15.000 Euro für ein "Ja"

03. April 2014

Manche heiraten aus Liebe, andere fürs Visum. Für 15.000 Euro könnte ich einem bosnischen Bekannten für immer die Tür nach Österreich öffnen.

Von Amra Durić und Amelie Chapelain (Fotos)

 

Heute kann man bekanntlich alles kaufen. Selbst ein Aufenthaltstitel ist gegen Bares zu haben. Vor ungefähr einem Jahr erzählte mir meine Mutter, ein Bekannter aus Bosnien hätte sie gefragt, ob ich seinen Sohn gegen rund 15.000 Euro heiraten würde. Er versicherte ihr, ich müsse nichts mit ihm zu tun haben, sollte ihn nur fürs Erste bei mir wohnen lassen, bis er eine Wohnung und Arbeit findet. Die Ehe würde nur auf dem Papier existieren und auch nur so lange dauern, bis er die Staatsbürgerschaft hat – laut österreichischem Gesetz fünf Jahre. Das Geld würde ich cash auf die Hand bekommen. Um der Armut und fehlenden Perspektiven in seiner Heimat zu entkommen, war der junge Mann bereit sich zu verschulden und sich einen Trauschein zu kaufen – nur um in Österreich leben zu dürfen.

 

„Eine schnelle Lösung musste her“

Einmal zum Standesamt und „Ja, ich will“ sagen – Merima (Anm.: Name von der Redaktion geändert) hat genau das vor zehn Jahren gemacht. Die Bosnierin ist vorsichtig. Sie möchte weder über Facebook, noch über Skype mit mir sprechen. Erst nach mehrmaliger Zusage, dass sie anonym bleibt, lockert sie sich und spricht ohne große Hemmungen über ihre Scheinehe. Dass sie strafrechtlich verfolgt und aus Deutschland ausgewiesen werden kann, ist ihr bewusst: „Ich hatte damals keine andere Möglichkeit nach Deutschland zu kommen. Es war der einzige Weg.“ In Deutschland steht dem Gesetz nach das Eingehen einer Scheinehe nicht unter Strafe. Erst, wenn wegen der Ehe ein Aufenthaltstitel beantragt wird, macht man sich strafbar. Ob die Ehe nun gegen Geld oder aus anderen Motiven geschlossen wurde, macht keinen Unterschied.

 

 

Merimas Geschichte fängt mit der Krankheit ihrer Schwester Fatima (Anm.: Name von der Redaktion geändert) an. Der Vater des Kindes war in Bosnien geblieben und hatte kein Interesse daran, seiner Vaterverpflichtung nachzukommen. Als Fatima an Krebs erkrankte, blieb nicht mehr viel Zeit. Merima sollte ihre Nichte großziehen, hatte aber kein Visum für Deutschland. „Ich kannte da jemanden, der jemanden kannte. Dieser jemand stellte mir meinen jetzigen Mann vor“, sagt sie. Über ihren Kuppler will sie trotz mehrmaligen Nachfragens nichts erzählen. Die Verhandlungen verliefen schnell und reibungslos. Die Abmachung lautete: die Bosnierin zahlt dem Deutschen 6.000 Euro. Dafür bekommt sie den Trauschein und somit eine Aufenthaltserlaubnis.

 

Merima lebt nun seit zehn Jahren mit ihrer Nichte in Frankfurt. Probleme habe sie mit ihrem „Mann“ keine, sie führt eine glückliche Ehe, sozusagen. „Er kommt immer auf einen Kaffee vorbei, wenn ich ihn einlade und gratuliert mir und meiner Nichte jedes Jahr zum Geburtstag“, sagt sie. „Ich hatte Glück. Ich kenne Leute, die 20.000 Euro bezahlen mussten und Probleme mit dem Partner haben.“ Noch kann die Bosnierin keine Scheidung beantragen, da alle Hochzeitsraten abbezahlt werden müssen. Einen schriftlichen Vertrag über die Summe und die Zahlungskonditionen gibt es nicht. Wann und wo die Bezahlung stattfindet, hat uns Merima ebenfalls erklärt. Es ist keine gewöhnliche Überweisung – das wäre zu auffällig. „Das Geld wird immer an unterschiedlichen Orten im Kreis von mindestens zwei Augenzeugen abgegeben. So sind beide Parteien versichert, verstehst du? Er kann nicht behaupten, ich hätte es ihm nicht gegeben und umgekehrt.“ Ein Restrisiko bleibt aber immer.

 

Scheinehe in Österreich

Insgesamt 38.592 Ehen wurden laut Statistik Austria im Jahr 2012 in Österreich geschlossen. Im Zuge dessen wurden 7.043 Personen eingebürgert. Dass es unter diesen Einbürgerungen die eine oder andere Scheinehe geben könnte, weiß auch das Innenministerium (BMI). Die Behörden führen immer wieder Kontrollen durch (siehe Kasten). „Für 2011 sind zu 187, für 2012 zu 194 Verdachtsfällen Ermittlungen verzeichnet“, sagt Karl-Heinz Grundböck vom BMI.

