BETEN und BREAKEN

04. Januar 2011

Spanische Wurzeln, amerikanische Massenkultur, österreichischer Alltag – Filipinos in Wien leben einen ganz eigenen Mix der Kulturen. Tanzen ist ein wichtiger Teil davon, manchmal auch gemeinsam mit Katy Perry.

Von Stephanie de la Barra, Maureen Evangelista und Reinhard Lang (Fotos)

 

„Und five, six, seven, eight!” Laut dröhnt die Musik aus den Lautsprechern. Los geht’s. Drehung, Sprung nach hinten, Kick. Und das alles synchron. Die Jungs von pNoise haben Übung, das sieht man. Kein Wunder, sie haben den ultimativen Platz zum Üben gefunden. Im Filo-Jargon nennen sie das „Spiegel 1, Spiegel 2“. Für Normalsterbliche bedeutet das gläserne Häuserfassaden, in denen man sich eben spiegelt, wie etwa beim Strabag Center in Kaisermühlen.

 

Üben für Katy
Die Zeit drängt, der nächste Auftritt steht bevor. Mit Katy Perry! In einem europaweiten Online-Wettbewerb auf Facebook für das Musikvideo zu ihrer neuen Single „Fireworks“ hat der US-Superstar nach Tänzern gesucht. pNoise haben österreichweit die meisten Stimmen erhalten und  in Budapest beim Clipdreh als Hintergrundtänzer mitgemacht. Keine große Rolle, aber dabei sein ist alles. „Die Perry ist schon nett, obwohl wir nicht mir ihr geprobt haben. Alle haben ur gekreischt als sie dann kam! Total abgedreht ist sie, so wie die meisten Jugendlichen eigentlich!“, sagt der 16-jährige Rusty Raymundo. „Sie is ur Jaya, Mann!“ (siehe Infobox)

Stehen so einmalige Chancen wie Katy Perry auf dem Probenplan, kommt es schon vor, dass sich die Jungs drei bis vier Mal die Woche zum „prak-tis“ vor dem Strabag Center treffen, damit auch jeder Schritt sitzt. Auch Anrainer und Security-Personal mischen mit. Zu laut ist es, beschweren sie sich, was das Herumgehopse denn soll. Die Exekutive ist aber auf Seiten der Jugendlichen: „Uns is’ lieber ihr mochts des als was Kriminelles. Owa Burschen, die Musik draht’s bitte leiser.“

 

Von der Insel zur Donau
Heute leben fast 12.000 Filipinos in Österreich. Die ersten, meistens ausgebildete Krankenschwestern, sind Ende der Siebziger ins Land geholt worden. Es gab Bedarf an Arbeitskräften im sozialdienstlichen Bereich und die Neuankömmlinge konnten ihren Vorteil daraus ziehen. Bedeutete Österreich doch auch bessere Zukunftschancen. Nach und nach zog die Familie dann auch ins Land und mit ihr die Kultur. Eine Kultur, die sich – typisch asiatisch – auf Höflichkeit und Respekt den Älteren gegenüber stützt, die zugleich aber christlich-spanisch und extrovertiert-nordamerikanisch geprägt ist. Eine Symbiose aus tiefem Glauben und gelebter Oberflächlichkeit.

81% der Filipinos sind Katholiken, damit hat der Inselstaat den höchsten Christenanteil Südostasiens. Der Lauf der Geschichte machte das Inselvolk ab 1565 zu einer Kolonie der spanischen Krone und die Jesuiten begannen mit der Christianisierung. Die Spanier gingen, die Amerikaner kamen und blieben bis 1946. Sie brachten Massen- und Unterhaltungskultur. Das amerikanische Ideal „vom Tellerwäscher zum Millionär“ verbreitete sich schnell und wird heute in Form von unzähligen Tanztalentshows medial gepusht. Oft zählt das Schönheitsideal „hellhäutig und spitze Nase“, aber mehr als das Talent selbst

Tränen im Paradies
Die vielen Bananenbäume, saftigen Mangos und Palmen am Strand täuschen heute oft über einen traurigen Alltag hinweg. Auf den Inseln mit ihren rund 90 Millionen Einwohnern kämpfen täglich Tausende ums nackte Überleben. Die Unterhaltungsindustrie boomt trotzdem wie nie zuvor. Das wird auch im fernen Österreich von den Philipinos gespürt und gelebt: Singen, tanzen, schauspielen. „Fliegt man auf die Philippinen und fragt in einer 5m² Wohnung, wo sie zu fünfzehnt leben, den Jüngsten was er werden will, sagt er Streetdancer”, sagt Marvin Mangalino, 30, frischgebackener Hotelbesitzer. Es wird getanzt um von der Gesellschaft anerkannt zu werden, den sozialen Aufstieg zu schaffen.
Vor jedem Auftritt darf aber eines nicht fehlen: der Segen Gottes. An diesem Punkt sind sich die meisten Filos einig, ohne Gott geht gar nichts. Nur Marvin sieht den „Glauben als Opium der Armen“, die damit vergeblich auf eine bessere Zukunft hoffen.

