Pussy-Power de luxe

04. April 2008

 

Sie ist 27, Tochter türkischer Einwanderer und eine Rapperin, neben der männliche Kollegen wie Sido und Fler wie Chorknaben aussehen. Nebenbei hält sie Vorlesungen an der Uni. Reyhan Sahin aka „Lady Bitch Ray“ ist die zurzeit wohl kontroverseste Erscheinung des deutschen Hip-Hop. Wir trafen sie im Bremer „Heartbreak Hotel“
 

14 Uhr am Bremer Hauptbahnhof. Tigerprint-Stiefel, Magenta-Felltasche in Pudeloptik und Pelzmantel. Das muss sie wohl sein. Wir sind aufgeregt. Ist sie so wie im Fernsehen?

„Ihr Wahnsinnigen! Seid ihr extra wegen mir aus Wien gekommen?!“ Ja.
„Da werden mir ja gleich die Nippel hart!“ Okay. Sie ist wirklich so.

Mal ins „Viertel“ was essen gehen – ein bunter, hipper Stadtteil von Bremen. Sie bestellt „’ne Limo mit Ingwer-Orangen-Geschmack“ und vegetarische Spaghetti. Kein Fleisch? „Doch, ich liebe Fleisch, nur kein Schweinefleisch. Und keinen Alkohol. Aus Respekt vor meinen Eltern.“ Aha. Da ist also doch noch mehr als Porno-Rap.
Kellner: „Noch was?“
Lady Bitch Ray wird sich wieder ihrer Rolle bewusst: „Ja, kennen wir uns nicht?“
„Mhhh, ich glaub nicht.“

„Hatten wir nicht mal Sex miteinander?“

„Ööhh, ich glaub nicht. Ich muss aber jetzt...“

Ray, wie sie von Freunden genannt werden will, freut sich. Sie hat mächtig Spaß an ihrer Inszenierung, das merkt man. Legendär ihre Fernsehauftritte in diversen Talk-Formaten, bei denen sie zum Beispiel im „Horny Hornissen-Outfit“ erschien und im norddeutschen Rapper-Slang die Themen vorgab – Mösen, Titten, Schwänze.

„Zu sexy! Radiomoderatorin gefeuert“ 
Für den unvorbereiteten Fernseh-Zuschauer war das oft ein bisschen viel. Für Lady Bitch Ray begann hingegen eine steile Medienkarriere. Vom Stern bis zum Spiegel-TV wollten alle Rayhan Sahin featuren. Bereits zuvor hatten die New York Post und die britische Sun über den Rauswurf Rays aus einem Bremer Radiosender geschrieben. Offizieller Grund: Ihre Rap-Songs würden „pornografische Inhalte“ transportieren. Die deutsche Bild titelte: „Zu sexy! Radio-Moderatorin gefeuert".

Die Rapperin ist die derzeit kontroverseste Musikerin Deutschlands. Die 27-Jährige eckt an mit ihrem Sprechgesang. Die Aufregung ist groß. Warum? Sie ist eine Frau, eine Türkin, eine Uni-Lektorin. Eine nicht nur für das Rap-Business ungewöhnliche Kombination. „Ich bin ein Phänomen“, singt sie selbst.

Als Tochter türkischer Gastarbeiter 1981 in Deutschland geboren, fing sie schon in ihrer Schulzeit an, sich für Rapmusik zu interessieren. „Damals rappte ich noch auf Französisch. Die Lehrer waren froh zu sehen, dass ich mich für Fremdsprachen interessierte. Dabei ging’s in den Texten ja auch nur ums Ficken.“

Du bist krank
Ihre Videoclips erinnern an Low-Budget-Softpornos. Lasziv, in eindeutiger Pose, räkelt sich Lady Bitch Ray in Hotpants und roten High Heels auf einem Krankenbett, reibt sich den Schritt, stöhnt und rappt: „Du willst ficki ficki? Wie? Mit dieser jämmerlichen Mini-Bifi?

Junge, liegt dir die Gesundheit noch am Herzen, brauchst du ne OP bei mir – der Oberärztin.“

Das Video zu „Du bist krank“ ist eines der meistgeklickten in Myspace.

Ihr Image hat Lady Ray mit einiger Professionalität aufgebaut. Einen Manager hat sie natürlich auch. Und bei der Berlinale wurde dafür gesorgt, dass die Kameras den freien Blick  in ihr vorne transparentes Kleid hatten. Die Fotos am Tag danach in den Boulevard-Zeitungen passten gut zu ihrem Debüt im Kinofilm „Chiko“: Da spielt sie eine Prostituierte.

Lady Rays Schlampen-Gehabe, ihre dreckigen Texte und ein paar Feindschaften zu anderen Stars aus dem Musik-Biz wie Jeanette Biedermann: All das kennt man in Grundzügen aus dem Hip-Hop-Business.

