Direktor Waschulin: "Viele Eltern sind zu stolz, um Beihilfen anzunehmen"

16. Januar 2018

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Direktor Waschulin
Zoe Opratko

Georg Waschulin ist seit elf Jahren Direktor einer AHS und Wiener Mittelschule. Im biber-Interview erzählt er, was er sich von Bildungsminister Faßmann erhofft, wie er über das Kopftuchverbot für Lehrerinnen denkt und wieso er Deutschklassen nicht sinnvoll findet.

 

Biber: Sie sind seit elf Jahren Direktor der AHS und Wiener Mittelschule Kandlgasse. Welche Probleme beschäftigen Sie an Ihrer Schule am meisten?

Direktor Waschulin: Das Budget. Dieses Jahr ist das Budget früher als all die Jahre davor gekommen und ich weiß jetzt schon: Mehr ist es nicht geworden, eher wie immer in den letzten Jahren: weniger. Ohne externe Einnahmequellen, wie die Vermietung des Turnsaals zum Beispiel, wüsste ich nicht, wie wir das alles finanzieren könnten.

Was würden Sie mit mehr Budget machen?

Die technische Ausrüstung (EDV) erneuern und Platz schaffen. Wenn wir mehr Platz hätten, könnten wir auch Ganztagsklassen anbieten.

Würden Sie auch in mehr Personal investieren?

Der Schulpsychologe sollte ein- bis zweimal pro Woche von 8-13h kommen, statt alle zwei Wochen, wie es jetzt der Fall ist. Über administrative Hilfskräfte, die meinen LehrerInnen die organisatorische Arbeit abnehmen, würden sich auch alle freuen. Die LehrerInnen würden sich gerne auf ihr Kerngeschäft, das Unterrichten, konzentrieren, und weniger Administratives erledigen müssen. Man könnte diese notwendigen Hilfskräfte durch die Aktion 20.000 besetzen. (Anm.d.Red.: Eine Aktion des AMS. Zusätzliche Arbeitsplätze werden in Gemeinden, gemeindenahen Bereichen sowie gemeinnützigen Organisationen geschaffen und gleichzeitig wird tausenden älteren Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, eine neue Perspektive gegeben)

Was halten Sie vom neuen Super-Ministerium, das erstmals von Kindergarten bis Uni alles verwalten soll?

Das finde ich gut. Bildung und Ausbildung beginnt sowieso im Kindergarten und wir hängen später in der Schule davon ab, was dort im frühkindlichen Alter passiert. Wir können die Versäumnisse, welche im Kindergartenalter und im Volksschulalter passiert sind, nicht aufholen. Deswegen wäre es sehr wichtig, mehr Geld in die Kindergärten zu stecken und vor allem sprachliche Investitionen zu tätigen. Außerdem sollten die Kindergärten gratis aber auch verpflichtend sein. Ich fände es wichtig, die Kindergärten den Ländern und Gemeinden wegzunehmen, bundesweit einheitliche Standards zu schaffen und die KindergartenpädagogInnen besser auszubilden und besser zu bezahlen.  Wenn man mehr Geld in die vorschulische Bildung investiert, geht es uns in den weiterführenden Schulen automatisch besser, sprich dies wären nachhaltige Investitionen.

Sind Deutschklassen geeignete sprachliche Investitionen?

Ich bin da skeptisch. Sobald die SchülerInnen die Klassen verlassen, würden sie zuhause und mit ihren Freunden ja doch wieder in den Herkunftssprachen reden. Besser sind Deutschkurse (zwei bis vier Stunden) geblockt in der Unterrichtszeit. Die restliche Zeit soll im Klassenverband verbracht werden um das Gelernte auch zu üben. Noch besser wären Ganztagsschulen unter der Voraussetzung, dass sie kostenlos sind - auch das Mittagessen, wie es z.B. in Estland der Fall ist. So erreichen wir auch die sozial schwachen SchülerInnen.

Gibt es für sozial schwache SchülerInnen nicht bereits Beihilfen und Ermäßigungen?

Ja, aber viele Eltern sind zu stolz, um Beihilfen anzunehmen. Die sagen dann lieber „Mein Kind kommt nicht zum Ausflug mit“, oder „Mein Kind darf nicht auswärts übernachten“, als das Geld vom Elternverein anzunehmen oder beim Stadtschulrat um Unterstützung anzusuchen.

