Angst vor Muslimen

15. Februar 2016

Ich bin letztes Wochenende nach Istanbul geflogen und ich hatte ein mulmiges Gefühl dabei. Vor einem Monat sind in der Nähe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee elf Menschen bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen – vermutlich war der Täter Mitglied des IS. Während ich am Gate warte, studiere ich meine Mitreisenden genau. Wer sieht gefährlich aus, wer könnte uns jede Minute in die Luft sprengen? Mir fällt auf, dass mir nur südländisch - südländisch ist mittlerweile zum Synonym für muslimisch avanciert - aussehende Männer bedrohlich vorkommen und ein junges Ehepaar mit Kind – sie vollverschleiert, er Vollbart und der Rucksack des Kindes ist ziemlich groß. Der kleine Junge lächelt mich an, sofort schäme ich mich in Grund und Boden für meine Gedanken.

Araber in Bosnien

Es ist nicht das erste Mal, dass ich Angst vor "Muslimen" habe. Ups, darf ich das öffentlich sagen? Ich bin selbst Muslima, also geht das schon – oder ist das noch absurder? Darüber zu schweigen bringt auch nichts, damit lässt man denen, die diese Thematik missbrauchen, um noch mehr gegenseitigen Hass zu schüren, mehr Raum. Ja, auch Muslime haben Angst vor terroristischen Anschlägen, sind doch die meisten Opfer dieser Anschläge Muslime selbst.

Neulich läutet in der U-Bahn das Handy eines Mannes, sein Klingelton: Allahu Akbar (Gott ist groß)–Rufe des Muezzins. Ich schrecke auf. Der Mann sieht eigentlich aus wie ein lieber, alter Opa – aber wer weiß? Ich bin erleichtert, als er bei der nächsten Station aussteigt. Dabei ist "Allahu Akbar" der Eingangsvers für das Gebet, den der IS, genauso wie den in die Höhe gestreckten Zeigefinger, für sich missbraucht. Obwohl ich das weiß, ist mir unwohl bei dem Klang dieses Rufes. Eine Muslima, die sich vor Muslimen fürchtet – das freut die FPÖ sicher. Aber nicht so schnell, im Gegensatz zu ihren rechten Anhängern reflektiere ich meine Angst.

Heuchlerisch

Dass seit dem 11. September 2001 das allgemeine Bild über den Islam zum größten Teil negativ ist, ist mir klargeworden, als mich einen Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center ein Klassenkamerad während unserer gemeinschaftlichen Gedenkminute für die Opfer unterbricht: „Heuchlerisch von dir bei der Schweigeminute mitzumachen, deine Leute sind doch schuld daran.“  Damals war ich elf Jahre alt und neu in der ersten Klasse Gymnasium.

Seit 9/11 ist das Ansehen aller Muslime dieser Welt gesunken. Schuld daran ist auch die negativ behaftete mediale Berichterstattung, wenn es um den Islam geht. Das ging so weit, dass ich mich als Teenager geschämt habe, wenn am ersten Schultag mein Religionsbekenntnis laut vorgelesen wurde.

Jetzt bin ich aber kein Teenager mehr und ich empfinde trotzdem Unwohlsein als in der U-Bahn ein Mann Flyer zu der Pilgerfahrt nach Mekka austeilt. Auch wenn er die Flyer nur Frauen mit Kopftuch und muslimisch aussehenden Männern in die Hand drückt, kommt mir das seltsam vor. Als mir zehn Minuten später ein junger Christ vor der Uni einen Flyer mit den Worten „Glaubst du an Gott?" in die Hand drückt, belächle ich das lediglich: „Komischer Kauz“, denke ich mir nur. Wieso empfinde ich nicht dasselbe Gefühl wie kurz davor bei dem jungen Muslim?

Im Islamischen Kindergarten

Meine Familie und ich sind vor über 20 Jahren vor dem Bosnienkrieg geflohen – einem Krieg bei dem Hunderttausende muslimische Bosnier ermordert wurden. Aufgrund meiner Vergangenheit wäre es eher nachvollziehbar, wenn ich Angst vor Christen hätte, aber ich bin vernünftig genug, nicht alle unter Generalverdacht zu stellen.

FUCK 

Wobei mich die Anfeindungen Muslimen gegenüber auch in Österreich verfolgen. Letzte Woche hat jemand auf unsere biber Redaktionseingangstür „FUCK BIBER – FUCK ISLAM“ geschrieben. Mein Vater hat sich daraufhin fürchterliche Sorgen um mich gemacht. Ich kann nicht verstehen, warum. Ich fand die Schmiererei überhaupt nicht angsteinflößend. Ich habe mir keine Sekunde lang Gedanken darüber gemacht, ob ich als muslimische biber-Redakteurin dadurch in Gefahr bin. „Das war sicher nur ein Betrunkener, Papa!“, versuche ich meinen Vater, der Bosnien vier Jahre lang im Krieg verteidigt hat und sich wohl im Gegensatz zu mir vorstellen kann, wie weit Hass auf Muslime gehen kann, zu beschwichtigen. Schon komisch, ich habe keine Angst, wenn jemand FUCK ISLAM auf unsere Tür schreibt und Internet-Trolle auf unserer Facebook-Seite gegen uns „Musilfrauen und –männer“ hetzen, aber ich fürchte mich vor einem kleinen Jungen mit Rucksack. 

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