Nur legt die Bremerin von allem noch ein bisschen mehr drauf: Noch mehr Schlampen-Gehabe. Noch härtere Texte.

In diversen Web-Diskussionsforen wird sie für ihren Stil entweder vergöttert oder böse attackiert. Vom Beischlaf-Angebot bis zur Morddrohung ist alles dabei. Dazwischen gibt es wenig. Und sie trällert zurück: „Deutschland halt den Rand. Bitches wie ich, wir emanzipieren das Land!“ Ihre getragenen Slips kann man übers Internet bestellen. Uns schenkt sie frische zum Andenken. Die hängen jetzt im biber-Büro.

Linkes Stipendium und Vagina-Style
Und trotzdem ist bei der Bremerin alles ein bisschen anders. Die Porno-Rapperin ist auch Lektorin an der Uni Bremen. Ihren Abschluss in Linguistik, Germanistik und Sexualpädagogik machte sie mit Auszeichnung. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über „Jugendsprache anhand der Darstellung der Jugendkultur HipHop“. Die wurde sogar in einem Sammelband im Brockmeyer-Universitätsverlag veröffentlicht. Derzeit arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit über „Semiotik der Kleidung“. Von der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sie ein Hochbegabten-Stipendium.

Eine Intellektuelle, noch dazu eine Frau, noch dazu eine Türkin – und dann dieser „Vagina-Style“?. Wie passt das zusammen“. Gegenüber der Berliner Tageszeitung (TAZ) meinte Lady Ray: „Für mich ist das Kunst." Und: „Ich habe eine Message: Ich will die Türkin in Deutschland sichtbar machen von einer anderen Seite."

Die sexistische Feministin

Gerade ihre türkische Herkunft ist für viele ein Grund mehr die Augen zu verdrehen und sich über die paradoxe Kombination von Islam, Feminismus und Freizügigkeit zu erregen. Und darüber empört sich wiederum die Alevetin: „Weil ich Türkin bin, versuchen sie mir gleich eine Religion überzustülpen. Was hat das damit zu tun? Ich mache Musik und predige nicht.“ Trotzdem spricht sie in ihren Texten junge Türkinnen  an. Sie nennt sich selbst eine „sexistische Feministin“ und fordert andere Frauen auf, „ihre Möse zu befreien. Sie sollen stolze Kanakinnen sein und sich nicht hinter ihren Brüdern und Vätern verstecken.“

Zu ihren eigenen Eltern hat sie, so sagt sie zumindest, ein gutes Verhältnis. Nur zu ihrer Verwandtschaft in der Türkei hat sie keinen Kontakt mehr – „Denen bin ich zu krass.“
Und hier, in Deutschland, wolle man sie oft auf ihre Rolle als Muslimin reduzieren. Die eigene Community mache das auch. „Die türkischen Männer rappen irgendeinen Ficki-ficki-Shit und im nächsten Satz zitieren sie den Koran. Aber über mich regen sie sich dann auf!“

Die 10 Gebote von Dr. Bitch
Sie sticht, wo es wehtut, keine Frage. Ob mit dem Hornissen-Anzug oder der Forderung an ihre Landsfrauen, sich zu emanzipieren. Die Männer-dominierte Rap-Branche führt sie vor, in dem sie das Testosteron-Gehabe der Protagonisten umdreht, selber damit spielt und dadurch demaskiert.
Lady Bitch Rays „10 Gebote des Vagina-Styles“ lesen sich übrigens auch nicht viel anders als ein stinknormaler Sex-Frauen-Ratgeber in der Brigitte. Nur halt angereichert mit  dem unvermeidlichen  „Mösen“-Talk. Gebot Nummer Eins heißt etwa: „Du hast einen Grund zum feiern: Du hast eine Möse und Du bist eine Frau, die weiß, was sie will. Stehe dazu, Bitch!“ Selbst vor zu frühen Sex warnt die „Porno-Rapperin“ junge Mädchen auf ihrer Seite von MySpace; und fordert sie dazu auf: „Bring Deine Schule/Ausbildung/Abitur zu Ende, wenn Du kannst, dann studier! Versuche unabhängig zu werden und es zu bleiben. Und tu mir bitte einen Gefallen: Definier dich nicht über einen Typen.“  
Und dann noch Gebot Nummer Zehn, wohl für die Girls aus der türkischen Community: „Lass Dich nicht vom Arsch durchnehmen, nur um ‚Jungfrau` zu bleiben. Denn dann bist Du für den ausführenden Trottel eine dumme Groupie-Schlampe.“  
Das Rapper-Pendant zum internationalen Frauentag wäre damit also auch schon gefunden: Am 28.Oktober – Rayhans Geburtstag – soll der Vaginale Bitchday ausgerufen werden.

 

von Ivana Cucujkic und Moritz Schell (Fotos) 

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