„Du kannst hier mittlerweile leichter Austern kaufen, als normales Gemüse“

23. Oktober 2023

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Gentrifizierungshotspot-Karmelitermarkt (C) Wikimedia Commons

Vom „Ratzenstadel“ zum Hipster Hotspot, von Kebab Buden zu veganen Brownies. Ein Wandel der auf den ersten Blick nicht als bemerkenswert erscheint: Gentrifizierung. Wiener:innen teilen ihre Beobachtungen vom Karmelitermarkt bis zum Yppenplatz.

Von Tana Badic

Die bunten Farben der frischen Obst- und Gemüsesorten; die lächelnden Händler, die mit lautstarken Rufen versuchen ihre Ware um günstige Preise zu bewerben; und die erfreuten Begrüßungen beim Morgenkaffee zwischen alteingesessen Nachbarn. So sehen für mich die klassischen Szenarien am Karmelitermarkt aus. Oder sahen? Spaziere ich nun durch mein gemütliches kleines Viertel, in dem ich aufgewachsen und jahrelang zur Schule gegangen bin, erkenne ich es teilweise nicht wieder. Es ist überflutet mit hippen Cafés und teuren schicki-mickie Restaurants. Und sie sind auf einmal da. Sie, die Hipster, die Künstler, die Moderne der Stadt. Junge Mamas und Papas, die ihren veganen Brunch mit Kind und Buch in der Hand, nur 10 Meter vor der eigenen Haustür genießen. Die feschen Kunststudenten, die um ein Uhr mittags ihren Aperol schlürfen und über Political Correctness diskutieren. Und ich. Ich, die, total fehl am Platz, meinen Kaffee noch mit „normaler“ Milch trinkt und diesen mit einem freundlichen Grinsen der Öko-Kellnerin statt dem lustlosen „wos doafs sein“ des klassischen grantigen Wieners, serviert bekommt. Mein Hirn fängt zum Grübeln an. Was ist hier passiert? Wann ist das passiert? Meine Geografielehrerin springt mir plötzlich durch die Gedanken mit ihrem Vortrag über Gentrifizierung. Gentrifizierung. Das muss es sein. Das ist mit meinem Viertel passiert. Ein Prozess der sich, wie ich später erfahre, nicht nur in meiner Welt bemerkbar gemacht hat.

Seit über 20 Jahren lebe ich nahe am Karmeliterviertel. Dort habe ich meine ersten Purzelbäume geschlagen, das Einmaleins gelernt, und erste Freundschaften geschlossen, die mich seither begleiten. Was mich jedoch nicht mehr begleitet ist das alte Bild des Karmelitermarkts. Vieles hat sich geändert. Die Standler, die Gastronomen und die Menschen, die sich heute dort versammeln. Mein Bezug zum Markt hat sich damit auch geändert. Heute besuche ich ihn um vegane Brownies zu naschen. Damals eher noch um den Kebab auf den Heimweg von der Schule fürs Mittagessen zu besorgen. Das Upgrade von Kebab zu veganen Brownies war nicht nur eine persönliche Erfahrung für mich und meine Geldbörse. Es sind tatsächlich die Folgen eines soziökonomischen Phänomens, welches sich auch an anderen Orten Wiens bemerkbar macht. Dieses Phänomen beschreibt ein Prozess, genannt Gentrifizierung. Künstler und Kreativwirtschaft entdecken ein uninteressantes und verfallenes Stadtgebiet für sich. Sie öffnen ihre Ateliers und Werkstätten, gestalten diese attraktiv und ansprechend. Es kommt zu einer Aufwertung des Stadtteils. Wohlhabendere Bevölkerungsschichten und Gastronomie zieht es in die Viertel. Mit der Aufwertung der Gegend kommt es schließlich auch zur Aufwertung des Wohnungsmarkts. Die Mieten steigen. Letztendlich werden einkommensschwächere Bewohner vertrieben, da sie sich die Preise nicht mehr leisten können. Dieses Phänomen spielte sich auch am Karmelitermarkt und Umgebung durch. Der Gentrifizierungsprozess hat dadurch dazu geführt, dass mein Viertel jetzt bemerkenswert und eindrucksvoll aussieht. Es ist aber im Grunde genommen ein rücksichtsloser Prozess, der einen Batzen Schminke trägt und deswegen schön ausschaut. Denn hinter den hübschen Kaffees und feschen Leuten, steckt oft eine Vernachlässigung und Missachtung einer finanzschwächeren Bevölkerungsschicht.

