ist 27, hat türkische Wurzeln und erinnert sich ungern an diesen Satz zurück. Für sie implizierte er vor allem einen „Kampf um die beste Ethnie“ der auf internalisiertem Nationalstolz beruht. Sie sah nicht ein, die Verantwortung zu übernehmen, das klischeehafte und stereotypisierte Bild von Gastarbeiter:innen und Arbeiter:innenfamilien verändern zu müssen, indem sie im Namen einer ganzen Minderheit beweisen muss, dass „Türken nicht nur die Gastarbeiter sind, die die Deutschen sehen“. Sie ignorierte diesen Satz, weil sie diesen Kampf gar nicht erst verstehen wollte, bis er irgendwann verstummte. Während unseres Gesprächs fallen ihr gleichzeitig Korrelationen zu meinen Erfahrungen auf – sie erkennt, dass es ihr in erster Linie auch immer darum ging, dazugehören zu wollen und das Anderssein nicht zu akzeptieren.

 

Integrationszentren und Elterngruppen als Anlaufstellen

 

Teil der Arbeit von Şengül Safarpour-Malekabad im kommunalen Integrationszentrum ist auch die Konfiktmoderation bei Rassismusvorwürfen gegen Lehrer:innen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Kommunikation zwischen Eltern, Lehrer:innen und anderen Mitarbeitenden in Bildungseinrichtungen etwas bewirken kann, wenn gemeinsam sensibilisiert wird und internalisierter Rassismus adressiert und behandelt wird. Auch Elterngruppen erachtet sie als enorm förderlich – sie tragen zu einer interkulturellen Öffnung der Gesellschaft bei. Vor allem für Eltern, die eine sprachliche Barriere haben, gibt es Möglichkeiten – pädagogische Einrichtungen, die begleitend in Konfliktsituationen an Schulen dolmetschen und moderieren beispielsweise, auch in Österreich. Integrationszentren sind wichtige Anlaufstellen in diesem Bereich. Denn durch die Einbindung in das Schulgeschehen der Kinder und die unteranderem sprachliche Unterstützung durch Einrichtungen wie diese, erlangen sowohl neu zugewanderte, als auch solche der ersten oder zweiten Generation die Stärke und das Selbstbewusstsein sich für ihre Kinder einsetzen zu können.

 

Maria, 25, Wienerin mit bosnisch-kroatischen Wurzeln erzählt, ihr Vater habe ihr zwar nicht direkt gesagt sie müsse besser sein, aber sie solle sich bemühen. Denn er hatte nie die gleichen Chancen und hat hart dafür gearbeitet, seinen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen. Sie machte sich den Druck selbst – von ihrer Außenwelt hat sie zu spüren bekommen, sie könne nicht die gleichen Leistungen erbringen gepaart mit dem schlechten Gewissen, den Opfern, die ihre Eltern für sie und ihre Geschwister brachten, gerecht zu werden. So wurden ihre mittelmäßigen bis schlechten Noten in der Volksschule ständig mit ihrer Muttersprache erklärt, bis sie irgendwann einen innerlichen Leistungsdruck entwickelte, der bis heute anhält. „Menschen glauben, dass wir aufgrund unseres Migrationshintergrunds nicht besser sein können, aber ich wollte diesem Klischee einfach nicht nachgeben. Deshalb hab ich auch immer noch den Anspruch an mich alles was ich mache perfekt zu machen. Und wenn ich in Etwas nicht die Beste bin, dann bin ich schlecht“.

 

Wichtige Meilensteine in der Bekämpfung rassistischer Strukturen im Bildungswesen

 

Es finden sich in vielen der individuellen Geschichten ähnliche Strukturen wieder – Eltern, die durch eine Stereotypisierung und Diskriminierungserfahrungen einen Komplex entwickelten, der auf dem Rücken ihrer Kinder ausgetragen wird. Indem von ihnen erwartet wird, so viel zu leisten, dass sie von der Gesellschaft nie wieder vermittelt bekommen, sie können es nicht so weit schaffen wie Autochthone.  Es ist offensichtlich, dass diese Erwartungshaltung seitens der Eltern etwas mit den Kindern macht und auch im Erwachsenenalter nachwirkt. Deshalb ist es unheimlich wichtig, darüber aufzuklären wie alternativ migrantische Kinder bereits im jungen Alter von ihren Eltern gestärkt werden können, ohne die Abgrenzung von Anderen zu internalisieren und diesem Leistungsdruck ausgesetzt zu sein.

 

„All diese Ansätze reichen natürlich nicht aus, um das Problem strukturellen und systemischen Rassismus im Bildungswesen auszulöschen. Dafür bedarf es einer deutlich größeren Zeitspanne, denn ich sehe, dass die Probleme, die ich hatte, auch meine Kinder noch haben. Wir müssen weiter sensibilisieren und internalisierten Rassismus nach und nach lösen“, so Safarpour-Malekabad.

 

Die Frage ist, ob wir irgendwann den Zeitpunkt erreichen, in dem Kindern nicht mehr gesagt wird, sie wären nicht gleichwertig, weil sie internationale Wurzeln haben. Und stattdessen gestärkt werden, indem ihre internationale Geschichte und Mehrsprachigkeit tatsächlich als Bereicherung angesehen wird. Aber pädagogische Einrichtungen und Förderprogramme, so wie Elterngruppen sind unglaublich wichtige Meilensteine für die Stärkung migrantischer Familien, die deutlich mehr Aufmerksamkeit erlangen sollten.

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