Babys für Erdogan
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Weinende Kinder, kreative Opis und ein starker Vaterlands-Anführer: Erdogan Fan-Seiten geben auf Facebook alles, um "Ja"-Stimmen für das bevorstehende Referendum zu mobilisieren.
Wenn ich in den letzten Wochen versucht habe mit Türken, die für das Präsidialsystem abstimmen, zu sprechen, zeigten sich viele eher zurückhaltend. „Jeder soll abstimmen wie er möchte“, „Egal wie die Wahl ausgeht – wir bleiben trotzdem ein Volk“ – es waren hauptsächlich versöhnliche Aussagen, die ich zu hören bekam und die mich positiv stimmten. Auch Interviews und Diskussionsrunden mit Erdogan-Anhängern klingen oft alle ähnlich: Offiziell möchten sich die wenigsten so wirklich eindeutig positionieren.
"Vaterlandsverräter!"
Social-Media-Plattformen dagegen sind voll von Hass-Kommentaren und hitzigen Wortgefechten zwischen jenen, die für „Evet“ (ja) und denen, die für „Hayir“ (nein) stimmen wollen. Angestachelt werden sie zusätzlich durch die unzähligen Facebook-Fanseiten, auf denen Videos, Fotos und Meldungen geteilt werden, die zeigen, warum es angeblich richtig ist, für das Präsidialsystem zu stimmen:
„(...) die meisten die Hayir wählen sind PKK Fetö und CHP. die verbünden sich quasi mit Terroristen und Vaterlandsverrätern (...)“ schreibt ein User in der deutschsprachigen FB-Seite „Stolz der Türkei – R.T. Erdogan“ die fast 61.000 User abonniert haben. "Vaterlandsverräter", diese Bezeichnung fällt überhaupt oft im Bezug auf Türken, die sich kritisch gegenüber der Verfassungsänderung äußern.
Die Verantwortlichen der FB-Seite gießen zusätzlich Öl ins Feuer und veröffentlichen fragwürdige „Informationen“, wie beispielsweise hier:
Mit Zitaten von Muhsin Yazicioglu, einem mittlerweile verstorbenem rechtsextremen türkischen Abgeordneten, wird zudem ordentlich Stimmung gemacht.
Vermeintliche Erdogan-Sager dürfen natürlich auch nicht fehlen:
Auch der Umgang mit der „Lügenpresse“ wird thematisiert:
Mit 61.000 „gefällt mir“-Angaben hat diese deutschsprachige Seite aber noch eine vergleichsweise geringe Reichweite. Die Facebook-Seite „Erdogan Gönüllüleri“ (im Herzen mit Erdogan) fasst dagegen über zwei Millionen Abonnenten. Hier wird Erdogan als volksnaher Held gefeiert und Oppositionspolitiker als Lügner dargestellt:
22.000 Likes für ein Neugeborenes
Besonders makaber: Für die Erdogan-Propaganda werden auch Kinder instrumentalisiert. Auf der Seite "AK Parti'yi Seviyoruz" ("Wir lieben die AKP", 776.336 "gefällt mir"-Angaben) bekommt ein Foto von einem Neugeborenen, das ein T-Shirt mit der Aufschrift "EVET - nicht nur für Erdogan, sondern für jedes Neugeborene" trägt, fast 22.000 Likes.
Auf der FB-Seite „Baskomutan Erdogan“ („Oberbefehlshaber Erdogan“, 106.000 „gefällt mir“- Angaben) postet ein Vater stolz ein Video seiner 4-jährigen Tochter, die weint weil sie nicht in den Park möchte, sondern lieber den Präsidenten treffen will. „Ich möchte nicht in den Park, ich möchte den Präsidenten sehen“, sagt das kleine Mädchen unter Tränen. Andere Seiten posten ein Video, in dem Kinder die Todesstrafe für Erdogan „Verräter“ fordern.
„Erdogan Sevdalilari“ („Erdogan Liebhaber“, 672.837 „gefällt mir“-Angaben) teilt ein Video von fünf kleinen türkischen Mädchen mit Kopftuch, die in einer religiösen TV-Show Suren aufsagen. Ein „Masallah“ Kommentar nach dem anderen reiht sich unter dem Video. „Solche Kinder festigen unsere Grundbausteine“ schreibt ein User zuversichtlich.
Und dann kursiert auch noch dieses kreative Foto auf den FB-Seiten, das ein paar ältere Herren zeigt, die in einer Moschee ein „Evet“ für das Präsidialsystem formen:
Die FB-Seite „Erdogan Sevdalilari“ postet weniger kreativ, dafür nicht minder aussagekräftig, eine Collage von Erdogan und dem Schriftzug: „Der Krieg zwischen den Kreuzrittern und den Mondsicheln hat begonnen“ sprich: Der Krieg zwischen den Christen und den Muslimen hat begonnen.
Kinder, Religion und Vaterlandsliebe – einige der Erdogan-Fanseiten bedienen sich einer einfachen aber gefährlichen Taktik. Was sich genau unter dem Präsidialsystem ändern wird (18 Artikel der Verfassungsänderung auf der Seite der türkischen Rechtsanwaltskammer nachzulesen), darüber verliert man auf den Facebook-Seiten kaum ein Wort. Die bevorstehende Wahl ist eigentlich keine Partei-Angelegenheit, auch wenn diese Seiten das propagieren. In Zukunft könnte jeder Kandidat, auch von der Opposition (CHP, MHP, HDP), an die Macht kommen - das sollte den Wählern klar sein, wenn sie für "Evet" stimmen.
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