“Die Situation der Roma in Bosnien und Herzegowina“

27. Februar 2009

S.E. Igor Davidovic

S.E. Igor Davidović, Botschafter der Ständigen Vertretung von Bosnien und Herzegowina bei der OSZE, UNO

  vlnr Beganovic, Dzihic, Jankovic, S.E. Davidovic

vlnr. Pädagoge Beiro Beganović, Politologe Vedran Džihić, Moderation Radica Janković, S.E. Igor Davidović

Publikum

Publikum (in der Mitte Ilija Jovanović, Vorsitzender des Vereins "Romano-Centro")

copyright Fotos: Romano-Centro

 

Das „Romano Centro“, Verein für Roma in Wien, veranstaltete eine Diskussionsrunde zum Thema
“Die Situation der Roma in Bosnien und Herzegowina“ und lud prominente Gesprächspartner aus Diplomatie, Politik und Bildung dazu ein. Biber das „Stadtmagazin mit scharf“ war mit dabei.

S.E. Igor Davidović, Botschafter der Ständigen Vertretung von Bosnien und Herzegowina bei der OSZE und UNO, Vedran Džihić, Politologe und Direktor der CEIS Organisation (center for European Integration Strategies)
und akademischer Pädagoge Beiro Beganović diskutierten in einer spannenden Gesprächsrunde.

Nach der herzlichen Begrüßung durch Ilija Jovanović, Vorsitzender der Romano Centro in Wien, folgte ein ausführlicher Vortrag von Botschafter S.E. Igor Davidović zu der hohen Arbeitslosigkeitsrate in Bosnien und Herzegowina, die geschätze 42% beträgt. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ein aktives Bildungsprogramm dringend von Nöten, die laut Ilija Jovanović „nur mit einem angepassten Bildungsprogramm für Roma entsprechend umgesetzt werden könnte“.

„Es bestehen keine beabsichtigten strukturell-politisch motivierten Gründe von Diskriminierung der Roma oder dem Mangel an politischem Willen in BiH“, so S.E. Igor Davidović „Roma Minderheiten müssten gleichermaßen die Willensstärke aufbringen, sich innerhalb ihrer Communities noch besser zu vernetzen und konkrete Ziele und Interessen formulieren wie auch spezifische politische Bedürfnisse definieren“.

„Innerhalb der OSZE Organisation werden Projekte zu Menschen- und Minderheitenrechte gefördert. Mit guten Ideen und Konzepten wäre vieles umsetzbar, mit entsprechenden Fachkräften für Minderheiten und finanzieller Unterstützung der OSZE, die zu einer Verbesserung des sozialen Standards der Roma in BiH ermöglichen könnte“ betonte S.E. Davidović „Roma sind eine wertvolle Minderheit am Balkan“ und der Botschafter fügt mit Nachdruck hinzu „das er alles im Rahmen seiner Möglichkeiten tun wird, um diese kulturelle Vielfalt zu unterstützen“.

Ilija Jovanović Vorstand des Vereins fügte hinzu, dass die über Jahrhunderte anhaltende Diskriminierung und Isolation in der Religion, der staatlichen Erziehung und am Arbeitsmarkt zu einer Parallelgesellschaft geführt hat. Die Hierarchie sozialer Netzwerke von Roma am Balkan ist in erster Instanz die Familie, folgend die Sippe und abhängig von der Anzahl der Mitglieder, der Clan. Das hierarchische Konstrukt stelle ein zusätzliches Problem dar und die Roma Gemeinschaften wären derzeit gar nicht im Stande und benötigten viel mehr Zeit, diese Strukturen innerhalb der Roma-Community zu verändern.

Roma benötigen mehr Lehrer statt Politiker die Geschichte und Kultur vermitteln und das können nur hoch gebildete Vertreter wie Lehrer, Intellektuelle und qualifizierte Fachkräfte aus den eigenen Reihen“ die weitere Ausführung von Botschafter S.E. Igor Davidović.

