Hungern für die Kurden

04. Januar 2016

Wenn man heute in der Karlsplatzpassage unterwegs ist, trifft man Ali Gedik, einen Kurden, der seit gestern in den Hungerstreik getreten ist. Anlass für die Entscheidung des Wiener Jugendarbeiters ist „die brutale Vorgehensweise gegen die Kurden, die täglich in der Türkei stattfindet."

Sonntag Vormittag startet der 54-Jährige seinen Hungerstreik in der Wiener Opernpassage beim Abgang zur U1. Er will österreichische Politiker und Europa auf die Menschenrechtsverletzungen im Kurdengebiet aufmerksam machen und sie dazu auffordern, etwas dagegen zu unternehmen. Wir haben mit ihm über seine Beweggründe, seine Haltung zur PKK und über die Dauer seines Hungerstreiks gesprochen:

 

Was sind Ihre Beweggründe für diesen Hungerstreik?

Im Allgemeinen für die Menschenrechte, im Speziellen für die Kurden. Die Kurden werden seit Jahrzehnten unterdrückt, verfolgt, massakriert. Doch in den letzten paar Monaten ist es so schlimm und barbarisch geworden, dass kurdische Städte einem Kriegsgebiet gleichen. Sie stehen den syrischen Städten in nichts nach. Abgesehen davon haben 300 Menschen ihr Leben gelassen, darunter 60 Jugendliche. Angesichts dieser Tatsachen konnte ich als Mensch, als Kurde und Demokrat dem Geschehen nicht mehr tatenlos zusehen. Europa muss die Augen aufmachen und sehen, mit wem hier Geschäfte gemacht werden.

 

Wünschen Sie eine Autonomie für die kurdischen Gebiete? Wie realistisch ist dieser Gedanke?

Wenn die Kurden eine Autonomie wünschen, dann bin ich natürlich auch dafür. Es ist nicht meine Entscheidung, sondern die Entscheidung des kurdischen Volkes. 190 Völker auf dieser Erde haben ein eigenes Land, wieso sollten die Kurden kein Selbstbestimmungsrecht haben?

 

Welche Erfahrung haben Sie mit den Türken in Wien?

Da ich ein politischer Mensch bin, habe ich auch mit politischen Türken zu tun. In Wien leben viele türkische Nationalisten, und so kriegt man diese Feindschaft sofort mit. Dies wird in ihren Vereinen und Moscheen schnell thematisiert. Die hiesigen Türken sind für Fahnen-Demonstrationen und Erdogan-Kundgebungen schnell zu haben. Natürlich demonstrieren oft auch Kurden, aber hier geht es oft um Menschenrechte und Gleichberechtigung.

 

Wie stehen Sie zur PKK?

Die PKK ist eine Partei, die vor  40 Jahren mit 140 Freiwilligen den bewaffneten Kampf aufnahm und mittlerweile gehören Millionen der PKK an. Lassen Sie mich diese Behauptung untermauern: Die HDP ist mit ideologischer Unterstützung der PKK an die Macht gekommen und wurde bei den letzten Wahlen von sechs Millionen Menschen gewählt. Wenn die PKK, wie behauptet, eine terroristische Organisation ist, müsste man sechs Millionen Wähler des Terrorismus beschuldigen.

 

Gibt es etwas an der PKK, das Sie kritisieren würden?

Nach fast 40 Jahren des bewaffneten Kampfes gegen einen dermaßen brutalen Feind passieren leider Sachen, die nicht zu verantworten sind, diese Reue hört man auch oft aus der PKK. Trotzdem halte ich die PKK  für eine Organisation die mit dem kurdischen Volk untrennbar ist.

 

Wie ist der Zusammenhalt unter den Kurden in Wien?

Die Kurden sind durch die Ereignisse in den letzten Jahren sehr politisiert worden. Man versucht, die kurdische Kultur zu erhalten und veranstaltet kurdische Sprachkurse und Feiern. Dass es durchaus Kurden gibt, die zu Erdogans Politik stehen, finde ich traurig und schade. Es liegt an der brutalen Assimilationspolitik der Türkei, die das gefördert hat und noch immer fördert. In der Schule hat man absurde Sachen über die „Bergtürken“ beigebracht bekommen. Sachen, die dazu führten, sich schämen zu müssen, Kurde zu sein.

 

Sprechen Sie Kurdisch?

Ja, aber nicht sehr gut. Wir haben zu Hause in unseren vier Wänden kurdisch gesprochen, durch den Schulunterricht habe ich Kurdisch verdrängt, jedoch ist mir mit der Ausreise nach Österreich klar geworden, was es bedeutet, seine Muttersprache reden zu dürfen.

 

Wie lange möchten Sie noch streiken?

Dieser Hungerstreik ist als eine symbolische Aktion gedacht. Ich habe vor, höchstens fünf Tage zu streiken. Der Zuspruch der Menschen, die zu mir kommen, gibt mir Kraft, diese Aktion zu Ende zu führen.

 

Gibt es auch Türken, die Sie bei Ihrer Aktion unterstützen?

Ja, das zeigt mir, dass die jetzige Politik nicht für alle Türken spricht. Ich kriege heute auch Besuch vom außenpolitischen Sprecher der Grünen. Ebenfalls erwarte ich Besuch von türkischen, kurdischen, sowie armenischen Musikern.

 

 

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