Es sind Menschen, die da kommen

 

Flüchtlingskind
Alena Wacenovsky
     

Griechenland, Lesbos. Sommerferien 2015, etwa 15:00 Uhr:

Die Strandliegen des Hotels "Aphrodite" sind voll besetzt. Auch ich sonne mich und döse vor mich hin. Plötzliche Unruhe weckt mich aus meinen Tagträumen. Noch etwas benommen richte ich mich auf. Was ich sehe, macht mich schlagartig munter: Ein Flüchtlingsboot, an Bord etwa 30 Leute, steuert auf den Strand zu. Alles im schwarzen Schlauchboot jubelt. Jetzt haben auch die anderen Urlauber es entdeckt. Die Hotelbesitzer kommen herbeigeeilt, die Urlauber stehen von ihren Liegen auf und spähen angestrengt aufs Meer. Und schon bevor man richtig registrieren kann, was hier gerade vor sich geht, hat das Boot die Küste erreicht. Die ersten der Flüchtlinge springen in einem Anflug von Übermut und Euphorie aus dem Boot ins Wasser und waten bis zum Ufer. Sie sind froh, endlich europäischen Boden unter den Füßen zu haben.

Kaum sind alle Flüchtlinge an Land, werden sie umringt von Urlaubern. Ein paar der Touristen versuchen die Angekommenen zu beruhigen, andere sind einfach nur schaulustig. Doch die Flüchtlinge wollen schnell weiter, zur Auffangstation in Molivos, denn sie haben Angst, zurückgeschickt zu werden. Um gar keine Rückfahrgelegenheit zu haben, wird das Schlauchboot sofort mit einem Messer aufgestochen.

Bloß nicht zurück

Unter den Flüchtlingen herrscht pure Euphorie, die Urlauber sind eher bedrückt. Jeder möchte irgendwie helfen. Auch die Hotelbesitzer verteilen gratis Wasserflaschen an jeden. Ein Mann hat sich beim Aufschlitzen des Bootes mit dem Messer verletzt, die Wunde gehört verbunden, meint meine Mutter, die Ärztin ist, und schickt mich, einen Verbandskasten zu holen. Doch der Mann will sich gar nicht verbinden lassen, er will schnell weiter, nur nicht zurückgeschickt werden. Erst als wir ihm versprechen, dass er auf jeden Fall bleiben kann, gibt er nach und reicht meiner Mutter den Arm.

Andere Urlauber versuchen die Kinder zu beruhigen, die noch immer bebend vor Angst dastehen. Ein älterer Herr hat Tränen in den Augen als er ein kleines Kind mit seiner Mutter sieht. "So ist meine Mutter damals auch mit mir aus Rumänien geflüchtet", meint er gerührt.

Nach etwa einer Viertelstunde haben sich schon alle Flüchtlinge, die hier gestrandet sind, auf den Weg nach Molivos gemacht. "Mit dem Auto hinbringen dürfen wir sie nicht, das würde unter Schleppererei fallen", erklärt uns Aphrodite, eine der Hotelbesitzerinnen. Die Urlauber stehen noch am Strand herurm und diskutieren angeregt über die Geschehnisse. Auch ich muss erst einmal verarbeiten, was ich erlebt habe. Bis dahin kannte ich solche Bilder nur aus dem Fernsehen, und damals war die Flüchtlingskrise selbst in den Nachrichten noch nicht so aktuell wie heute.

Am selben Tag, etwa 22:00 Uhr:

Gerade spiele ich mit meiner Schwester eine Runde "Mensch ärgere dich nicht" in der Hotellobby, als meine Mutter aufgeregt zu uns kommt und meint, ich solle wieder den Verbandskasten aus dem Zimmer holen, es ist noch ein Boot angekommen. Als ich mit dem Verbandskasten atemlos den Strand erreiche, herrscht dort das pure Chaos. Diese Menschen sind nicht euphorisch, und sie eilen auch nicht sofort weiter, dazu fehlt ihnen die Kraft. Sie sitzen erschöpft auf den Strandliegen, viel mehr kleine Kinder diesmal, manche höchstens vier. Und alle sind sie völlig durchnässt. Aphrodite verteilt Handtücher, Wasserflaschen und Brot mit Käse. Ein Mann droht zu kollabieren, er hat einen Schock und ist völlig durchgefroren. Während meine Mutter ihn untersucht, steht sein Freund besorgt daneben und erzählt uns aufgeregt, was passiert ist: Auf der Hälfte der Strecke ist der Motor des Bootes ausgefallen, mit nur vier Rudern mussten sie drei Stunden lang paddeln. Sie hätten niemals gedacht, dass sie noch lebend ans Ufer gelangen. 

Ein anderer Mann beginnt vor Erleichterung zu weinen. Aufgebracht versucht er uns zu beschreiben, warum er geflohen ist. "Aleppo!", ruft er, "Bombs! Bombs like rain!"            

Alles umsonst?

Die Urlauber und vor allem die Hotelbesitzer zeigen abermals große Hilfsbereitschaft. Da die Flüchtlinge völlig entkräftet sind, beschließen die Hotelbesitzer, sie auf der Ladefläche ihres Pick-ups nach Molivos zu fahren. Dort bekommen sie trockene Kleidung und etwas zu essen, sie werden untersucht und können sich ausruhen. Mit einem Bus geht es dann weiter nach Mytilene, der Hauptstadt der Insel, auf der sie dann registriert werden. Die Meisten wollen weiter nach Athen, von wo aus sie dann wiederum weiterziehen nach Deutschland, Österreich oder Schweden.

Ihre Reise ist also noch lange nicht beendet, und selbst wenn sie ihren Zielort erreicht haben, besteht noch immer die Möglichkeit, dass sie zurückgeschickt werden. Dann wäre dieser lange Weg umsonst gewesen.

Da die meisten Kriegsflüchtlinge sind, werden sie zwar bleiben dürfen, aber sie werden von null auf ein neues Leben beginnen müssen. Viele haben nichts bei sich als ihre Kleider am Leib, viele noch Familie im Kriegsgebiet.

Ich bin nach diesen Erlebnissen überzeugter denn je, dass man Flüchtlinge nicht einfach als "Ausländer" abstempeln und nach Hause schicken sollte. Ich jedenfalls war so schockiert über diese schrecklichen Schicksale, dass ich, zu Hause angekommen, den Drang hatte, sofort zu helfen. Ich war in Traiskirchen und am Bahnhof, und ich muss sagen, es war auf jedenfall eine Erfahrung wert.

 

 

 

  

Flüchtlinge gehen
Alena Wacenovsky
  
Flüchtlinge angekommen
Alena Wacenovsky

     

 

Alena Wacenovsky, 15 Jahre alt, geht in die sechste Klasse des BORG Henriettenplatz

Kommentare

 

Dieser Text hat mich mehr als nur beeindruckt, er hat mich umgehauen. Du heißt ein Talent zum schreiben und dass sieht man an Hand dieses Textes. Ich habe kurz vorm heulen, weil er mich wirklich berührt hat. Ich würde mich freuen wenn du in Zukunft noch so ein paar Texte schreibst.

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