Vedran Džihić, Politologe und Lektor am Institut für Politikwissenschaften und Direktor der CEIS Organisation, fokussierte seine Vortrag auf die derzeitige politische Situation in Bosnien und Herzegowina.
Für die Gesamtbevölkerung von Bosnien und Herzegowina waren die letzten 19 Jahre, in der anhaltenden angespannten politischen und ökonomischen Lage, ein großer Akt der Geduld gewesen, der schwer zu tragen ist angesichts der Lebensspanne eines Menschen.

In der Realanalyse ist BiH in einer schweren Krise, folgend dieser hat sich auch die Situation der Roma verschlechtert.
Der Titoismus prägte die „goldenen Zeiten der Roma“, nach den Verfolgungen und Ermordungen zwischen 1941 bis 1945. Die Ethnisierung und Nationalisierung der Balkan-Kriege von 1992 bis 1995 forderten die größten Opfer in der Zivilbevölkerung. Muslimische, orthodoxe und kroatische Roma waren Anpassungsstrategien ausgesetzt – bei denen es sich in Realität um Assimilierungsstrategien handelte, die unter gewaltsamen Druck an den Roma ausgeübt wurden.

Sie haben ihre Häuser durch kriegerische Zerstörungsgewalt verloren als auch durch anschließende Enteignungen, die gleichfalls ein Teil der derzeitigen problematischen Lage hinsichtlich strittiger Grund- und Eigentumsrechte von Roma sind.
Die Politisierung und Emotionalisierung führte zu einer weiteren Verschlechterung der Situation ebenfalls auf politischer Ebene, da Roma ohne staatlich-systematische Unterstützung blieben.

Es bestehen zwei konkrete Formen der Diskriminierung erläutert Vedran Džihić:
a) die direkte: die Vernichtung des Lebens, direkte Gewaltangriffe wie kürzlich der Vorfall in Ungarn
b) die strukturelle: der Ausschluss aus dem sozialen und politischen Leben

Das Dayton Konstrukt war damals ein Kompromiss, dieser ist aber nicht mehr tragfähig für einen funktionierenden Staat. Dazu führt Politologe Vedran Džihić als Beispiel an; das auf Grund der derzeitigen Gesetzgebung des Staatskonstrukts Roma nicht um das Präsidentschaftsamt kandidieren könnten. Der ethnische Wettbewerb von Bosniern, Kroaten und Serben lassen der Roma Minderheit keinen Raum, trotz aller Organisation innerhalb der Roma Gemeinschaften. Der Staat schafft keine Rahmenbedingungen dazu und auch die Trägheit der staatlichen Verwaltung Bosniens und Herzegowinas stellt eine gigantisch hohe Hürde dar.

Die schlechte Wirtschaftslage zeichnet sich unter anderem durch das große Handelsdefizit aus, viele Importe, wenig Exporte und geringe Gehälter. Transformationsgewinner sind ausschließlich die gut ausgebildete elitäre Bevölkerungsschicht, die Beschäftigung bei den Internationalen Organisationen gefunden hat. Es herrscht eine apathische Einstellung in der Gesellschaft, diese wird auch durch den Neo-Liberalen Druck in der Wirtschaft verstärkt.

Die Lösungsansätze sieht  Politologe Vedran Džihić dahingehend, dass der Staat fähiger werden muss strukturelle Bedingungen zu schaffen wie: Vertreter der Roma Minderheiten zu ermöglichen, die Erarbeitung von konkreten Prognosen, Räumlichkeiten und menschenwürdige Bedingungen einzuräumen als auch durch „Affirmative-Action-Politik” und zielt eine “positive Diskriminierung” an.