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Der Prozess der Gentrifizierung. (C) Tana Badic

„Vor 30-40 Jahren konnte man sagen Gentrifizierung ist in Wien nicht komplett unbekannt, aber läuft noch sehr langsam und verhalten. Das hat sich schon sehr geändert. Heute gibt es das Phänomen ganz sicher in Wien“, erklärt Robert Temel. Robert Temel ist selbstständiger Architektur- und Stadtforscher sowie Berater in Wien. Er kennt sich mit Gentrifizierung gut aus und erklärt einige Hintergründe dazu. Temel meint, dass solche Prozesse sehr stark mit der generellen Aufwertung der Stadt zusammenhängen, die so in Wien schon seit den 70er Jahren stattfindet. Damals war jedoch das Mietrecht stärker, somit wurden diese Prozesse der Gentrifizierung abgefedert. Potenzielle Ursachen oder Anreger von Gentrifizierung oder auch bestimmte Verantwortliche kann und sollte man nicht eindeutig festlegen. „Es ist schwer das individuell jemandem der Beteiligten vorzuwerfen, weil es teilweise logische Prozesse sind, die sich aus den Rahmenbedingungen ergeben“, erläutert Temel.

Die Pionierin vom Karmeliterviertel

„Als ich vor 30 Jahren ins Karmeliterviertel zog, war ich noch so etwas wie eine Pionierin“, sagt Magdalena stolz. Sie erzählt, wie sie in den frühen Neunzigern ihre Liebe zum Karmeliterviertel entdeckt hatte. „Damals war es noch anders, da war das Viertel noch ziemlich unbekannt, nicht beliebt, heruntergekommen. Es gab viele Leerstände, wenig Geschäfte und günstige Mieten, aber es wollte auch niemand wirklich her, erzählt die 55-Jährige. Schaut sie heute durch die ansammelnden Menschenmassen ihres ehemaligen Wohnungsgebiets sieht sie definitiv eine Veränderung: „Früher ist es sehr divers gewesen, das ist es so jetzt nicht mehr. Die, die sicherlich verdrängt worden sind, sind ältere Leute. Es sind jetzt auch sehr viele Hipster im Stadtbild und offensichtlich gutverdienende Kreative.“ Magdalena wohnt seit rund 10 Jahren nicht mehr im Karmeliterviertel. Heute lebt sie im 20. Bezirk. Der Grund für ihren Auszug in den Nachbarbezirk waren die steigenden Mietpreise, die sie sich in einem Moment einfach nicht mehr leisten konnte.

Nicht nur die typischen Marktbesucher haben sich geändert meint Magdalena, auch Verkäufer und Angebot haben sich der schleichenden Aufwertung des Viertels angepasst. Sie erinnert sich wie Händler damals noch teilweise ihr Gemüse am Boden liegen gehabt und verkauft haben. „Geht man heute hin sind das eher Safran Würstchen, Likör vom Zwergihuhn oder Bisonfleisch. Du kannst mittlerweile leichter Austern kaufen am Karmelitermarkt, als normales Gemüse“, erklärt die junge Frau. Nur Negatives berichtet Magdalena jedoch nicht. Sie meint, dass Viertel ist in den letzten Jahren sehr viel sicherer und attraktiver geworden. Touristen werden angezogen und die wirtschaftliche Belebung ist auch ein Plus „Jetzt ist die Markttoillette auch sauber,“ erzählt sie lachend. Neben den zu hohen Mieten meint sie aber auch, dass ihr das Familiäre, das Typische fehlt. Sie ruft sich einen günstigen und familienfreundlichen Kebab Laden in Erinnerung, den sie früher gerne besucht hat. Dort steht nun ein Hipster-Lokal, eine Franchisekette. „Wenn ich jetzt durch den Markt gehe, ist es zwar sauber, schön und belebt, aber es könnte auch Amsterdam sein.“

