Kommentar: "Ich distanziere mich!"

04. September 2014

Ich bin gegen Krieg. Ich verurteile radikale Menschen, die anderen vorschreiben, wie sie zu leben oder woran sie zu glauben haben. Ich bin gegen religiöse Politik und sehe den eigenen Glauben innerhalb der eigenen vier Wände am besten aufgehoben. Trotzdem muss ich hier einen Kommentar schreiben. Weil ich ein Muslim bin. Was für ein Dilemma.

Von Amar Rajkovic

 

„Ihr müsst euch endlich distanzieren“ oder „Warum gehen die Muslime nur beim Gaza-Konflikt auf die Straße und bei den Gräueltaten der „IS“ sind alle gusch?“ – Das sind Sätze, die ich in den letzten Wochen dauernd höre. Sie kommen von Journalisten, Religionskritikern, sogenannten Dschihad- Experten, Straßenbahnfahrern und von meinen Arbeitskollegen. Alle kritisieren den neugegründeten, multinationalen Terrorismus-Verein „IS“ (Islamischer Staat), seine barbarischen Gräueltaten und Muslime, die nicht ausreichend Abstand von diesen nehmen. Man habe nämlich den Eindruck, dass große Teile der muslimischen Gesellschaft insgeheim Sympathien für die wahnsinnigen Gotteskrieger hegen, so der Grundtenor. Auf meine Frage, woher dieser Eindruck stammt, kommt die Antwort: „In Medien sieht man kaum Moslems, die Abstand vom IS nehmen.“
Nun, hier schlägt das Dilemma erstmals zu. Da mein
Medien-Konsum mehr als das Lesen von österreichischen Medien beinhaltet, weiß ich, dass diese Aussage falsch ist. Es hat weltweit scharfe Kritik gegen den „IS“ gegeben – von türkischen Predigern, saudischen Publizisten wie Jamal Khashoggi oder auch vom Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ) Fuat Sanac. Dieser bezeichnete übrigens orientierungslose, radikale Männer in einem Interview als „keine richtigen Gläubigen“.

 

„STELL DICH NICHT SO AN.“

Auf der anderen Seite möchte ich nicht als Anwalt für rund 1,5 Milliarden Menschen auftreten. Wie vermessen wäre das? Ein Indonesier hat vielleicht eine andere Meinung als ein Bosnier. Ein ägyptischer Akademiker wird wahrscheinlich anders ticken als ein pakistanischer Gemüsehändler. Und natürlich gibt es solche, die sich mit der archaischen Kriegsführung der Gotteskrieger identifizieren können. Und für die muss ich mich jetzt entschuldigen? Ja, wenn es nach meinen Kollegen geht. „In der Ecke schmollen hat noch niemandem geholfen“, lautete ein Vorwurf. Schließlich habe man journalistischen Pflichten nachzukommen und ich soll mich doch nicht so anstellen und als Muslim einen Kommentar schreiben.

Mist, genau ich, der sich gegen radikale Glaubensströme stark macht, soll darüber was schreiben. Jetzt steck ich in diesem Dilemma fest. Und muss Farbe bekennen. Ich soll ein Zeichen gegen wahnsinnige Religiöse setzen und zur gleichen Zeit meine Religion verteidigen, die von Gotteskriegern missbraucht wird?

 

DROHNEN UND BREIVIK

An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, wer mehr Mitschuld an der Misere im arabischen Raum trägt. – Der Westen, angeführt von den USA, oder ein stinknormaler Österreicher mit islamischem Glaubensbekenntnis? Ich verlange ja auch nicht von meinen christlichen Kollegen Abstand von fehlgeleiteten amerikanischen Drohnen zu nehmen. Oder den Kopf für den Massenmörder Breivik hinzuhalten, dessen hasserfülltes Manifest mit dem Titelfoto des Tempelorden-Kreuzes bebildert ist. Meine Kollegen haben mit Breivik genauso viel zu tun, wie ich mit Neo-Mujaheddins.

Also hören wir bitte auf, tagtäglich von Menschen Entschuldigungen einzufordern, die mit der Sache nichts zu tun haben. Hören wir auf, von „unserer“ und „ihrer“ Kultur zu sprechen. Hören wir auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen und uns damit vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Und meine persönliche Bitte: Hören wir auf, Kommentare von muslimischen Journalisten zu fordern, die keinen Bock haben für 1,5 Milliarden Menschen zu sprechen. Mist, jetzt habe ich es doch getan. Blödes Dilemma.

 

Rajkovic@dasbiber.at

 

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