Beiro Beganović absolvierte 1968 die Pädagogische Akademie in BiH. Geboren und aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen einer Bergwerksfamilie. Er war nach Abschluß der Pädagogischen Akademie im staatlichen Schuldienst als beflissener Lehrer tätig. „Er habe damals die Bildungsprobleme selbst in die Hand genommen“, erzählt Herr Beganović „durch selbstständige Projekte hat er das Bildungsniveau in der örtlichen Gemeinschaft angehoben“. Er flüchtete mit Kriegsbeginn und kehrte 1998 in die Republik BiH zurück. Herr Beganović engagierte sich unter anderem als Mitbegründer des Vereins „Union der Roma in Bosnien und Herzegowina“. Die ersten Bildungsprojekte für Romaschüler wurden allerdings medial stark angefeindet, man prangerte es als „Ghettoisierung der Roma" an und verschuldeten ein schlechtes Image dieser Projektarbeit.

Es wurden gleichfalls Konzepte durch qualifizierte Fachkräfte umgesetzt, die auf politischer und parlamentarischer Ebene mitwirkten.
Herr Beiro Beganović untermauert die Fakten der politischen Diskriminierung auf Grund des Dayton-Konstrukts laut Politologe Vedran Džihić, da die ethnischen Minderheiten in der Verfassungskategorie neben den drei größten Bevölkerungsgruppen der Bosnier, Kroaten und Serben als „die Anderen“ kategorisiert werden und eine Aushebelung der politischen Partizipation geschehe. Die Auswirkungen sind, dass Roma in keiner Verwaltung oder als Sozialarbeiter tätig sind, führt Herr Beganović an.

Der Mangel an Konsequenzen für Roma bei einem Verstoß gegen die gesetzliche Schulpflicht, wird durch staatliche Kontrollinstanzen nicht entsprechend geahndet, im Vergleich zu den anderen ethnischen Minderheiten.
Die Vergaben von Stipendien seien ebenso äußerst problematisch „20 Stipendien werden in offiziellen Ausschreibungen zwar vergeben an Roma Studenten im vierten Jahr an der Universiät der Rechtswissenschaften, man allerdings vorab Daten hat, dass keine Roma im vierten Jahr an der Universität der Rechtswissenschaften studieren und die ausgeschriebenen Stipendien in Folge dessen nicht vergeben werden können“ erzählt Pädagoge Beganović.

Durch die ethnische Benennung von Schulen und anderen öffentlichen Institutionen in Bosnisch, Kroatisch und Serbisch wird vor allem im privaten Bildungssektor die Segregation gefördert und eine dementsprechende ethnische Orientierung der Jungbürger heraufbeschworen.

Im Anschluß folgten Fragen sowie kritische Stimmen aus dem Publikum, diese wurden von den geladenen hochkarätigen Gästen ausführlich beantwortet und man entspannte sich danach am Getränkebuffet.

Fakten zur Lage der Roma Minderheit in Bosnien und Herzegowina:

  • In Bosnien und Herzegowina existieren 17 gesetzlich anerkannte Minderheiten, wobei die Minderheit der Roma die zahlreichste ist.
  • 30.000 – 60.000 Roma leben in BiH.
  • Im Oktober 2005, ratifizierte BiH die Konvention über den Schutz der nationalen Minderheiten und adaptierte entsprechende Gesetze.
  • Roma Minderheiten teilen die Probleme aller Bürger der Republik BiH und haben zusätzliche Probleme, die spezifisch für diese Minderheit sind.
  • Diese Probleme umfassen Ausbildung, Arbeitssuche und Beschäftigung wie auch die Wohnsituation als auch die Wiederbelebung der Roma-Kultur.

    Teilnehmende Gäste der Diskussionsrunde:
    S.E. Igor Davidović, Botschafter der Ständigen Vertretung von Bosnien und Herzegowina bei OSZE und UNO
    Vedran Džihić Lektor am Institut für Politikwissenschaften Wien und Direktor von CEIS (center for European Integration Strategies)
    Herr Beiro Beganović akademischer Pädagoge

    Weblink des Vereins Romano Centro:
    www.romano-centro.org

 

Das könnte dich auch interessieren

.
Sie kochen, kosten und kreieren: Amina...
.
„Bis ich 13 Jahre alt war, dachte ich,...

Anmelden & Mitreden

6 + 5 =
Bitte löse die Rechnung