Vom Ratzenstadel zum Hipster-Hotspot

Angela lebt seit 20 Jahren auch in unmittelbarer Nähe vom Karmelitermarkt. „Vor 20 Jahren war das auch schon ein Zufall, dass wir diese Wohnung gefunden und vor allem auch noch eine leistbare Wohnung bekommen haben, weil das Viertel einfach schon so nachgezogen hat“, erklärt sie. Ähnlich wie Magdalena erzählt sie, dass als sie 1986 zum ersten Mal mit dem Viertel in Berührung kam, noch vollkommen anders ausgeschaut hat. „Der Markt an und für sich war kein attraktiver Ort. Damals war das wirklich noch so ein Ratzenstadel“, erinnert sie sich zurück. Auch Angela bestätigt, dass der Karmelitermarkt heute sehr viel mehr Leben bietet. Gentrifizierung in dem Sinne, dass bestimmte Bevölkerungsschichten vertrieben werden, findet sie jedoch passierte nicht.  Sie erläutert: „Ich glaube Gentrifizierung kann es in Wien in dem Maße, wie in anderen europäischen Städten auch nicht wirklich geben.“ Sie erklärt, dass vor allem das Konzept der unbefristeten Mietverträge den Vertrieb von Einkommensschwächeren verhindert. Das wäre ein sehr starkes Instrument, welches gegen solche Prozesse dagegen steuert. Außerdem ist sie der Meinung, dass die steigenden Mietpreise und dieses Ungleichgewicht von Mieten vor 10 Jahren vielleicht noch punktuell klarer waren. Momentan steigen die Mietpreise eher flächig. Angela persönlich findet die Entwicklung des Marktes als positiv. Während sich Menschen als auch Lokale die Jahre hindurch öfters ausgewechselt haben, gibt es auch gewisse Fixpunkte, wie der eine oder andere Gastronom, die trotz des Austausches einen Platz für die Entwicklung einer kleinen Gesellschaft schaffen. „Natürlich unterstütze ich Gentrifizierungsprozesse, durch die Menschen aus ihren Wohnvierteln vertrieben werden, nicht. Aber Wien ist eine 2 Millionenstadt, eine Aufwertung verträgt es an manchen Orten.“

Keine 10 Meter entfernt: 3€ Falafel und 5,90€ Aperol

Szenenwechsel zum Yppenplatz in Ottakring: Dieser ist ein weiteres Paradebeispiel für einen Stadtteil indem mittlerweile gefühlt selbst die Tauben nur noch Bio-Krümmel picken wollen. Vor allem der Yppenplatz scheint mit seiner Ästhetik nicht gerade in den multikulturellen und urbanen Arbeiterbezirk zu passen. Bemerklich macht sich dies vor allem auch am starken Kontrast zwischen dem anliegendem Brunnenmarkt und dem Yppenplatz. Während man an den vielen Ständen des Straßenmarkts noch Falafel um 3€ bekommt, sippt man keine 10 Meter weiter im Yppenviertel seinen Aperol Spritz um 5,90€. Stöbert man durch die ganzen Wien Guides wird der Yppenplatz mittlerweile sogar als eigene Sehenswürdigkeit angepriesen. Dort inmitten der neuen gemütlichen Cafés fällt einem ein historischer Diamant auf. Der Club International. Als ehemalige Beratungsstelle für AusländerInnen und heutige Sprachschule inklusive Kaffeehaus, ist es schon seit 40 Jahren fester Bestandteil des Yppenplatzes. Gründer Wolfgang Veit erzählt wie er nicht nur die Veränderungen des Marktplatzes in den letzten Jahren miterlebt, sondern auch aktiv beeinflusst hat. Wolgang Veit war vielleicht sogar einer der ersten Anreger für die Gentrifizierung des Yppenplatzes in den folgenden Jahren. Denn eigentlich sollte am heutigen Marktplatz ein Hochhaus gebaut werden. Der Versuch der Politik das Viertel zu verbauen, scheiterte folglich aufgrund des Engagements der Nachbarschaft. Wolfgang Veit und weitere Beteiligte gründeten den Verein Forum Yppenplatz, mit dem Ziel der aktiven Mitarbeit bei der Umgestaltung vom Yppenplatz. Diese zeichnete sich aus durch den Plan von weniger Verkehr und mehr Freiraum und einem wöchentlichen Kulturprogramm, durch Musik-und Theatergruppen und setzten somit den Anfang für die kommenden Veränderungen.