Beten und essen
Sonntag, kein besonderer Feiertag, elf Uhr. Die Glocke der Kirche in der Forsthausgasse läutet den Beginn der Messe ein. Eine von fünf Kirchen, die eine philippinische Gemeinde in Wien führt. Gesprochen wird dort Englisch, nur eine Messe wird auf Tagalog gehalten. Ausgelassene Kinder spielen zwischen den Reihen fangen, während die Erwachsenen tief ins Gebet versunken demütig ihre Hände falten. Alle sind gekommen: von der Oma bis zur Cousine zweiten Grades. Nur ein paar Gesichter der Jungs von pNoise fehlen. Der 19-jährige Michael Uy-Oco, der Draufgänger der Gruppe, muss sich nämlich noch „vom Samstag ausschlafen“. Sonntagsruhe eben. Auch der 16-jährige Bryan Macalindong „war früher öfter in der Kirche“. Ja früher, als die Burschen noch jünger waren, sind sie alle mit ihren Familien sonntags zum Gottesdienst gegangen. Und das ohne Ausnahme. Daher kennen sie sich auch alle. Die Sonntagsmesse hat aber nicht nur einen religiösen Stellenwert. Danach lädt man sich gegenseitig zum Essen ein.  Dreißig oder mehr sind dann in einer Wohnung, alle reden durcheinander in einer Mischung aus Englisch, Tagalog und Deutsch. Das ganze Spektakel hat Buffet-Charakter, denn es gibt mindestens fünf verschiedene Speisen, die die Mamas mitgebracht haben. Gemeinsam an einem Tisch wird wegen Überfüllung nicht oft gegessen. Jeder setzt sich wo er Platz findet, Stufen, Sofa, alles ist willkommen. Zuerst wird noch gebetet, dann erst gegessen. Österreichische Gesichter sucht man dabei aber meist vergeblich, außer vereinzelt Ehepartner.
Eine Woche später  wiederholt das Ganze, nur in einer anderen Wohnung. Und wieder fehlt Michael in der Kirche. Nur einer von pNoise wird sicher da sein, Carlos Navarro, mit seinen 15 Jahren der Jüngste.

I am from Austria oder so
 „Wir sind alle integriert und fallen nicht unangenehm auf“, sind sich die Filipinos einig. Als Wiener fühlen sie sich trotzdem nicht. „Ich bin einfach mehr Filo. Die Österreicher schauen dich ja schief an, wenn du sagst, dass du sonntags in die Messe gehst. Warum versteh ich nicht. Außerdem haben die einen anderen Schmäh und lachen über jeden Blödsinn“, erklärt Carlos. Stattdessen auf die Philippinen zu ziehen kann sich aber kaum einer vorstellen, zu heiß und zu arm ist es dort. Viele Jugendliche träumen trotzdem weiter von der großen Tanzkarriere, nur ist das in Österreich nicht so gefragt wie Schifahren. „Schade, Österreich ist eben nicht Amerika.“

Info-Box:
pNoise: p steht für pinoy = filipino auf Tagalog (philippinisch), noise=Lärm
Prak-tis: aus dem engl. practise = üben
Jaya: hübsches Mädchen, das man ansprechen möchte

Kommentare

 

...etwas über die philos!!!

 

ja!
gestern war ich seit langem mal wieder fort und hab mich mal bewusst umgesehn. die probe aufs exempel so zu sagen.
da ist mir aufgefallen, dass erstens viele da waren und, dass zweitens alle sehr einheitlich gekleidet sind: stoffschuhe, kariertes t-shirt, slim fit hose und natürlich uur gestyle haare!! die machen den türken fast den platz streitig ;)

 

ich sag euch, keine Community auf dieser Welt ist so gut vernetzt, wie die Filipinos.
Egal, an welcher Straßenecke auf der Welt einer von ihnen steht, sie kennen denjenigen/diejenige bestimmt.

echt unheimlich!

 

stimmt! aber es kommt noch besser:
wusstest du, dass sie sich auch grüßen, wenn sie sich nicht kennen?(was aber eher selten vorkommt!)
ja die sind verdammt gut vernetzt. was haben die was der rest der welt nicht kann? wieso funktioniert das so gut? das habe ich noch nie verstanden.....

 

ein bekannter von mir ist soo begeistert von den philos, dass er jedes jahr fix auf die philippinen reist, nur weils dort so super is...wahrscheinlich liegts auch an den leuten, bei denen er sich so wohl fühlt.

 

und an der umwerfenden Natur!

 

jo des a

 

echt jetzt?

naja das wetter ich weiß nicht so recht: verdammt heiß! da freut man sich dann auf die regenzeit denk ich...

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