 

Wenn die Schwiegermutter „klagt“

Alma (Anm.: Name von der Redaktion geändert) kannte ihren Mann aus einem kleinen Dorf in Bosnien. Sie traf ihn 2005 wieder, als sie nach Österreich kam und ihm 5.000 Euro für eine Scheinehe bezahlte. Das Scheinpaar lebte in einer gemeinsamen Schein-Wohnung in der Steiermark. Alma wurde bei ihrer Schwiegermutter im Lokal angestellt. Alles schien gut zu laufen, bis ihre Schwiegermutter sie zwang, Tag und Nacht zu arbeiten – bis zur kompletten Erschöpfung. Als es die junge Bosnierin nicht mehr aushielt, wollte sie vorzeitig die Scheidung beantragen – trotz des Risikos einer Ausweisung. Doch Almas Schwiegermutter war schneller. Sie zeigte die Bosnierin und im Zuge dessen auch ihren eigenen Sohn an. Der Prozess zog sich über Monate. Alma bangte jeden Tag um ihr Aufenthaltsrecht. Schließlich entschied das Gericht, dass die junge Frau in Österreich bleiben durfte.

 

Große Liebe oder Scheinehe?

Almas Bruder Sakib (Anm.: Name von der Redaktion geändert) wollte ebenfalls nach Österreich kommen und tat es seiner Schwester gleich. Er kam ab und zu für drei Monate zu Besuch und reiste dann wieder aus. Bei diesen Aufenthalten lernte er eine Frau kennen. Sie war nett und beide verstanden sich, verliebt war er jedoch nicht. Sakib schlug der Österreicherin vor, ihr 7.500 Euro zu bezahlen – für einen Trauschein. Sie wollte allerdings erstmals sehen, ob das mit der „Lebensgemeinschaft“ auch funktioniert, also reiste Sakib weiterhin nach drei Monaten wieder aus.

 

Als er wieder einmal in Österreich zu Besuch war, verabredete er sich mit einem anderen Mädchen. Das fand seine Scheinfreundin heraus und es gab Streit - Sakib verstand nichts mehr. Er dachte, dass es in Ordnung wäre, wenn er sich mit anderen Frauen treffen würde, dass er und seine Scheinfreundin nur Freunde wären. Doch die Österreicherin hatte andere Gefühle. Sie war in Sakib verliebt. Eine Ehe nur auf Papier kam für sie nicht in Frage und somit musste Sakib zurück nach Bosnien.

 

Von Kupplers Gnaden

Bei Tarik (Anm.: Name von der Redaktion geändert), einem Kroaten, war es genau umgekehrt. Er hatte seine große Liebe bereits in Bosnien gefunden, doch er wollte nicht in seiner Heimat eine Familie gründen – ohne Arbeit und Perspektiven. Tarik wollte unbedingt nach Deutschland oder Österreich auswandern. Über seine Tante lernte er eine Serbin mit österreichischem Pass kennen. Für die Durchführung einer Scheinehe braucht es meist eine dritte Person. Jemanden, der die Paare vermittelt. Die Strafe in Österreich liegt für solche „Kuppler“, wie Tariks Tante eine ist, bei bis zu drei Jahren Haft. Für den Trauschein selbst bezahlte er seiner Ehefrau 20.000 Euro. Die beiden lebten zusammen bis er eine Arbeitsbewilligung und ein Visum hatte. Danach ließ er sich von seiner Scheinehefrau scheiden und heiratete seine große Liebe aus Bosnien. Jetzt wohnen beide in Wien.

 

Ob sich Merima nach der Abbezahlung der Raten gleich scheiden lässt, weiß sie noch nicht. „Mir macht es nichts aus verheiratet zu sein. Ich weiß, ich werde immer für ihn da sein und er für mich. Das ist eine Seltenheit, lass dich jetzt davon nicht verwirren“, sagt sie. Wenn man Merima so zuhört, wie sie über ihren „Mann“ redet, dann tut sie das mit einer tiefen Dankbarkeit. Sie betont während unseres Gesprächs immer wieder, dass sie großes Glück hatte. Es klingt fast nach Liebe.

 

Durch die EU-Osterweiterung können nun viele Osteuropäer Visum-frei nach Österreich kommen. Für Menschen aus Bosnien-Herzegowina, der Türkei oder Serbien ist Emigration immer noch ein großes Problem. Wie viele den Weg der Scheinehe gehen, ist natürlich unbekannt. Der Beweggrund ist aber länderübergreifend – Arbeitslosigkeit und keine Perspektiven. Der Bekannte meiner Mutter sah für seinen Sohn in Bosnien keine Zukunft mehr. Ich habe die 15.000 Euro und die Ehe mit einem Unbekannten abgelehnt. Er muss weiterhin nach seiner großen Schein-Liebe suchen.

 

 


 

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