Die wilden Kerle – und der Yppenplatz

„Es war wirklich eine wilde Gegend damals“, erinnert sich der 72-Jährige zurück. Stoßspielen, illegale Kartenspiele und Raufereien waren an der Tagesordnung bei den benachbarten Lokalen des CI am Yppenplatz. „Es hat auch fünf Morde gegeben in den ersten 5 Jahren rechts und links von unserem Lokal“, erzählt er. Solche Szenarien finden heute natürlich nicht mehr statt. Blickt man heute durch die Einwohnerschichten, die sich am Yppenplatz versammeln, sieht man wenig von den wilden Kerlen der damaligen Zeit. Auch Wolfgang Veit meint sowohl Gastronomie als auch Bewohnerschaft haben sich mitverändert. Der ausgebildete Raumplaner erklärt, dass dies auch sehr stark mit dem Wohnungsmarkt zu tun hat. Das Haus in dem das Café ist wurde über die Jahre hinweg auch mehrmals verkauft. Der Verkaufswert ist dabei auch stetig gewachsen. „Es wird eine Wohnung von 50m2 jetzt im Haus angeboten um 250 Tausend Euro. Das sind für 50m2 mehr als damals das ganze Haus gekostet hätte“, stellt der Mann den Vergleich lachend dar. Wolfgang Veit berichtet auch von dem massiven Umbau zu Eigentumswohnungen und den Einzug in Dachgeschosswohnungen von wohlhabenderen Berufsgruppen. Als Bremse für diesen Gentrifizierungseffekt sehe der erfahrene Berater das Mietrecht. „Damals, wie wir angefangen haben, hat es nur unbefristete Verträge gegeben, befristete Verträge abzuschließen war nicht möglich. Und dadurch konnte die Bevölkerung bleiben. Wenn ich jetzt einen befristeten Vertrag habe und in drei Jahren muss ich gehen oder ich zahl das Doppelte, weil das Viertel hipp geworden ist, dann geht dieser Prozess schneller vor sich“, erklärt der 72-Jährige. Die Politik hätte hier dagegen steuern müssen.

Eine potenzielle Lösung?

Auch Robert Temel bestätigt diese Annahme. Laut dem Experten kann man dagegenwirken. Gentrifizierung, in dem Maße, dass einkommensschwächere Bevölkerungsschichten aufgrund steigender Mietpreise vertrieben werden, müsste auf politischer Ebene reguliert werden. Die Stadt verfallen zu lassen oder bestimmten Gruppen wie Künstlern und Kreativen verbieten gewisse Viertel zu bewohnen und zu nutzen, aus Angst es könnte zur Gentrifizierung kommen, müsse man deswegen nicht. „Die Aufwertung des öffentlichen Raums meiner Ansicht nach kann mit entsprechenden politischen Begleitmaßnahmen schon auch ohne massive Gentrifizierungprozesse geschehen, wenn es die entsprechende Wohnungspolitik gibt.“ Durch wohnpolitische Maßnahmen wie Mieterschutz, Mietpreisbeschränkungen, sozialer Wohnungsbau oder Sanierungsförderungen kann die Geschwindigkeit und Breite dieses Prozesses kontrolliert werden. Es wird nicht sicher frei von solchen Umwandlungsprozessen stattfinden, aber man kann sie sicher deutlich bremsen und reduzieren.

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