Sollen Eltern sanktioniert werden, wenn die Kinder keine schulischen Leistungen erbringen, wie Vizekanzler Strache vorschlägt?

Nein. Viele Eltern von schwierigen Kindern sind hilflos und überfordert. Wenn wir sie zu uns an die Schule bestellen, weil ihr Kind schwänzt oder die Noten schlechter geworden sind, kommen sie immer und fragen uns „Was sollen wir denn tun?“. Teilweise gelingt uns das sehr gut, aber SozialarbeiterInnen an der Schule, die mehr Möglichkeiten und Befugnisse hätten, die Eltern zu beraten, wären noch besser.

Bildungsminister Faßmann hat sich für ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen ausgesprochen. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin für eine laizistische Schule. Aber da wir die nicht haben und noch immer Kreuze in den Schulen hängen und Religion statt Ethik unterrichtet wird, dürfen LehrerInnen und SchülerInnen auch Kopftuch tragen und sich Kreuze umhängen. Eine Schüleranfrage nach einem Gebetsraum in der Schule habe ich negativ beantwortet.

Nehmen Sie einen Anstieg von kopftuchtragenden Schülerinnen an Ihrer Schule wahr?

Ja, ein wenig. Das fällt besonders auf, wenn man eine total offene, moderne Schülerin hat, die plötzlich Kopftuch trägt und deren Noten sich verschlechtern, weil sie mehr im Koran liest als in Schulbüchern. Da erfährt man dann später eventuell, dass ein Bruder sich in die Erziehung eingemischt hat und das Mädchen von da an Kopftuch tragen musste. Solche religiös bedingten Interventionen gibt es aber auch manchmal bei Katholiken. Einmal ist eine polnische Mutter zu mir gekommen und meinte, ihr Kind darf nicht Harry Potter lesen, weil ein polnischer Priester gesagt hat, die Harry Potter Bücher seien Teufelswerk. Dieser polnische Priester hat sich übrigens auch als Exorzist einen Namen gemacht.

Was wünschen Sie sich vom neuen Bildungsminister?

Ich habe ihn früher des Öfteren beim Basketballspielen erlebt und da war er wie ein Turm, der einfach nicht umfiel. Ich schätze ihn als Realisten und Pragmatiker ein, der etliche Probleme des Bildungssystems aufgrund seiner bisherigen Arbeit gut kennt. Ich wünsche mir, dass er so auch in der Politik seine Linie durchzieht, unaufgeregt an die Sache herangeht und sich nicht von ScharfmacherInnen aus der FPÖ beeinflussen lässt. Ich hoffe, er schafft Freiräume für Neuerungen wie z.B. für die Modellregion Vorarlberg (Anm.d.Red.: Forderung der Grünen für eine Gemeinsame Schule im ganzen Bundesland). Großartig wäre auch, wenn er das Dienstrecht ein wenig so abändern würde, dass wir leichter inkompetente LehrerInnen loswerden könnten. Bis jetzt können wir froh sein, wenn wir es schaffen, dass schlechte LehrerInnen an andere Schulen versetzt werden. Und wie alle anderen DirektorInnen wünsche ich mir natürlich, dass die finanziellen Mittel erhöht werden.

Zur Schule: Vor zehn Jahren startete das GRG Kandlgasse einen NMS-Schulversuch an einem AHS-Standort. Seitdem ist die Unterstufe eine Wiener Mittelschule, in der auch 20-30 Prozent nicht AHS-reife SchülerInnen aufgenommen werden. Das hat den Vorteil, dass sich die Ressourcen erweitert haben. Jetzt stehen beispielsweise zwei LehrerInnen in zwei Drittel aller Stunden in der Unterstufe in den Klassen. Durch das System der WMS können etliche SchülerInnen, welche nach der Volksschule nicht AHS-reif waren nach der vierten Klasse mit einem AHS-Zeugnis positiv beurteilt werden. Das Transfersystem zur Oberstufe bewirkt, dass ca. 50 Prozent der WMS-SchülerInnen in die Oberstufe aufsteigen. Außerdem ist  das GRG7 im Bereich der Inklusion von Aspergerautisten und gehörgeschädigten Kindern sehr engagiert und führt dazu Integrationsklassen.

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